Süddeutsche Zeitung

Kultur in Großbritannien:Ohne Sicherheitsnetz

In Großbritannien stehen mehrere Kultureinrichtungen vor dem Aus, weil die staatliche Unterstützung fehlt.

Von Alexander Menden

Auf der Prioritätenliste finanzieller Maßnahmen steht die breit angelegte Erhaltung kultureller Infrastruktur derzeit wohl in keinem Land an erster Stelle. Doch im Vergleich zur Absicherung durch Subventionen und Soforthilfe deutschen Zuschnitts sieht es in Großbritannien weit düsterer aus als hierzulande. Vor allem in England stehen mehrere Kultureinrichtungen vor dem Aus, weil sie kaum auf Unterstützung zurückgreifen können.

Einer der dramatischsten Fälle ist Shakespeare's Globe in London. Der Nachbau eines elisabethanischen Theaters an der Themse galt stets als Paradebeispiel für eine blühende privatwirtschaftlich betriebene Kultureinrichtung. Doch nun, da statt der runden Million Zuschauer jährlich niemand das "hölzerne O" betreten darf, hat das Haus signalisiert, dass es die Corona-Krise ohne Unterstützung nicht überstehen wird. Trotz "radikaler Kostensenkungen" und Kurzarbeit, um Entlassungen zunächst zu vermeiden, hat es keinen Anspruch auf Zahlungen aus dem 180 Millionen Pfund umfassenden Nothilfepaket des Arts Council England, die nur solchen Kunstorganisationen zur Verfügung stehen, die auch sonst subventioniert werden. Dieses Paket ist übrigens, anders als in vielen deutschen Bundesländern, auch für Solo-Selbständige nicht zugänglich.

Der Lockdown ist nicht nur für Theater existenzbedrohend

Ähnlich dramatisch ist die Situation für das Old Vic Theatre, das sich ausschließlich aus Ticketverkäufen, Sponsoring und Spenden finanziert. Es gibt zwar laut Matthew Warchus, dem Künstlerischen Leiter, einen "Reservefonds". Dieser werde aber in "wenigen Monaten" aufgebraucht sein. Danach, so Warchus, gebe es "kein Sicherheitsnetz". Jenseits der Metropole London ist der Bankrott für einige Häuser bereits Realität. Das Theater im südenglischen Southampton, 2015 zum "Besten regionalen Theater" des Landes gewählt, musste am 6. Mai endgültig schließen, weil die Betreiberfirma, Nuffield Southampton Theatres, Konkurs angemeldet hatte. Als Grund wurde die Coronakrise genannt.

Die Schließung aller Kultureinrichtungen Mitte März ist aber nicht nur für Theater existenzbedrohend. Besonders kleinere, unabhängig betriebene Museen ohne größere Rücklagen, etwa das Florence Nightingale Museum oder das Charles Dickens Museum, könnten Opfer des Lockdowns werden. Sogar große, subventionierte Londoner Veranstaltungsorte werden wohl ohne weitere Hilfe nach dem Ende der Krise keinen Normalbetrieb mehr anbieten können. So hat das Southbank Centre angekündigt, es werde das, was von seinem Arts-Council-Zuschuss übrig sei, nur noch für eine geordnete Stilllegung verwenden können, die mindestens bis April 2021 dauern werde. Die Einnahmeverluste des größten europäischen Kulturkomplexes, zu dem die Hayward Gallery und die Royal Festival Hall gehören, belaufen sich schon jetzt auf rund zwölf Millionen Euro.

Nach dem absehbaren Auslaufen der Kurzarbeitsregelung werden besonders die unabhängigen Kultureinrichtungen nur überleben können, wenn die britische Regierung weitere finanzielle Hilfe gewährt. Bisher sieht es nicht so aus, als würden die Hilferufe in Westminster erhört. Sollte das so bleiben, ist ein nie dagewesener Kahlschlag in der britischen Kulturlandschaft bereits jetzt absehbar.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4918411
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.05.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.