Kultur-Report über brotlose Kunst:Neues vom Kreativprekariat

Seit Natalie Portman sich mit "Black Swan" den Oscar ertanzte, erlebt die Ballettwelt einen Boom. Doch echte Tänzer und Theaterkünstler leben immer öfter am Rande des Existenzminimums, wie eine Studie zeigt.

Sie sind hochflexibel, überdurchschnittlich gebildet, engagiert und kinderlos, organisieren sich zum großen Teil als selbstständige Kleinunternehmer - und stehen finanziell miserabel da. Ihr Durchschnittseinkommen ist lächerlich gering, soziale Absicherung so gut wie nicht vorhanden, fast allen droht die Altersarmut. Wie viel erschreckende Wahrheit in der Redewendung von der brotlosen Kunst steckt, belegt jetzt der "Report Darstellende Künste" über die wirtschaftliche, soziale und arbeitsrechtliche Lage der Theater- und Tanzschaffenden in Deutschland.

Wiederaufnahme 'Illusionen - wie Schwanensee', dpa

Sieht schön aus, ist aber oft allzu schlecht bezahlt: Der Arbeitsalltag von Theater- und Tanzkünstlern ist in vielerlei Hinsicht anstregend.

(Foto: dpa)

Vorgelegt wird das mehr als 700 Seiten dicke Werk vom Fonds Darstellende Künste in Zusammenarbeit mit der Kulturpolitischen Gesellschaft. Grundlage des schwer zu lesenden, aber fast erschlagend informativen Bandes sind nationale und internationale Studien, die Ergebnisse eines Symposiums, eine Fragebogenaktion und Interviews.

Die bilden die ernüchternden Arbeits- und Lebensbedingungen deutscher Tanz- und Theaterkünstler schnörkellos ab - in bemerkenswerten Aufsätzen über die Rolle der Künstler und ihre gesellschaftlichen Aufgaben, meistens aber in nackten Zahlen, die für sich sprechen. Die Aussagen der empirischen Studie sind für die freien und selbstständigen professionellen Theater- und Tanzschaffenden repräsentativ, aber nicht für die an festen Häusern sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.

Trauriges Fazit: "Für die Mehrheit der Theater- und Tanzschaffenden hat sich die wirtschaftliche und soziale Lage in den letzten Jahren deutlich verschlechtert." Weil etwa 50 Prozent der darstellenden Künstler von ihrer Kunst allein nicht leben können, müssen sie mit anderen Berufen Geld verdienen.

Sie versuchen sich notgedrungen im freien Unternehmertum als Selbstständige, sind auf besser verdienende Partner angewiesen oder bekommen noch lange von den Eltern etwas zugesteckt - sofern die dazu in der Lage sind. Selbstmanagement gehört dazu, wenn man wie 62 Prozent der darstellenden Künstler in anderen Orten als dem Wohnort tätig ist (davon 47 Prozent im Ausland). Und wenn man, in Zeiten kommunaler Finanznot bedroht von Subventionskürzungen oder Strukturreformen, jederzeit sozusagen von der Bühne gefegt werden kann.

Wen wundert es da, dass 66 Prozent kinderlos sind. Das durchschnittliche Einkommen eines freien darstellenden Künstlers beträgt rund 12 300 Euro - im Jahr, nicht im Monat. Damit liegt es etwa 40 Prozent unter dem aller Arbeitnehmer in Deutschland einschließlich geringfügig Beschäftigter. Aus der günstigen Künstlersozialkasse fallen viele heraus oder werden gar nicht erst aufgenommen, wenn sie zu wenig im rein künstlerischen Bereich verdienen.

Geld für private Altersvorsorge ist da nicht vorhanden, Altersarmut programmiert. Wer die Selbstständigkeit wählt, muss sich dann auch selber versichern, doch wovon? Das geht heute vielen so? Stimmt.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Selbstausbeutung in der Kunst Tradition hat.

Schwindende Solidarität

Auch die "Generation Praktikum" kämpft mit ähnlichen Problemen. "Prekäre Soloselbstständigkeit ist ein allgemeingesellschaftliches Problem geworden", sagt ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums. Immer mehr Menschen fallen durch die Maschen des sozialen Sicherungsnetzes. Eine Kommission werde sich daher ab April auf Bundesebene mit der Bekämpfung von Altersarmut und der Anpassung von Rentenversicherungen befassen.

Künstler jedoch klagen meistens nicht - jedenfalls nicht laut und leider auch kaum auf politischer Ebene. An den Mangelzustand, an Unsicherheit und Auftragsflauten sind sie gewöhnt - 63 Prozent sind laut Report vier bis fünf Monate im Jahr nicht mit Aufträgen eingedeckt. Eine Neustrukturierung des Subventionssystems sowie ein Umbau der Theaterlandschaft sind nach Ansicht vieler "Report"-Autoren längst überfällig.

Stetig sinkende Kulturhaushalte - mit den jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben für Kunst und Kultur von 100 Euro rangiert die "Kulturnation Deutschland" im europäischen Vergleich nur im unteren Mittelfeld - führen zu Verteilungskämpfen zwischen freien Künstlergruppen und staatlichen Bühnen, stellen sie fest. Manche machen eine schwindende Solidarität unter den Künstlern aus.

Die Theatermacher Matthias von Hartz und Tom Stromberg wissen aus Erfahrung: "Theater jenseits der Stadttheater ist noch immer skandalös schlecht finanziert und medial unterrepräsentiert." Für viele gehört die prekäre Lage zur Künstlerexistenz fast dazu - Selbstausbeutung statt (Lebens)kunst. Schließlich verdiente schon Lessing sein Geld als Bibliothekar, Kafka ("Der Hungerkünstler") ging seinem verhassten Job bei einer Versicherung nach und Hölderlin etwa verdingte sich als Privatlehrer.

Allerdings ist aus dem Poeten in der Dachkammer, den Spitzweg einst so romantisierend porträtierte, längst ein Hartz-IV-Empfänger oder verschuldeter Kleinunternehmer geworden.

Angesichts der ruinösen Bedingungen fordert Kulturwissenschaftler Wolfgang Schneider in seinem Essay mit einem Augenzwinkern: "Theater- und Tanzschaffende vereinigt euch - und seid in der Kulturpolitik so mutig wie in der Kunst!"

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