Süddeutsche Zeitung

Kulturgeschichte:Dreimal ein Gott

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Wie tolerant ging es zu, als Juden, Christen und Muslime in Ägypten erstmals aufeinanderstießen?

Von Stephan Speicher

Im Jahre 639 wurde die ägyptische Stadt Alexandria, bis dahin zum oströmischen Reich gehörig, von den Arabern erobert. Deren Feldherr war tief beeindruckt: Er könne nur sagen, es sei eine Stadt von 4000 Palästen, von 4000 Bädern, 400 Theatern, 1200 Gemüsegeschäften, 1000 Vergnügungshäusern und 40 000 Juden. Alexandria war das Zentrum des östlichen Mittelmeers, allenfalls Antiochia und Konstantinopel konnten den Vergleich wagen. Die Stadt war nicht nur groß, sie war ungewöhnlich bunt, in ethnischer und religiöser Hinsicht. Das fruchtbare Niltal zog die Menschen an.

Seit dem zweiten Jahrhundert hatte sich dort das Christentum in seiner koptischen Spielart ausgebreitet. Auch die Juden, nach der Unterdrückung ihres Diaspora-Aufstands (115-117) kaum mehr nachweisbar, waren zurückgekehrt. Und nun also herrschten die muslimischen Araber, zunächst mit Vorsicht. Sie nutzten die überkommenen Verwaltungsstrukturen, ließen Juden und Christen ihr religiöses Leben, legten ihnen allerdings eine Kopfsteuer auf. Die muslimische Mission kam nur allmählich voran. Und als sie Erfolg hatte, so wohl wesentlich deshalb, weil die arabische Herrschaft politische Stabilität und wirtschaftliche Prosperität gebracht hatte.

Dazu gehörte ein verhältnismäßig spannungsfreies Verhältnis der Religionen. Darum geht es in einer Ausstellung im Berliner Bode-Museum: "Ein Gott. Abrahams Erben am Nil. Juden, Christen und Muslime in Ägypten von der Antike bis zum Mittelalter". Sie beginnt mit einem kleinen Kapitel zur Vorgeschichte, zu Ägypten in römischer Zeit. Ein Kopf des Germanicus, eine sehr feine Arbeit, ist später mit einem Kreuz auf der Stirn christianisiert worden, was nicht ganz selten geschah. Großartig der Torso eines Kaisers aus dem 4. Jahrhundert, der nach seinem Schwert greift. Auf einem Relief opfert Kaiser Augustus ägyptischen Göttern. Die Treue zu Gott und die Treue Gottes, die das Wesen von Judentum (und später) Christentum und Islam ausmacht - Jan Assmann hat diesen Punkt ins Zentrum seines neuen Buches "Exodus" gestellt -, sie ist den antiken Menschen ganz fremd. Aber was ihnen nahe ist, das ist die Kunst. Und so ist es eine Pointe dieser Ausstellung, dass eine Reihe der schönsten Stücke sich in jener kleinen Abteilung befindet, die die Vorgeschichte des Themas behandelt.

Jede Ausstellung über die drei Buchreligionen steht vor einem Grundproblem. Das Judentum ist bilderskeptisch (Exodus 20,4-5), das merkt man auch im Bode-Museum: Neben Schriftstücken ist eben nicht viel auszustellen. Es gibt allerdings Ausnahmen, so eine hinreißende Zeichnung in einem Fabelbuch: Zwei Löwen sitzen sich gegenüber, die Mutter scheint ihr Junges zu belehren. Im Islam ist das Bilderverbot keine ganz klare Sache, bis in die Fatimidenzeit wurde es in Ägypten nicht streng beachtet. Aber eine solche Darstellungsfreude, wie das Christentum sie kennt, geht ihm doch ab, es bleibt wesentlich bei dekorativen Momenten. Das muss ästhetisch nicht geringer wiegen. Aber wo es um kultur- oder ideengeschichtliche Fragen geht, da hat das Werk mit Abbildungscharakter doch besonderen Quellenwert.

So kommt das koptische Christentum dem Museumsbesucher weiter entgegen. Mit großen, aufgerissenen Augen und heruntergezogenen Mundwinkeln sieht uns der Bischof Abraham von Hermonthis an. Es ist eine einfache, fast plakative Darstellung, was der Eindrücklichkeit nichts nimmt. Ein Mönch namens Jonas hat sich auf einer Scherbe in der Orantenstellung porträtiert, das hat eine beachtliche expressive Kraft. Sehr feine Arbeiten sind die Elfenbeinschnitzereien: Markus bei der Niederschrift des Evangeliums oder als erster Bischof von Alexandria im Kreise der Nachfolger. Dass die Ausstellung Probleme mit dem Material hat, sieht man auch daran, dass Mumienporträts aus Fayyum - überwältigende Leistungen einer individualisierenden Porträtkunst - in den Hauptteil der Ausstellung einsortiert wurden, obwohl sie als Zeugnisse vermutlich der heidnischen Kultur eher in die Vorgeschichte gehören.

Was ist also hier über das Zusammenleben der drei Konfessionen zu lernen? Vieles weiß man einfach nicht, etwa, wie oft über die Glaubensgrenzen hinweg geheiratet wurde. Immerhin gab es in Ägypten keine Berufsbeschränkungen, unter denen die Juden im Westen zu leiden hatten. Man hat einen Gesellschaftsvertrag zwischen Juden und Christen gefunden, eine gemeinsame Werkstatt betreffend. Gab es das öfter, oder war es eine seltene Ausnahme? Die Ausstellung zeigt Amulette, Kapseln, Schriftstücke mit magischen Formeln, das ganze Brimborium des Aberglaubens. Hier geht es munter über alle Grenzen. Aber ein Zeichen der Toleranz ist das noch nicht. Wo der gläubige Mensch sich dem Willen Gottes ergibt, will der Magier die numinosen Mächte zwingen, dann auch solche finsterer Art.

Ein Edikt des 9. Jahrhunderts untersagte die öffentliche Ausübung nichtislamischer Kulte. Doch es gibt Nachrichten, wonach am Nil christliche oder jüdische Feste weiterhin öffentlich stattfanden und auch Andersgläubigen Vergnügen machten. Das Verhältnis der Religionen blieb erträglich, was einzelne Aufstände und deren Niederschlagung einschloss. Besonders bemerkenswert: Christliche Quellen berichten gern, dass Heilige die Kultstätten der alten Götter zerstörten und umbauten für den wahren Gott. Archäologische Befunde bestätigen das in der Regel nicht. Offenbar galt Intoleranz in der Frühzeit als eine Empfehlung, die man auch dann aussprach, wenn die Sache das nicht deckte. Das wurde dann in der Praxis des Zusammenlebens überwunden.

Ein Gott. Abrahams Erben am Nil. Berlin, Bode-Museum, bis 13. 9. 2015. Katalog (Imhof) 29,95 Euro.

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SZ vom 08.04.2015
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