Kultur-Quiz:Die Vermessung des Blicks

50. Jahrestag des Starts der ´Apollo 11"

Schnitt auch in Frankreich gut ab vom Bekanntheitsgrad her: Die New Yorker Freiheitsstatue.

(Foto: J. David Ake/dpa)

Eine französische Studie fragt nach dem Kunstverständnis der Bürger. Mit 91 Prozent steht New Yorks Freiheitsstatue auf Platz eins der Wiedererkennbarkeit.

Von Joseph Hanimann

Wenn am Tag des Denkmals viele zu den Bauwerken drängen oder bei Ausstellungen die Leute Schlange stehen, freut sich auch die Politik. Kulturpolitik rechtfertigt ihren Aufwand mit Kurven. Wie sie zu deuten sind, was beim Publikum von den Veranstaltungen hängen bleibt, ist eine andere Frage. In Frankreich untersucht das Kulturministerium seit 1973 alle zehn Jahre das Kulturverhalten der Bürger: wie viele Bücher gelesen, Museen besucht, Konzerte gehört? Neuerdings wenden sich die Studien auch inhaltlichen Gesichtspunkten zu. Eine jetzt veröffentlichte Erhebung aus dem Jahr 2018 unter dem Titel "Connaissances artistiques des Français" hat den Fokus auf die Bereiche Kunst und Architektur gesetzt mit der Hintergrundfrage: Wie weit kennt sich der Durchschnittsfranzose aus? Hat der Umgang mit Bildern im Internet zu mehr Verständnis geführt?

Mit 91 Prozent steht New Yorks Freiheitsstatue auf Platz Eins der Wiedererkennbarkeit

Befragt wurden 2300 Personen anhand eines Bilderquiz, bei dem sie Bauwerke einem Stil oder einem Ort, Bilder einem Maler, Bilderfolgen der Chronologie ihrer Entstehung zuordnen und in einer Auswahl von Gemälden desselben Malers angeben mussten, welches Bild von einem anderen Künstler stammt. Die aus den richtigen und falschen Antworten sich ergebende Streuung wurde in vier Gruppen aufgeteilt: "Anfänger", untere und obere Mittelgruppe sowie "ausgewiesene Kenner". Zu je einem Viertel decken diese vier Gruppen die Gesamtbevölkerung ab. In Hinsicht auf Alter, Geschlecht, soziale Herkunft, Bildungsgrad, städtische oder ländliche Wohnverhältnisse wurden sie dann aufgefächert. Vieles war zu erwarten, dass etwa die "Kenner" vornehmlich aus gebildeten, sozial bessergestellten, eher älteren Museumsgängern in städtischer Wohnlage, die "Anfänger" hingegen aus Leuten einfacherer Herkunft ohne regelmäßigen Umgang mit Kulturinstitutionen bestehen.

Einige interessante Einblicke kamen dennoch heraus. Zum Beispiel der über den Umgang mit Nichtwissen. Gingen die "Anfänger" bei Fragen, auf die sie keine Antwort wussten, oft direkt zur nächsten Frage über, standen die anderen Gruppen meistens zu ihren Wissenslücken und kreuzten das Feld "weiß nicht" an. Auch fühlten sie sich ermutigt, lieber falsche als gar keine Antworten zu geben, während die "Anfänger" auf eine Antwort verzichteten: Wissen erlaubt ein unbefangeneres Verhältnis zum Nichtwissen.

Den breitesten Sockel eines gemeinsamen Grundwissens bilden Bauten und Denkmäler im öffentlichen Raum. Mit 91 Prozent richtigen Antworten steht die New Yorker Freiheitsstatue auf dem ersten Platz der Wiedererkennbarkeit. Um die 80 Prozent der Befragten vermochten die Baustile von Gotik, Renaissance und Art déco zu unterscheiden, und 77 Prozent identifizierten richtig die Tonsoldaten der Grabstätte von Kaiser Qin Shi Huang. Schwieriger ist es mit der Malerei. Waren immerhin 79 Prozent der Befragten imstande, neben drei Vermeer-Bildern Hans Holbeins "Porträt des Kaufmanns Georg Gisze" als nicht dazugehörig zu erkennen, so waren es nur vier Prozent, die einen Matisse aus drei Picasso-Bildern auszusortieren verstanden.

Insgesamt geht aus der Studie hervor, dass wichtiger als die Herkunft oder das Bildungsniveau der Befragten der regelmäßige Umgang mit den Werken bei Museumsbesuchen ist. Darin liegt ein Anreiz und zugleich eine Warnung: Die Verfügbarkeit der Bilder, mit der in den vergangenen Monaten die Museumsschließungen wettgemacht wurden, bietet einen stimulierenden Einstieg, reicht aber für ein dauerhaftes Kunstverständnis nicht aus. Die Statistiker dürfen an dieser Stelle abtreten, Politiker mit Sinn fürs Besondere sind nun gefragt.

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