Kultur und Einwanderung:Die Lieder der anderen

große Feier in der Jugendbegnungsstätte in Oberschleißheim für die Flüchtlinge und Helferkreise

In der Jugendbegegnungsstätte Oberschleißheim singen afrikanische Jugendliche.

(Foto: Florian Peljak)

Alle lieben Musik, alle erzählen von sich und der Welt: Kunst und Kultur scheinen prädestiniert zu sein, Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak oder Nigeria zu integrieren. Aber in Wahrheit trennt die Menschen nichts mehr als die Kultur.

Von Sonja Zekri

Zu den schönsten Argumenten für eine liberale Flüchtlingspolitik gehört der Verweis auf prominente Entwurzelte aus der deutschen Geisteswelt. Würden Brecht und Adorno, Döblin, Feuchtwanger und Fromm heute Aufnahme finden, wenn sie, wie damals, unerträglichen Zuständen entkommen wären? Wie würde man mit ihnen umgehen?

Es war ein starkes Argument, eines, das mit aller Dringlichkeit der deutschen Geschichte vorgetragen wurde. Und das lange ziemlich verpuffte. Flüchtlingsarbeit war etwas für ultrabewegte Zopfpulliträger aus dem Eine-Welt-Haus. Für wenige Unermüdliche. Das hat sich geändert.

Tausende Menschen ertrinken pro Jahr im Mittelmeer, andere schleppen sich entkräftet und halb verdurstet auf der italienischen Insel Lampedusa an Land. Der Bürgerkrieg in Syrien - den niemand gewinnen und niemand verlieren kann, den inzwischen überhaupt kaum noch jemand versteht - hat das halbe Land entwurzelt, in die Nachbarstaaten getrieben, Jordanien, Libanon, die Türkei, und ein Bruchteil kommt neuerdings auch in Deutschland an. Auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel werden Flüchtlinge aus Afrika, meist auf dem Weg nach Israel, von Beduinen in Folterlagern gequält, bis ihre Angehörigen Lösegeld zahlen.

Aber viele Menschen, bis weit in die bürgerliche Mitte - und Pegida mit seinen Ablegern ändert daran wenig -, betrachten dieses unbeirrte Anrennen, dieses Festhalten an einem Traum von Europa, diese gigantischen Völkerwanderungen inzwischen weniger als Bedrohung, sondern als das, was es vor allem ist: als eines der fundamentalen Themen der Zukunft, vor allem aber als millionenfache menschliche Tragödie. Und sie lassen sich rühren. Fern der Politik, fern der Parteien und der Talkshows hat sich eine Hilfsbereitschaft entwickelt, die weniger moralisch als praktisch auftritt, die sich als Begleitung bei Arzt- und Anwaltsbesuchen äußert, bei Gesprächskreisen, Wohnungssuche oder durch Übersetzungshilfe.

Es ist eine Stimmung, die auch die Kunst, ja vielleicht als Erstes die Kunst ergriffen hat. Shermin Langhoff, Tochter türkischer Einwanderer und verheiratet mit Lukas Langhoff, dem Sohn des Regisseurs Thomas Langhoff , hat ihre gesamte Intendanz am Gorki-Theater in Berlin unter das Großthema Einwanderung gestellt. Vor ein paar Jahren noch wäre ein so unverblümtes politisches Engagement fast anstößig gewesen, Verrat am ästhetischen Auftrag. Inzwischen aber - die Zeiten sind hart, die Krisen mannigfach - ist Ernst keine Schande mehr.

In der Literatur finden Bücher von Einwanderern der ersten und zweiten Generation höchste Aufmerksamkeit. Saša Stanišić , der als Kind vor dem Krieg in Ex-Jugoslawien floh, gelang der Durchbruch mit seinem Roman "Wie der Soldat das Grammofon repariert" über seine Kindheit in Bosnien. Und dass er sich für sein späteres Werk "Vor dem Fest" rechtfertigen musste, weil es eben kein Migrantenschicksal, sondern die Uckermark beschrieb, zeigt, positiv gesehen, auch, wie groß die Erwartungen an dieses Thema und das Interesse daran inzwischen sind.

Kultur polarisiert und konfrontiert

Und gerade Kunst und Kultur scheinen ja prädestiniert zu sein, jene Fragen zu beantworten, die die Neuankömmlinge wie jede Veränderung im sozialen Gefüge aufwerfen: Wer sind wir? Und: Können wir so bleiben? Kultur verbindet, sie ist das eleganteste Instrument der Integration. Ob Ghana oder Gütersloh: Alle lieben Musik, erzählen von sich und der Welt. Der Drang, sich schöpferisch auszudrücken, ist universell. Wenn diese Sehnsucht sich nicht eignet, um einander näherzukommen - was dann?

Die Wahrheit aber ist: Nichts trennt die Menschen mehr als die Kultur. Wenn die Neuankömmlinge alle erforderlichen Dokumente vorweisen können, um dauerhaft bleiben zu können, wenn sie Arbeit haben und Geld verdienen, Steuern zahlen, ihre Kinder in die Schule schicken und wählen gehen, wenn sie wirtschaftlich, politisch, auch sozial gleichwertige Mitglieder der neuen Gesellschaft geworden sind, dann werden sie Jahre, Jahrzehnte, vielleicht bis an ihr Lebensende einen Rest Fremdheit spüren, eine Distanz, ein unüberbrückbares Anderssein, sobald sie Kulturelles berühren. Sie sind mit diesen Rhythmen aufgewachsen, nicht mit jenen, haben den Klang einer Oud im Ohr und nicht einer Gitarre, kennen andere narrative Traditionen, vielleicht kein Theater, sondern mündliches Erzählen, leben in einem Kulturraum, der von der Religion geprägt ist oder in gänzlich unfreien Gesellschaften.

Diese kulturellen Prägungen lassen sich ergänzen, erweitern, aber nie ersetzen. "Wo ich bin, ist Deutschland", Thomas Manns berühmter Satz im amerikanischen Exil, verriet deshalb einerseits Größenwahn, aber auch viel von der kalten Einsamkeit des Emigranten. Kultur, so oft als große Harmonisiererin, als Gleichmacherin verstanden, polarisiert und konfrontiert.

Das alles ist kein Grund zur Verzweiflung. Auch Einsamkeit kann produktiv sein. Und schon die nächsten Generationen der Einwanderer verschmelzen neue und alte Kultur sehr viel leichter. Für die Mehrheitsgesellschaft, da kann Pegida noch so krakeelen, ist der Leidensdruck ohnehin viel geringer. Sie kann sich von den ungeheuerlichen Schicksalen in den Bann schlagen oder vielleicht auch nur rühren lassen, von Geschichten, wie sie auch Europa einst hervorgebracht hat. Aber sie muss es nicht.

Die Kunst hingegen hat sich längst entschieden. Sie will erzählen von gefahrvollen Reisen, glücklicher Ankunft oder entsetzlichem Scheitern, von atemberaubenden Dramen und damit von phantastischem künstlerischen Material. Manchmal bleibt es dabei. Die eher träge Filmindustrie produziert immer wieder Werke über Flüchtlinge, aber von nennenswertem Engagement für die Menschen hört man wenig.

Andere sind schneller, exponieren sich, ja, riskieren sogar etwas. Amelie Deuflhard, Intendantin des Kampnagel-Theaters in Hamburg, handelte sich eine Anzeige der AfD ein, weil sie auf ihrem Gelände eine Winterunterkunft für Flüchtlinge aus Westafrika geschaffen hatte. Wieder andere, etwa die Popmusik, der Hip-Hop, müssen keine Hürden überwinden: Pop wird auch im letzten Winkel der Welt gehört. Für alle aber gilt: Die Kunst stellt sich der neuen Realität, inszeniert und dokumentiert sie, spitzt sie zu, aber sie exponiert sich auch, gestaltet und hängt sich rein.

Auf dieser Seite stellen wir fünf Wege vor, auf denen Kultur und Flüchtlinge einander näherkommen. Wenn es gut läuft, werden beide Seiten sich verändern. Ganz sicher aber werden sie so bleiben, wie sie sind.

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