Kultur:Jüdisch ozapft

Kultur: Dass Purim als jüdischer Karneval gilt, hat viel damit zu tun, dass es wie Fasching im Frühling stattfindet. Ein fataler Fehler: Fröhliche Menschen in verrückten Kostümen, die tief ins Glas schauen - eigentlich schreit das doch geradezu nach Oktoberfest.

Dass Purim als jüdischer Karneval gilt, hat viel damit zu tun, dass es wie Fasching im Frühling stattfindet. Ein fataler Fehler: Fröhliche Menschen in verrückten Kostümen, die tief ins Glas schauen - eigentlich schreit das doch geradezu nach Oktoberfest.

(Foto: Ben Gershon)

Die Ausstellung "Jewy Louis auf Rollen" zeigt Comicstrips des jungen niederländischen Zeichners Ben Gershon. Der Eröffnungsabend ist von Witz und Selbstironie geprägt, aber es gibt auch nachdenkliche Töne

Von Maxie Römhild

Sitzen sich ein Jude und ein Rabbiner am Tisch gegenüber, vor ihnen zwei Weingläser. Fragt der Jude: "Rabbi, was denken Sie: Sind diese Gläser halb voll oder halb leer?" Der Rabbi überlegt, greift zur Weinflasche und sagt: "Ich denke einfach, sie sollten gefüllt werden! L'Chaim!" Kleine Dialoge wie diesen in Bildform kennen die Leser der Jüdischen Allgemeinen nur zu gut. Die Wochenzeitung druckt seit einigen Jahren regelmäßig die kurzen Comicstrips von Ben Gershon, in denen sich ein schlagfertiger Jude durch absurde Situationen manövriert. Der Zentralrat der Juden widmet dem niederländischen Zeichner nun in Kooperation mit der Allgemeinen eine Ausstellung im Jüdischen Gemeindezentrum. Nach der Premiere in München soll "Jewy Louis" auf Reisen gehen und viele Gemeinden in ganz Deutschland besuchen.

"Jewy Louis ist ein Otto-Normal- Jude", sagt Hannah Dannel, die Kulturreferentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, über Gershons Hauptfigur in einem Grußwort zur Eröffnung von "Jewy Louis auf Rollen". Dazu eingeladen sind auch Gershon und seine Verlegerin, Myriam Halberstam. Die Leiterin des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde, Ellen Presser, moderiert und witzelt gleich zu Beginn, als sich alle niederlassen, dies sei "eine typische Situation: ein armer jüdischer Mann, eingezwängt zwischen zwei jüdischen Frauen" - der Ton der Ausstellung um den kleinen Kerl mit Nickelbrille, Pejes und Kippa ist damit klar.

Obwohl so viele große Zeichner jüdisch sind oder waren - Art Spiegelman, Will Eisner, Stan Lee - ist "Jewy Louis auf Rollen" die erste Comic-Ausstellung, die der Zentralrat der Juden organisiert. Eigentlich absurd, findet Dannel: "Gibt es überhaupt eine bessere Form als den Comic, um einem jüdische Traditionen und Gebräuche näher zu bringen?"

Tatsächlich sind die großen Aufsteller im Foyer des Jüdischen Gemeindezentrums nach Themen und Feiertagen sortiert und führen ein in die Welt eines jüdischen Alltags in einer nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft. Je vier Comicstrips spielen mit Klischees und Stereotypen: Da ist die jiddische Mame, die ihrem Sohn mit der Frage nach Enkelkindern keine Ruhe lässt. Oder der orthodoxe Rabbiner, der letztendlich auch nur ein Mensch ist - zum Beispiel, wenn er erkennt, dass das Arbeitsverbot am Schabbat doch eigentlich auch für ihn gelten müsste und kurzerhand nicht in der Synagoge erscheint, um das Gebet anzuleiten.

Jewy Louis soll sich nicht nur an jüdische Menschen richten, er ist gerade auch für Nichtjuden gedacht. Beim Gang durch die Ausstellung oder einem Blick in das gerade erschienene Buch "Schalömchen!" ist das Lernpotenzial groß: Wann und wie das Neujahr der Bäume, "Tu Bischwat", gefeiert wird, reiht sich an Bilder zur feiertäglichen Neuschöpfung "Weihnukka", einer Mischung aus Weihnachten und Chanukka, die sich zeitlich oft überschneiden.

Jüdische Traditionen, erklärt und veräppelt, mit einer Mischung aus interkulturellen Konflikten, Missverständnissen und menschlichen Schwächen - das funktioniert auch für Gojim (hebräisch für Nichtjuden) gut. "Mein einziger Amazon-Review ist sogar von einem Nichtjuden. Fünf Sterne!", sagt Ben Gershon und lacht.

Im Vordergrund der Ausstellungseröffnung steht besonders das Fest Purim, das in diesem Jahr vom 20. auf den 21. März begangen wird und als eine Art jüdischer Karneval (oder Oktoberfest) gilt - auch zu Purim wird sich verkleidet, und es fließt einiges an Alkohol. Das Fest hat allerdings einen ernsten Hintergrund. Gefeiert wird, dass Königin Ester die Juden in Persien vor einem drohenden Genozid rettete. Und so ist es auch nicht ganz unpassend, dass an diesem sonst heiteren Abend, der sich um Witz und Selbstironie dreht, auch einige nachdenkliche Töne angeschlagen werden: Der Mangel an jüdischen Verlagen und Humor in Deutschland hinterlässt am Ende der Podiumsdiskussion einen bitteren Nachgeschmack. Die Ausstellung aber macht Hoffnung - auf mehr junge Talente wie Ben Gershon.

Jewy Louis auf Rollen - Koschere Comics, Ausstellung bis 10. April, Mo. bis Do., 15 bis 19 Uhr, Jüdisches Gemeindezentrum, St.-Jakobs-Platz 18, t 202 40 04 91

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