Kultur:Verbrüderung auf der Bühne

Sag mir, wo die Blumen sind

Das Gedicht "In Flanders Fields" über den Ersten Weltkrieg hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der englischsprachigen Welt gegraben. Rezitiert wird es von den jugendlichen Schauspielern.

(Foto: Marco Gierschewski)

39 Schüler aus Frankreich, England und Deutschland hinterfragen in einem Theaterprojekt des Jungen Resi alte Feindschaften. Ausgangspunkt sind Recherchen zum Ersten Weltkrieg

Von Barbara Hordych

Der Weihnachtsfrieden, auf Englisch "Christmas truce", bezeichnete eine Waffenruhe während des Ersten Weltkrieges am 24. Dezember 1914 und an den folgenden Tagen. Schauplatz waren einige Abschnitte der Westfront, an denen es vor allem zwischen Deutschen und Briten in Flandern zu spontanen Fraternisierungen kam. Diese weihnachtliche Waffenruhe ist Hintergrund eines der berührendsten Momente in dem Theaterstück "Sag mir wo die Blumen sind", das am Donnerstag, 19. April, im Marstall Premiere hat. Die 15-jährige Laura stimmt allein das Lied "Stille Nacht" an, das nach und nach von ihren 38 Mitspielern aufgegriffen wird. Die kommen aus England und Frankreich, dementsprechend erklingt "Silent Night" und "Douce nuit". Da die gegnerischen Linien oft nur 50 bis 100 Meter voneinander entfernt verliefen, war es leicht möglich, mit dem "Feind" Sprechkontakt aufzunehmen. Sogar ein Fußballspiel im sogenannten Niemandsland soll es gegeben haben.

"Es gibt Bilder und Berichte von diesem Weihnachtsfrieden, die wurden aber in der deutschen Presse zensiert und niemals erwähnt. In England wurden die Bilder zwar gedruckt, kamen den Generälen und Offizieren aber auch nicht gelegen. Sie befürchteten, dass damit der Kampfwille gebrochen würde, wollten keine Fraternisierung", sagt Stefan Bues. Der ist Lehrer für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde am Werdenfels-Gymnasium in Garmisch-Partenkirchen. Kurz vor der Premiere des Theaterstücks sitzt er mit seiner Kollegin Christine Riesenhuber im Marstall-Cafe, die beiden Initiatoren schildern die Entstehung des Projekts.

Vor zwei Jahren schrieben die Lehrer die Kammerspiele und das Residenztheater an, um ihnen ein internationales Theaterprojekt zum Ersten Weltkrieg vorzuschlagen, mit Neunt- und Zehntklässlern aus Frankreich, England und Deutschland. Anja Sczilinski, die Leiterin des Jungen Resi, meldete sich sofort. "In unserem Jugendclub hatten wir sowieso schon darüber nachgedacht, mit einem Stück auf die politische Unruhe in Europa zu reagieren", sagt die Regisseurin, die nach der Probe zum Gespräch hinzugekommen ist. Als sie die Verfasser des Briefs persönlich kennenlernte, war sie überzeugt: "Mein Bauchgefühl sagte mir auf Anhieb, das sind zwei starke Partner, die das rocken". Die Gymnasiallehrer holten dann das Lycée Ozanam in Lille und die Bayhouse School in Gosport mit ins Boot, beantragten auch die Förderung als Erasmus-Projekt bei der Europäischen Union. Das Junge Resi übernahm die künstlerische Gestaltung, erarbeitete mit den Jugendlichen die Choreografie, sorgte für Dramaturgie, Regie und Musik.

Mehrere Wochen lang haben sich die Jugendlichen in den vergangenen zwei Jahren getroffen, erst in Lille, dann in Gosport und schließlich in Garmisch. Waren beieinander in den jeweiligen Familien zu Gast, besuchten gemeinsam die einstigen Schützengräben und Schlachtfelder an der Somme in Flandern. Lasen die Lebensjahre auf den Grabsteinen der riesigen Soldatenfriedhöfe ab, die sich nicht so weit von ihren eigenen Lebensjahren unterschieden. Recherchierten in Gedenkstätten wie dem Flanders Fields Museum in Ypern mit seiner Ausstellung zum Ersten Weltkrieg. Reisten nach London ins Imperial War Museum und setzten sich mit weiteren bewaffneten Konflikten seit dem Ersten Weltkrieg auseinander. In diesem Kontext ist auch die Hafenstadt Gosport, aus der die englischen Schüler kommen, geschichtsträchtig. Von dort aus waren im Zweiten Weltkrieg Landungsboote in Richtung Normandie aufgebrochen.

In die Szenen fließen auch die ganz persönlichen Gedanken mit ein, die den neuen Freunden bei der Beschäftigung mit den alten Feindschaften zu Zeiten ihrer Urgroßeltern kamen. Anfang dieser Woche reisten sie mit Bussen von Garmisch-Partenkirchen nach München, wo sie in einer Jugendherberge untergebracht sind. Während der Fahrt probten sie die damaligen Hymnen, die historisch stimmig sein sollten. Also sangen sie nicht die aktuelle deutsche Nationalhymne, sondern die "Kaiserhymne". "Wir haben dem irritierten Busfahrer dann den Grund erklärt, damit er nicht denkt, er kutschiert Anhänger der Jungen Alternative nach München", sagt Christine Riesenhuber.

"Heil dir im Siegerkranz" ertönt der Gesang noch etwas zaghaft aus den Kehlen der dreizehn Garmischer Mädchen und Jungen auf der Marstallbühne, so ganz textsicher sind sie noch nicht. Aber auch die dreizehn englischen Mitspieler haben ihre Stolpersteine zu meistern. Der Text der aktuellen Hymne "God save the Queen" muss abgewandelt werden, schließlich regierte 1914 mit Georg V. ein König die Monarchie. Also muss die Zeile richtig "God save the King" lauten, dazu gilt es, die Pronomen anzupassen. "He" statt "she", "him" statt "her". "Ich habe eben schon wieder Queen gehört", ruft Anja Sczilinski den Sängern zu. Da hat es die Gruppe der dreizehn französischen Schüler einfacher: Ihr sind Text und Melodie der "Marseillaise" von Kindheit an vertraut.

Sag mir, wo die Blumen sind; Do., 19. April, 20 Uhr, Fr., 20. April, 10.30 Uhr, Marstall

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