Kultur im Sommer:Wagner und Wacken

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Uneingeschränkt bereit, sich auf Kultur einzulassen. In Wacken gelingt das auch ohne Konzept. (Foto: Getty Images)

Das Dilemma bei Sommerfestivals lautet, je höher die Kultur, desto größer wird der Anspruch, zu verstören. Aber das Publikum hat andere Bedürfnisse: Was lange währt, soll sich schließlich nicht ändern. Da sind sich Bayreuth- und Heavy-Metal-Fans sehr ähnlich.

Von Andrian Kreye

Die Fans von Wagner-Opern und von Heavy Metal sind sich eigentlich sehr ähnlich. Beide lieben es, sich an einem Sommerwochenende in Schale zu werfen, in die Provinz zu pilgern und dort mit ein wenig Alkohol ihrer Leidenschaft für eine Musik zu frönen, die mit Wucht und ausgeprägtem Hang zu Fantasy-Welten das Publikum überwältigt.

Da aber enden die Gemeinsamkeiten auch schon wieder. Auf dem Grünen Hügel in Bayreuth ist das Publikum meist sehr viel älter als die Akteure auf der Bühne. Auf den Wiesen im schleswig-holsteinischen Wacken ist das genau umgekehrt. Und während sich das Wacken Open Air, das jetzt zum 25. Mal stattfindet, mit einem 3-D-Kinofilm zur Kulturinstitution erklärt, heißt es, Bayreuth sei in seiner 103. Spielzeit in einer tiefen Krise.

Der Vergleich funktioniert, weil sich hier ein Dilemma zeigen lässt, das viele Sommerfestivals und Biennalen plagt, egal ob in Bayreuth, Salzburg oder Venedig. Je höher die Kultur, desto größer wird der Anspruch, nicht zu überwältigen, sondern zu verstören. Diese Kluft tut sich alljährlich auf, weil die Hochkultur in Europa einerseits den Rest des Jahres über als Subventionsmodell den Avantgardegedanken des 20. Jahrhunderts bewahren will. Und weil Sommerfestivals für Orte in der Provinz eine seltene Chance sind, sich im Lichte der Weltöffentlichkeit zu profilieren, müssen sie die ausgefransten Reizschwellen angreifen, um Aufmerksamkeit zu erregen.

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Auf der anderen Seite sollen die Festivals aber auch viele Sommergäste bringen. Die aber haben ganz andere Bedürfnisse. Sie wollen im lauen Sommerwind Erinnerungen schaffen, die diesen Abend noch lange verklären. Kein Wunder also, dass mancher Wagnerianer flucht und buht, wenn ein Regisseur wie Frank Castorf den "Siegfried" radikal auslegt.

In Bayreuth sollte es in diesem Jahr eigentlich viel ruhiger zugehen. 2014 ist eines der Zwischenjahre, in denen nichts neu inszeniert, sondern nur das Alte gespielt wird. Und trotzdem wallt die Wut der Wagnerianer auf Castorf in jedem Schlussapplaus lautstark wieder auf.

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Das Problem des Avantgarde-Anspruchs ist die Verherrlichung des Konzepts. Konzeptkunst aller Art ist eigentlich Experiment. Oft wird es nun zum Dogma. Zwar sind Castorfs Inszenierungen gerade mit dem Dirigenten Kirill Petrenko für viele ein Glücksfall. Da haben sich zwei gefunden, die aus Altem doch auch Neues schaffen. Aber das Publikum mag seinen Geschmack nicht planen lassen. Viel zu oft schon wurde aus dem Konzept ein Krampf. Gerade bei Wagner finden die Fans, das Werk stehe doch für sich.

Da sind sich Wagner- und Metal-Fans schon wieder sehr ähnlich. Was lange währt, soll sich schließlich nicht ändern. So werden sie in Wacken glücklich den immer gleichen Akkorden von Motörhead lauschen. In Bayreuth jedoch verzweifeln sie an dem Zwang, sich auf Neues einzulassen.

© SZ vom 02.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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