Kulturgeschichte:Die Apokalypse ist gut für die Menschheit

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"Wer sich die Apokalypse vorstellen kann, ist klar im Vorteil", sagt der Historiker Johannes Fried. Die Vorstellung vom Weltuntergang schlägt sich auch in Filmen nieder. Aktuellstes Beispiel: "Independence Day: Wiederkehr". (Foto: 2016 Twentieth Century Fox)

Seit 2000 Jahren denkt der Mensch über das Ende der Welt nach. Das hinterlässt Spuren, sagt Historiker Johannes Fried: ohne Apokalypse kein Atomausstieg und keine Flüchtlingshilfe.

Interview von Hannes Vollmuth

Herr Fried, lassen Sie uns über das Ende der Welt sprechen. Woher kommt die Faszination für die Apokalypse?

Viele Kulturen kennen Zyklen des Vergehens und des Neubeginns der Welt. Aber nur das Christentum kam auf die Idee, dass die Welt irgendwann definitiv untergehen wird. Im Jahre 70 nach Christus wurde Jerusalem zerstört und ging in Flammen auf. Seitdem rechnet das Christentum fest mit der Apokalypse.

Wie stellten sich die frühen Christen das Weltende vor?

Im zweiten Korintherbrief werden dramatische, wilde Szenen geschildert: Die Welt zerschmilzt wie Blei im Feuer, die Erde geht in einem Feuerinferno unter. Es gibt Feuerflüsse, Rauch, Gift, alles kommt da zusammen.

Hört sich nach einem Katastrophenfilm von Roland Emmerich an.

Die Texte sollten ja auch erschrecken und die Menschen zur Umkehr bringen. Das drohende Weltende ist wie ein Aufruf: Tu jetzt was für dein Seelenheil, bevor es zu spät ist! Wer konnte, baute Kirchen und Klöster, spendete Geld oder half den Armen. Außerdem wollte man natürlich wissen, wie nah das Weltende schon ist. Also beobachtete man die Natur, die Sterne, Hungersnöte, Seuchen und Fluten und war schon alarmiert, wenn Salz und Getreide teurer wurden.

2000 Jahre Weltuntergang gehen nicht spurlos an einem vorbei. In Ihrem Buch "Dies irae" legen Sie dar, wie die Apokalypse auch unsere Gegenwart prägt.

Die Apokalypse sitzt tief in uns drin. Viele glauben nicht mehr an Gott oder an die Ankunft des Antichristen. Aber die Vorstellung vom Weltuntergang ist so sehr in die westliche Kultur eingesunken, dass sie auch heute noch lebendig ist. 2014 gab es eine große Flut in Serbien und der Ministerpräsident dort sagte: So was kommt nur alle 1000 Jahre vor. Dass er gerade auf 1000 Jahre kommt, hängt natürlich mit der Bibel zusammen, in der Apokalypse des Johannes ist auch von 1000 Jahren die Rede. Apokalyptische Denkmuster haben aber auch schon die deutsche Politik geprägt, zum Beispiel nach der Katastrophe von Fukushima. Die Bundeskanzlerin handelte sofort, wie aus dem Bauch heraus. Sie wollte die Zukunft retten, weil sie in der Gegenwart Zeichen für ein drohendes Unheil gesehen hat.

Die Angst vor der Apokalypse ist also hochproduktiv?

Ich würde sogar davon sprechen, dass die modernen Wissenschaften aus dem Geist der Apokalypse entstanden sind. Am Anfang suchte man noch in Schafsdärmen nach der Zukunft. Später hatte man dann die Geologie, Meteorologie oder Astronomie. Heute geben wir Milliarden für die Raumforschung aus und beobachten Kometen, die der Erde nahe kommen könnten. Oder wir versuchen herauszufinden, wann das nächste Erdbeben in Kalifornien droht. Noch viel stärker als früher wollen wir wissen, was die Zukunft bringt.

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Bedeutet das, dass wir seit 2000 Jahren in Angst vor dem Weltuntergang leben?

Die Angst verläuft in Wellenbewegungen. Besonders in Krisenzeiten sind die Menschen alarmiert und in Endzeitstimmung. Um 1250 kamen mongolische Reitervölker nach Europa und jeder dachte: Das sind jetzt die apokalyptischen Reiter, die schon die Höllenpforten durchbrochen haben. Und als der Halleysche Komet 1910 wieder erschien, wollten die Ersten sich in Höhlen zurückziehen. Ein Astronom hatte behauptet, der Kometenschweif würde Gift wie Cyan und Blausäure absondern. Die Angst hielt sich ungefähr ein Jahr, dann hat man sich lustig darüber gemacht.

Aber ist es nicht einfach menschlich, sich vor dem Weltuntergang zu fürchten?

Mit der menschlichen Natur hat das gar nichts zu tun. Die Idee von der Apokalypse gibt es wirklich nur im christlich geprägten Westen. In Asien zum Beispiel findet man das überhaupt nicht: Weder die chinesische Kultur kennt den Weltuntergang, noch die japanische. In der jüngsten Manga-Literatur gibt es jetzt erste Anspielungen, aber die Manga-Literatur ist ja stark von der amerikanischen Popkultur geprägt.

Ist es ein Vorteil für eine Gesellschaft, wenn sie sich die Apokalypse vorstellen kann?

Wer sich die Apokalypse vorstellen kann, ist klar im Vorteil. Denken Sie an die Anstrengungen des Klimarats der Vereinten Nationen. Wer damit rechnet, dass die Welt in einer Klimakatastrophe untergehen könnte, ist eher motiviert, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Was würde uns ohne Apokalypse fehlen?

Unsere ethischen Regeln des Zusammenlebens wären nicht so radikal. Die Ethik ist geprägt von der Idee eines definitiven Endes. Denn bis zum Ende der Welt wollen wir alle Probleme lösen, danach ist es zu spät. Es gibt also eine absolute Deadline für Dinge wie Flüchtlingshilfe und Klimaschutz. Tief in uns schlummert immer noch der Gedanke: Am Ende könnte es doch schlecht auf uns zurückfallen, dass wir uns nicht gekümmert haben.

Rechnen Sie eigentlich selbst mit der Apokalypse?

Ich sitze an meinem Schreibtisch, habe meine Lampe an, vor mir liegen ein paar Erinnerungsstücke, alles wunderbar. Ich bin so alt, dass ich mir sagen kann, nach mir die Sintflut. Aber ich habe ja auch Kinder und Enkelkinder, und wenn ich an die Hungersnöte denke, die Atomwaffen, die Erderwärmung und die politische Stimmung in Europa, dann kriege auch ich Muffensausen.

Johannes Fried gehört zu den bedeutendsten Historikern für mittelalterliche Geschichte in Deutschland. Er lehrte an der Universität Frankfurt am Main. Seit 1989 beschäftigt sich der Historiker mit der Kulturgeschichte der Apokalypse. Das Buch "Dies irae" erschien im C.H. Beck-Verlag (352 Seiten, 26,95).

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