Kultur:Wie werden wir zusammenleben?

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Die Aufführungen an der Mailänder Scala sind vorerst bis nächste Woche abgesagt. Hier wird das entsprechende Hinweisschild fotografiert. (Foto: Antonio Calanni/dpa)

Die Maßnahmen gegen­ das Coronavirus treffen auch Kultur­einrichtungen.­ Denn nicht alle Kunsterlebnisse lassen sich so einfach­durch Streaming ersetzen.

Die zunehmende Ausbreitung des Coronavirus in Europa sorgt im Kulturbetrieb für immer mehr Absagen - und auch für skurrile Vorkommnisse. Der mittlerweile 85-jährige Modedesigner Giorgio Armani präsentierte am vergangenen Wochenende seine Kollektion auf der Mailänder Fashion Week ohne Zuschauer. Er wollte das Publikum nicht unnötig gefährden - oder es zumindest nicht zeigen. Die Show wurde vor leeren Rängen präsentiert und ins Internet übertragen. Zu sehen ist in dem Video eine schwarz verhangene, gespenstisch leere Szenerie, in der die Models den Laufsteg ablaufen, ohne dass jemand der Schau beiwohnt.

In Norditalien sind inzwischen viele Kulturveranstaltungen und Museen von den Maßnahmen gegen das Virus betroffen. In Mailand sind zum Beispiel, vorerst bis Anfang März, alle Aufführungen am Teatro alla Scala abgesagt und die berühmte Gemäldesammlung der Pinacoteca di Brera geschlossen. Auch sonst bleiben viele Theater- und Opernhäuser, Museen und Galerien zu. Die bedeutendste Messe für Kinder- und Jugendliteratur, La fiera del libro per ragazzi in Bologna, die Ende März beginnen sollte, ist zunächst auf Mai verschoben. Auch die wichtigste Möbelmesse der Welt, der Salone del Mobile in Mailand, wurde jetzt vom April in den Juni verlegt.

Nun fragt sich zunehmend: Für welche kulturellen Ereignisse braucht man ein physisch anwesendes Publikum? Live-Übertragungen von Konzerten, Lesungen oder Aufführungen per Streaming ins Internet zu übertragen, ist mittlerweile gängige Praxis, und das kann zumindest partiell einen Ersatz bieten. Eine Modenschau lässt sich vielleicht noch relativ einfach ohne Gäste präsentieren. Theater- und Opernaufführungen hingegen verlieren vor leeren Sitzreihen vollends ihren Sinn, und wie die Bühne ihr Publikum braucht, so tut es auch die Kinoleinwand. Besonders Messen und Festivals brauchen die Interaktion, nicht nur mit dem Publikum, sondern auch der Kunstschaffenden untereinander, die auf solchen Veranstaltungen ebenso ästhetische wie geschäftliche Kontakte pflegen.

In Italien fällt vieles aus, anderswo warten Festivals und Messen auf Anweisungen der Behörden

In der zeitgenössischen Kunst war, nachdem in vielen Städten Chinas das Kulturleben ohnehin brach lag, der Schweizer Ableger der Kunstmesse Art Basel in Hongkong das erste globale Kunstereignis, das wegen des Coronavirus abgesagt wurde. Die Absage ging maßgeblich auf das Drängen der Aussteller zurück, die in der unsicheren Situation nicht teure Transporte nach Asien finanzieren wollten. Auch die Pekinger Kunstmesse Jingart, für Mai geplant, wurde gestrichen. Wird es anderen Messen auch so ergehen? Die Frieze Los Angeles fand in der vergangenen Woche statt, sogar einige chinesische Galeristen waren dafür in die USA gereist. Das Auktionshaus Sotheby's hat die Auktionen, die für April in Hongkong geplant waren, nach New York verlegt.

Eine Berliner Pressekonferenz der Architektur-Biennale, die nach bisherigem Stand im Sommer in Venedig unter dem Motto "How will we live together?" stattfinden soll, wurde kurzfristig abgesagt und stattdessen ins Internet verlegt. Offensichtlich wollte man doch lieber niemanden aus Italien anreisen lassen. Ein klarer Trend für das weitere Vorgehen im Rest von Europa lässt sich daraus bislang aber nicht ablesen. Kuratoren, Museumsdirektoren, Galeristen und Künstler planen derzeit noch ihre Ausstellungen und Reisen wie gewohnt, außer in Fällen intensiver Kooperation mit Italien oder China. Sie verlassen sich darauf, dass deutsche Behörden gegebenenfalls Schließungen verfügen. Vorhersagen sind derzeit schwierig: Bei der Kunstmesse Art Cologne, die weiterhin im April stattfinden soll, so versichert Sprecherin Christine Hackmann, "beobachtet und bewertet" man die Situation zwar täglich, allerdings hätten sich auch erst zwei Galerien vorsichtig erkundigt, ob eine Absage im Raum stehe. Die Art Cologne hat allerdings den Vorteil, sehr national ausgerichtet zu sein, wie Daniel Hug, künstlerischer Direktor, zu bedenken gibt - nur eine Handvoll Aussteller reist aus China oder Italien an.

Während Ballettkompanien Gastspiele in Asien absagen, verhalten sich viele Kultureinrichtungen mit großen Menschenansammlungen in Europa noch abwartend. Die Wiener Staatsoper, die viele auswärtige Besucher hat, steht "in engstem Kontakt mit den Behörden", hat aber bisher keine Anweisungen, Aufführungen abzusagen. Die Leipziger Buchmesse soll übernächste Woche ohne Restriktionen stattfinden, ist aber auf eine "Meldekette für Verdachtsfälle" vorbereitet.

Auch die Berlinale als großes Film-Publikumsfestival findet dieser Tage wie gewohnt statt. Lediglich 118 Fachbesucher aus China haben ihre Teilnahme abgesagt, wie es von Festivalseite heißt. Darunter seien aber keine Gäste des Filmprogramms. Wie sich das Coronavirus auf das nächste große Film- und Musikfestival, das SXSW in Austin, auswirkt, hängt von seiner weiteren Verbreitung ab. Unterdessen kann sich der Kulturbetrieb auf sehr poetische Weise für virtuelle ästhetische Erlebnisse rüsten: Der botanische Garten von Shanghai, der fürs Publikum geschlossen ist, bietet in wunderschönen Videos Onlinetouren zur Kirschblüte an.

© SZ vom 27.02.2020 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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