KulturgeschichteDer Mann des Matriarchats

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Der Rechtshistoriker und Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen wird 200 - und seine Edition ist fertig.

Von Johan Schloemann

Kleines Zitate-Raten: "Die Geschichte des Menschengeschlechts wird bestimmt durch den Kampf der Geschlechter." Wer schrieb das?

Der Satz stammt nicht von einer Feministin des 20. Jahrhunderts, sondern aus einem unendlich wirkungsreichen Buch, das 1861 erschien: "Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur". Geschrieben hat es der Rechtshistoriker, Altertumsforscher und Geschichtsphilosoph Johann Jakob Bachofen (1815 - 1887). Er wurde an diesem Dienstag vor 200 Jahren in Basel geboren, wo er später auch als Gelehrter wirkte.

Obwohl Bachofen den Begriff selbst noch nicht verwendete, stieß er mit seiner Studie eine riesige Diskussion über das "Matriarchat" an, über die Macht der Frauen also, die in der Frühzeit der Kulturen über die Männer geherrscht haben sollen. Bachofen hatte ein solches Stadium der Frühgeschichte rekonstruiert, indem er antike Mythen auslegte und damit selbst einen neuen Mythos schuf.

Die philologische und historische Fachwelt seiner Zeit, die sich gerade erst professionalisierte, verwarf Bachofens Forschungen wegen ihrer romantischen, spekulativen Methode; Bachofen seinerseits verwarf erklärtermaßen die positivistische Quellenkritik. Späterhin aber hatte Bachofen starken Einfluss auf Ethnologie, Psychoanalyse, Feminismus und Literatur - nicht bloß mit seiner Theorie der "Gynaikokratrie", sondern auch mit seinen sonstigen religionshistorischen Arbeiten, etwa zur Deutung des Gräberkultes. Angeregt von Bachofen zeigten sich Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke ("Sonette an Orpheus"), Thomas Mann (Josephsroman), aber auch Friedrich Engels, Walter Benjamin, Ludwig Klages und C. G. Jung.

Heute wird die Annahme eines Matriarchats in frühen Gesellschaften von der seriösen Forschung bezweifelt, besonders die Gleichsetzung weiblicher Herrschaft mit weiblicher Erbfolge oder mit der Verehrung archaischer weiblicher Muttergottheiten. Man debattiert auch darüber, ob mit einem historischen Geschlechter-Dualismus der Herrschaftsformen - und erst recht mit allerlei Erdmutter-Kulten im blühenden Reich der Esoterik - der Sache des Feminismus überhaupt gedient ist. Dennoch war es vor 150 Jahren in jedem Fall eine originelle, wichtige Idee, Religions- und Gender-Geschichte zu verbinden.

Johann Jakob Bachofen ist aber auch weit über das "Mutterrecht" hinaus interessant. Das zeigt die 10-bändige Ausgabe seiner "Gesammelten Werke" im Schwabe-Verlag, die jetzt, zum 200. Geburtstag, abgeschlossen wird. Sie hat eine schwierige Geschichte: Die ersten acht Bände gab der Schweizer Volkskundler Karl Meuli zwischen 1943 und 1967 heraus. Jahrzehnte später erscheint nun in wenigen Wochen Band 5 mit den archäologischen Schriften; und soeben vorgelegt wurde der neue Band 9 mit Bachofens Reiseberichten.

Diese Aufzeichnungen seiner Touren in Italien und Griechenland sind eine hinreißende Mischung aus antiquarischen Details und ausschweifenden Gedanken persönlicher und philosophischer Natur. Die Werkausgabe stellt Bachofen endgültig in eine Reihe mit den anderen Geschichtsdenkern im Basel des 19. Jahrhunderts: Jacob Burckhardt, Franz Overbeck, Friedrich Nietzsche. Am 13. Januar wird der Abschluss der Edition und der 200. Geburtstag mit einer Feier im Basler Antikenmuseum begangen.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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