Pro und Contra Kulturreisen:Contra: Kunst hat eine schlechte Klimabilanz

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Gedrängel vor der Mona Lisa - ein Bild aus vergangenen Zeiten, die vielleicht nie wiederkommen. (Foto: Jacky Naegelen/Reuters)

Europa hat die Freizügigkeit zurück. Soll, darf, will man nun auch wieder auf Kulturreisen gehen? Es gibt viele Gründe dafür. Und ebenso viele dagegen.

Von Catrin Lorch

Museen zu schließen ist wesentlicher einfacher, als sie wieder zu öffnen", sagt eine nachdenkliche Frances Morris kürzlich im Interview mit dem britischen Radiosender BBC. Danach thematisierte die Direktorin des Londoner Museums Tate Modern allerdings nicht die Maskenpflicht, Einbahnstraßen durch Ausstellungen, die Frage, wie häufig Waschräume desinfiziert werden müssen oder wie man die Warteschlangen aufstellen wird. Ob es Warteschlangen nämlich überhaupt wieder geben wird, daran zweifelt man beim Zuhören. "Die Frage ist, ob wir unsere Prioritäten richtig gesetzt haben", sagt die bis vor Kurzem noch global agierende Kulturmanagerin. "Wir leben hier in London unter Millionen Menschen - und die sind unsere Besucher. Wir arbeiten künftig vor allem für das lokale Publikum."

Und auch Frances Morris' Kollege Eike Schmidt, Direktor der Uffizien in Florenz, setzt derzeit nicht mehr auf Kunsttouristen. Stattdessen schwärmte er gerade im Deutschlandfunk davon, dass die Galerien in seinem Haus jetzt so weitläufig und leer sind wie in Lord Byrons Zeiten, dem Urahnen des modernen Kunsttouristen, weil nicht einmal ein Bruchteil der 450 pro Tag erlaubten Besucher kommen. Die Warteschlangen vor Blockbuster-Ausstellungen und Mega-Retrospektiven, die das Bild für den Kunstboom der vergangenen Dekaden waren, sie werden verschwinden, und es ist derzeit nicht nötig, Berechnungen anzustellen, wie lang so eine Besucherschlange wird, wenn man zwei Meter Sicherheitsabstand kalkuliert. Sie rechnen sich nicht mehr. Weder in der Tate Modern, diesem gewaltigen, für die Kunst umgebauten Kraftwerk an der Themse, noch im Louvre, der für seine vielen Tausend Besucher eine unterirdische, von einer Pyramide bekrönte Eingangshalle baute.

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Kuratoren erfolgreicher Häuser mussten auf Tourismus-Börsen eine gute Figur machen

Die Ära des Kunsttourismus geht zu Ende. Es scheint, als erfülle sich unverhofft die Forderung des Aktivisten und Künstlers Gustav Metzger, der schon vor Jahren Flugblätter mit dem Slogan "Reduce Art Flights" bedruckte, weil er in der um die Welt jettenden Kunstszene und den in ihrem Schlepptau buchenden Kunstreisenden mit ihrem Kerosinverbrauch als Klimabedrohung erkannte. Doch es ist nicht allein die Vernunft, die aus den Plänen von Frances Morris und ihren Kollegen spricht, und nicht nur die Einsicht, dass da, wo Menschen reisen und zusammentreffen, auch Viren unterwegs sind. Den Kunstmanagern bleibt überhaupt keine Wahl. Es sind wirtschaftliche Gründe, die ihr Handeln und Planen bestimmen für eine Epoche, die man als "post-global" apostrophieren muss.

Die Museen, die nach dem Lockdown ihre Einnahmeausfälle zu verkraften haben, stellen sich auch darauf ein, dass öffentliche Mittel schwinden werden. Der Staat braucht Geld zur Bekämpfung von Corona, das Steueraufkommen sinkt, wovon vor allem die Städte - häufig Träger von Museen - betroffen sind. Und die Kunsttouristen, die in diesem Frühjahr während des Lockdowns plötzlich ausblieben, sind in allen Kalkulationen ab sofort eine unbekannte Größe. Auf die können Häuser wie die Münchner Pinakotheken oder die großen Berliner Museen genauso wenig zählen wie der Pariser Louvre.

Aber nicht nur für den Normalbetrieb der Sammlungen und Dauerausstellungen wird es eng. Auch Blockbuster lassen sich unter den neuen Bedingungen kaum noch realisieren. Die hunderttausend Besucher, die in Köln zur Hopper-Ausstellung kamen, das Millionenpublikum, das zu den großen Gerhard-Richter-Retrospektiven in Paris, London und Berlin anreiste, solche Besuchermassen wird man unter den neuen Hygienebestimmungen nicht mehr durch die Museen schleusen können, selbst wenn Lauf- und Öffnungszeiten verlängert werden.

Ausgerechnet die kritische, zeitgenössische Kunst hinterlässt eine miese Klima-Bilanz

Doch Frances Morris offenbarte überraschend, dass die Museen auf all das schon längst vorbereitet seien. Schon vor dem Ausbruch von Corona war abzusehen, so die Direktorin des wohl einflussreichsten Museums für zeitgenössische Kunst, dass ihre Zielgruppe (und deren Kinder) nicht nur Ausstellungsprogramm und Sammlung kritisch hinterfragen, sondern auch die Anstrengungen, die das Haus in Bezug auf Klimaschutz unternimmt. "Unsere Gebäude verbrauchen 26 000 Tonnen CO₂ im Jahr", rechnet Frances Morris vor, "260 000 Tonnen werden dagegen von unseren anreisenden Besuchern verursacht." Ein Faktor zehn, den ihr Publikum sehr wohl bemerkt. "Es geht nicht nur darum, was wir tun", gibt sie zu bedenken, sondern die Gesamtbilanz des Tuns.

Die Vernunft gebietet also zu planen, was man ohnehin zu tun gezwungen ist: lokal zu werden. Das wird der reiselustigen Szene schwerfallen. Und man muss festhalten, dass der Kunsttourismus einen Teil des Erfolges der Kunst und ihres Booms ausgemacht hat. Museen haben längst Kirchen und Schlösser in der Hierarchie der Kulturreiseziele überholt. Auch weil sich die spektakulären Neubauten auf das Publikum eingestellt hatten, das sich dort nicht als Tourist, sondern als Flaneur, als Kulturmensch fühlte, Museums-Gastro und Shops inklusive, wo vorher nur Kaffee in Pappbechern, Postkarten und Kataloge verkauft wurden. Ob man dem Ort dabei überhaupt noch nahekam, wenn man nicht länger nach Venedig, sondern "zur Biennale" reiste und die Renaissance in London erlebte?

Dass man Touristen als Besuchergruppen erschließen konnte, hat zuletzt die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Gerade die Kuratoren erfolgreicher Häuser mussten nicht nur wissenschaftlich brillieren und mit Vorträgen auf Kunstmessen das Fachpublikum und die Sammler überzeugen, sondern auch auf Tourismusbörsen eine gute Figur machen.

Kulturfunktionäre wie Paolo Baratta, Präsident der Biennale von Venedig, durften sich öffentlich von den Kuratoren der Weltkunstschau wünschen, doch bitte "nicht so verkopfte Ausstellungen mit so viel sprödem Videozeug" abzuliefern und das internationale Publikum vor der Kulisse der Lagunenstadt stimmungsvoll zu verzaubern.

Dem wird man nicht nachtrauern. Dass ausgerechnet die kritische, zeitgenössische Kunst eine miese Klimabilanz hinterlässt, ist zutiefst widersinnig. Eine neue Museumskultur könnte das Karussell zunächst schon dadurch verlangsamen, dass künftig entweder die Werke reisen oder die Betrachter. Nicht beide. Und darauf hoffen, dass die Blockbuster-Touristen der Kunst treu bleiben und, statt teure Flugtickets zu buchen, sich vielleicht mit der gleichen Begeisterung den Ausstellungen und Sammlungen der Museen und Galerien zuwenden, die sich mit dem Nahverkehr oder der Bahn erreichen lassen. Gerade für das deutsche Publikum gäbe es ja einiges zu entdecken: den eigenen, überaus reichen Kunstbesitz.

© SZ vom 04.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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