Süddeutsche Zeitung

Kultur:Partner in der Hitfabrik

Christian Gerhaher singt bei den Bamberger Symphonikern die Uraufführung von Jörg Widmanns Liedzyklus "Das heiße Herz"

Von Egbert Tholl

Die Anweisung für die letzten Takte hätte Jörg Widmann gar nicht in die Partitur schreiben müssen. Sie lautet: "Die Sau raus, dem Affen Zucker!" Ist eh klar. Der "Bamberger Marsch", den nun Widmann den Bamberger Symphonikern als Zugabe übergab, ist wohlbekannt, in diversen Derivaten, ursprünglich herausgeschält aus der Oper "Babylon" (2012). Hört man das Stück wieder, ist man verblüfft, wie schnell es altert. Was beim ersten Hören ein sardonisches Grinsen verursachte, durchschaut man nun schnell als virtuos gesetzten Effekt.

Aber ist das schlimm? Letztlich bleibt sich Jörg Widmann als Komponist einfach treu, und so kann man den Marsch als Beipackzettel zur Uraufführung seines Liedzyklus' "Das heiße Herz" empfinden. Den Zyklus komponierte Widmann bereits 2013 in einer Klavierfassung, basierend auf einer sehr geistreichen Auswahl von Gedichten von Klabund, Heine, Brentano, Peter Härtling und aus "Des Knaben Wunderhorn". Schon damals dachte er an Christian Gerhaher als idealen Sänger dafür, nun war die Orchesterfassung fertig gestellt und Gerhaher führte sie in Bamberg auf, mit den Bamberger Symphonikern, deren Residenzkünstler er in dieser Saison ist, und deren Chefdirigenten Jakub Hrůša. Die Bamberger wurden gerade vom Deutschen Musikverleger-Verband für das beste Konzertprogramm der laufenden Saison ausgezeichnet. Dieses Konzert liefert dafür ein weiteres Argument, denn es ist sauber durchkomponiert.

Zu Beginn hat Jakub Hrůša ein paar Minuten Zeit, den herrlichen Klang der Bamberger auszubreiten: Janáčeks "Žárlivost" ist ein lyrisches Minidrama mit überfallartigen Einfällen, wunderbar farbig im Bamberger-Sound, Silberfolie auf warmen Waldboden. Dann Widmanns Zyklus, nach der Pause Rachmaninows "Symphonische Tänze" und schließlich Widmanns Rausschmeißer. Rachmaninows "Tänze" korrelieren trefflich mit Widmanns Musik. Beide sind Eklektiker, beide haben keine Scheu vor Kitsch. Das sentimentale Saxofon bei Rachmaninow ist stets eine abgefeimte Nummer, die "Tänze" sind durchaus beliebt im Konzertbetrieb, auch weil sie eine tolle Präsentationsplattform für ein brillantes Orchester sind. Immer wieder wird ein Klanggemälde aufgespannt, als führe der Wind mit voller Stärke in die Leinwand eines Segels.

Jörg Widmann verfügt mehr als 70 Jahre später natürlich über einen ganz anderen Fundus, hat auch mehr Chuzpe. Doch bei allem enormen handwerklichen Können hat man manchmal den Eindruck, er lösche mit seinem Spieltrieb aus, was er gerade an lyrischem Feinsinn erfunden hat. Natürlich sind die Gedichte teilweise aberwitzig, legitimiert der Text jeden Einfall. Aber zum Beispiel das achte, das letzte Lied, "Einsam will ich untergehn" (Brentano): In den ersten beiden Versen schreitet Gerhahers Stimme ohne jede Begleitung in Stufen hinab, umfängt einen mit Düsternis und Todesahnung, adelt den ganzen Zyklus. Dann schieben sich langsam gläserne Klänge unter die Worte, aus Musik und Gerhahers Stimme entsteht eine fabelhafte Beschwörung. Doch die ist, zack!, vorbei, in der vorletzten Strophe, eine Musical-artige Blähung bläst sie weg, und am Ende schafft Widmann nicht mehr die Transformation des Banalen. So geht Kitsch - und weder Hrůša, das fantastisch musizierende Orchester noch Gerhaher können daran etwas ändern.

Doch freilich: Da sind echte Hits drin. Ein Lied übers Kartenspiel, bei dem der Dirigent einen Vers mitsingen muss (Wunderhorn); ein absurdes Drama über Eifersucht (Klabund); eine Miniatur über ein "Ringlein am Finger" (Wunderhorn) wie eine Komprimierung von Mahler und der Wirtshausszene aus Bergs "Wozzeck". In der Summe dann doch sehr gute Unterhaltung, toll interpretiert.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2018
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