Kulturflurschaden:Der Brexodus hat begonnen

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Sieht in der zunehmend isolationistischen Atmosphäre Großbritanniens offenkundig keine Zukunft mehr für sich und seine Arbeit in London: Martin Roth hier vor Gemälden von Georg Baselitz (Foto: dpa)

Ein Fanal: Martin Roth verlässt das Victoria & Albert Museum. Er ist der prominenteste europäische Museumsmann, der London nun wegen des Brexits verlässt.

Von Alexander Menden, London

Als Martin Roth, damals Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden, Ende 2010 gefragt wurde, ob er Chef des Londoner Victoria & Albert-Museums werden wolle, war seine ehrlich überraschte Reaktion: "Aber ich bin doch Deutscher!" Er habe die Berufung nicht auf die leichte Schulter genommen, sagte er bei seinem Amtsantritt 2011. Das V&A sei ja "eine Art Nationalheiligtum". Nun wolle er "ausprobieren, ob dessen Leitung in einem europäischen Kontext funktioniert".

Daher ist Roths Abdankung als V&A-Direktor, die das Museum an diesem Montag offiziell bekannt gab, auch unzweideutig im Zusammenhang mit der Referendums-Entscheidung der Briten zu verstehen, ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union aufzukündigen. Er hatte einen unbefristeten Vertrag, es gab also keine Sollbruchstelle für einen raschen Abschied. Vielmehr sieht Roth in der zunehmend isolationistischen Atmosphäre Großbritanniens offenkundig keine Zukunft mehr für sich und seine Arbeit.Er weiß sich im Einklang mit der Stimmung eines Großteils der rund drei Millionen im Vereinigten Königreich lebenden EU-Ausländer.

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Roth tritt leidenschaftlich für die paneuropäische Idee ein

Martin Roth war nachweislich der erfolgreichste V&A-Direktor seit Jahrzehnten. Er brachte einen groß angelegten Erweiterungsbau auf den Weg. Der jüngst eröffnete "1600-1815"-Flügel ist sehr gelungen. Ausstellungen über David Bowie und Alexander McQueen brachen alle Besucherrekorde. Gerade wurde das V&A zum britischen Museum des Jahres gekürt. Roth ist aber stets auch als Kulturmanager aufgetreten, der leidenschaftlich für die paneuropäische Idee eintrat. Für ihn war die EU bei allen Schwierigkeiten ein Friedensprojekt. Er machte kein Hehl daraus, dass er die Brexit-Entscheidung auch als "persönliche Niederlage" empfand: "Ich bin ein Verfechter der offenen Gesellschaft", so Roth. "Europa befindet sich auf Gegenkurs."

Der britischen Kulturlandschaft steht eine stärker insulare, monokulturelle Ausrichtung bevor

Wenn er nun nach fünf Jahren die Koffer packt - er will seinen Posten schon in diesem Herbst räumen -, dann ist das nicht das erste, wohl aber das bisher spektakulärste Indiz dafür, dass der britischen Kulturlandschaft bevorsteht, was im Falle des Brexit zu befürchten war: eine stärker insulare, monokulturelle Ausrichtung. Schon vor dem Referendum hatten sich Chris Dercon aus der Tate Modern und Christoph Vogtherr aus der Wallace Collection verabschiedet. Hartwig Fischer ist nun als Direktor des British Museum der einzige verbliebene Europäer an der Spitze eines großen Londoner Hauses. Natürlich gibt es genügend Briten, die diese Posten übernehmen können. Dennoch: Sollte sich der Trend zum Wegzug europäischer Spitzenkräfte wie Martin Roth fortsetzen, ist die drohende Gefahr einer Verarmung des britischen Kulturlebens nicht zu leugnen. Während die Politiker in Westminster noch über den Details des Brexit-Prozesses brüten, hat der kulturelle Brexodus bereits begonnen.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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