Kultur und Geld:Erschöpft vom Jammern

Man reibt sich die Augen über die aktuellen Erfolgsmeldungen: Soeben hat der Bundestag 400 Millionen Euro für Kultur bewilligt, die Gefahr des Kaputtsparens scheint abgewendet. Nun sollte endlich über Inhalte gestritten werden.

Jens Bisky

Wahlversprechen können also auch gehalten werden. Eine "zweite Gründerzeit" verhieß Angela Merkel im Jahr 2005, und am Freitag der vergangenen Woche beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestages ein Kulturinvestitionsprogramm in der erstaunlichen Höhe von 400 Millionen Euro (SZ vom 17. 11. 2007). Es profitiert die Stiftung Weimarer Klassik, für die 45 Millionen zur Verfügung stehen und die nun endlich das Stadtschloss sanieren, dort das Stiftungszentrum einrichten und die Jahre der Lähmung hinter sich lassen kann.

78 Millionen Euro bekommt die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten für ihren Masterplan zur Sanierung etwa des Neuen Palais im Park Sanssouci, der Schlösser in Charlottenburg und Babelsberg. 40 Millionen Euro gehen an den Denkmalschutz. Leicht lässt sich die Aufzählung fortsetzen: die Kulturhaupstadt Essen erhält drei Millionen mehr, die KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Dachau werden besser ausgestattet, Geld steht für das Freiheits- und Einheitsdenkmal bereit und auch Preise für "kulturell wertvolle Computerspiele" können ausgeschrieben werden.

Mit diesem Coup entzückte der Staatsminister für Kultur und Medien, Bernd Neumann, die Kommentatoren und überwältigte selbst Skeptiker und notorische Nörgler wie den Deutschen Kulturrat. Es sei ihm gelungen, erklärte der Geschäftsführer Olaf Zimmermann, "die bisherigen Erwartungen an sein Verhandlungsgeschick und seine Überzeugungskraft" zu übertreffen: "Chapeau: Kulturstaatsminister Neumann!"

In der Tat beeindruckend

Auch das leidige Problem der Berliner Opernhäuser geht einer Lösung verlässlich entgegen: 200 Millionen Euro stehen für die Sanierung der Staatsoper bereit. Noch pokern Bund und Land um den Hauptstadtvertrag, noch weigert sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, dem Diktat des Bundes in Sachen Flughafen Tempelhof zu folgen, aber die Instandsetzung des Hauses Unter den Linden ist ebensowenig gefährdet wie der Bestand der beiden anderen Opern. Wenn man sich nicht einigen werde, hat Wowereit in der vergangenen Woche erklärt, müsse Berlin die Mittel eben allein aufbringen. Es gab schon bedrohlichere Ankündigungen.

Verwundert reibt man sich über so viele kulturpolitische Erfolgsmeldungen die Augen: Im Sommer vermeldete der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz, es würden bis zum Jahr 2011 insgesamt 300 Millionen Euro in die Hauptstadtkultur investiert. Nun investiert auch der Bund: 400 Millionen zusätzlich sind bei einem Gesamtetat von 1,1 Milliarden in der Tat beeindruckend.

Als Neumann und Schmitz ihre Ämter antraten, hätte dergleichen niemand erwartet. Der Bremer CDU-Politiker war vor zwei Jahren mit Zurückhaltung und unverhohlener Ablehnung im Amt begrüßt worden. Ihm fehlte der Stallgeruch des Kulturbetriebes, den er durch organisatorische Tüchtigkeit erst allmählich für sich einnehmen konnte. André Schmitz genoss zwar das Vertrauen der Schöngeister und Fachleute, aber der Verzicht auf ein eigenständiges Kulturressort in Berlin weckte doch gewaltige Ängste. Nun zeigt sich, wie die öffentliche Meinung mit ihrer Neigung zum Alarmismus sich irren kann: Der Parteimann und der Staatssekretär agieren erfolgreicher als ihre Vorgänger.

Fast zerredet

Vor allem aber ist es stiller geworden, verdächtig ruhig. Während unter Christina Weiss und Thomas Flierl nahezu jede Entscheidung von Warnungen, Debatten, Schreckensszenarien begleitet wurde, wird nun nicht einmal gefragt, ob es denn sinnvoll ist, die Stiftung Festspielhaus Beethoven in Bonn mit 39 Millionen Euro - das ist mehr als der Jahresetat der Bundeskulturstiftung - zu fördern.

Drei große Firmen wollen dort, in unmittelbarer Nachbarschaft der Kölner Philharmonie, ein neues Konzertgebäude errichten. Offenkundig ist die Lobby der Bundesstadt noch immer recht einflussreich. Dass es eine Aufgabe der Kulturnation als Ganzes ist, ein Konzerthaus am Rhein zu bauen, mag man bezweifeln. Aber auch die Föderalisten der strengen Observanz, die Verfassungsfolkloristen, sind stiller geworden, seit sie von Bundeskulturgeldern profitieren.

Auf der nächsten Seite ist wohl doch noch nicht alles gut.

Erschöpft vom Jammern

Also ist am Ende alles gut, weil das nötige Geld vorhanden? Man wird nicht alle kulturpolitischen Diskussionen der vergangenen Jahre vermissen. Viele lebten ohnehin nur vom Erregungspotential der Zeitgeschichte. Das Deutsche Theater in Berlin wäre, aus Furcht vor dem alten Osten oder aus Sehnsucht nach dem anderen Blick, fast zerredet worden. Seit die Diskursgeschwader sich zurückgezogen haben, ist es eines der interessantesten Theater im Lande geworden.

Auch in der Frage, ob die Bundeskulturstiftung und die Kulturstiftung der Länder vereinigt werden sollten, bewährt sich der Pragmatismus, mit dem Bernd Neumann die von ihm anfangs energisch betriebene Fusion abgesagt hat. Beide kooperieren hier und da und konzentrieren sich ansonsten auf ihre jeweiligen Förderschwerpunkte.

Jedem Kind ein Instrument?

Die neue kulturpolitische Stille ist gewiss auch ein Ausdruck der Erschöpfung nach Jahren des Jammerns und Klagens, auch ein Zeichen der Überraschung, dass sich manches doch zum Besseren wendet. Vernünftig aber ist sie nicht. Die jetzt verabschiedeten Investitionsprogramme dienen in erster Linie dazu, sträflich lange Aufgeschobenes zu erledigen: In Berlin, Weimar und beim Weltkulturerbe der preußischen Schlösser und Gärten geht es immer noch um die Beseitigung der Teilungsfolgen. An anderen Stellen wird nachgeholt, was in den kargen Tagen um den Jahrtausendwechsel nicht bezahlt werden konnte. Ein kulturpolitisches Programm, eine "Zukunftsentscheidung" der Kulturnation, wie Bernd Neumann am Freitag sagte, ist damit kaum verbunden.

Darüber wäre jetzt, da die unmittelbare Gefahr des unaufhörlichen Kaputtsparens abgewendet scheint, zu streiten. Etwa über die Methoden und Programme der kulturellen Bildung. Zwar gibt es manche vollmundig angekündigten Projekte, denen zufolge jedem Kind ein Instrument in die Hand gedrückt werden soll.

Aber was ist damit gewonnen, wenn - wie in der jüngsten Ausgabe der Zeitung des Deutschen Kulturrates nachzulesen - etwa in Hamburg nicht einmal die Grundversorgung der Grundschüler mit Musikunterricht gesichert ist? Warum hat die Rede Horst Köhlers zur Eröffnung der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar nicht eine Debatte über Zustand und Zukunft der öffentlichen Bibliotheken des Landes ausgelöst?

Das Schöne und Wahre

In den Bibliotheken auf dem Lande oder in den Problemkiezen entscheidet sich, ob das Erbe, das mit viel Geld bewahrt wird, künftigen Generationen noch etwas bedeuten kann oder ob es nur noch von denen genutzt werden wird, die im Elternhaus ohnehin zum Musizieren und Verselesen verleitet werden. Das Programm "Kultur für Alle", so gestanden Fachleute unter den Sozialdemokraten vor kurzem ein, sei weitgehend gescheitert.

Dennoch stehen sowohl im SPD-Programm als auch in dem der CDU wohl klingende Sätze über die staatstragende, Gesellschaft erhaltende Rolle der Kultur und der Künste. Diesem Gegensatz wird man sich stellen müssen, sonst wären all die Beteuerungen über die segensreichen Wirkungen des Schönen und Wahren bloß Masken von Gruppeninteressen.

Die Sparrunden der Neunziger haben es leicht gemacht, über Kulturpolitik zu reden und sich dabei auf der Seite der Guten zu wähnen. Nun wäre es an der Zeit, über die Inhalte, über das Ineinander von Bildung und Kunstförderung zu streiten.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: