Hygieneregeln:Dem Publikum stehen keine leichten Zeiten bevor

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Wie von der Kinobranche gefordert, sollen die Kinos in allen Bundesländern zum gleichen Termin und mit ausreichend Vorlauf wieder den Betrieb aufnehmen. (Foto: dpa)

Abstand zwischen den Besuchern, gespeicherte Kontaktdaten: Die Kultusminister haben Regeln verfasst, unter welchen Bedingungen die Kultur aus ihrer Zwangspause kommen darf.

Von Jörg Häntzschel

Zu den vielen unerwarteten Effekten der Seuche gehört, dass in einem Papier, das die Kulturminister der Länder gemeinsam mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters verfasst haben, die Worte "Demokratie" und "Duschen" nur vier Seiten auseinanderliegen. Die Minister haben ein Regularium verfasst, das klärt, unter welchen Bedingungen Theater, Opernhäuser und Konzertsäle aus ihrer Zwangspause kommen dürfen. Schon der rhetorische Hindernislauf des Titels, "Eckpunkte für Eröffnungsstrategien", deutet an, dass Publikum und Institutionen keine leichten Zeiten bevorstehen. Beide Seiten dürften dennoch dankbar sein, jetzt Klarheit zu haben. Ulrich Khuon, der Präsident des Bühnenvereins, sprach am Montag von einer "klugen Regelung". Zur Eröffnung wird, wie so oft in den letzten Wochen, das Hohelied der Kultur gesungen. Ihre Vielfalt in Deutschland sei einzigartig, sie ermögliche "Teilhabe und Zusammenhalt der Gesellschaft", nur drohe ihr jetzt eben das Schlimmste. Viele Künstler seien durch die Beschränkungen "existenziell gefährdet". Die Krise bedeute einen "tiefen und weitreichenden Einschnitt" in ihre "künstlerischen Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten". Es werde auch in Zukunft durch die Schutzmaßnahmen "hohe Einnahmeverluste" geben. Dauerhafte Schäden müssten verhindert werden, und daher sollen, sofern es die Infektionszahlen erlauben, nach den Museen auch die übrigen Institutionen sobald es nur geht die Türen öffnen.

Wie das konkret aussehen könnte ist hier in aller Drastik zu lesen. Viele der Vorgaben folgen den Prinzipien, die man in den letzten Wochen schon im Supermarkt kennengelernt hat. Publikum und Personal müssen Schutzmasken tragen, Markierungen lenken die Besucherwege, und statt an der Kasse sollen die Häuser ihre Tickets möglichst online verkaufen. Sogar an kleinste Details haben die Minister gedacht: "Verstärkung kontaktloses Bezahlen", befehlen sie, "Verzicht auf Abriss oder Scan der Karten". Die schwersten finanziellen Folgen wird aber die schon seit einiger Zeit erwartete Abstandsregel mit sich bringen: 1,50 Meter Distanz soll jeder Besucher zum nächsten haben. Damit dürfte in Zukunft wohl bestenfalls jeder vierte Sitzplatz eines Kinos oder Theaters belegt werden, oft weit weniger.

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Werden die Ticketkontrolleure Besuchern in Zukunft auch die Temperatur messen?

Einiges geht jedoch weit über die erwarteten Vorschriften hinaus: So müssen, um die Aerosol-Belastung zu reduzieren, die Räume regelmäßig gelüftet und Klimaanlagen neu eingestellt werden. Andere Vorgaben werden schwer umzusetzen sein. Etwa die - wegen unterschiedlicher Datenschutzbestimmungen nur für einige Länder geltende - Regel, die Kontaktdaten der Besucher zu speichern, um sie später erreichen zu können, wenn andere Besucher erkrankt sind. Oder die Vorschrift, dass Personen mit Krankheitssymptomen und deren Kontaktpersonen keinen Zutritt haben. Werden die Ticketkontrolleure in Zukunft Besuchern die Temperatur messen?

Auch die "künstlerischen Akteure", also Schauspieler, Musiker, Sänger, sind in Zukunft natürlich verpflichtet, Abstand zu halten und, wenn das nicht möglich ist, sich mit "alternativen Schutzmaßnahmen" zu behelfen, also Trennwänden oder Schutzanzügen. Für Orchestermusiker oder Schauspielensembles dürfte diese Alternative keine sein. Auch in Proberäumen, Garderoben und überall sonst muss der Mindestabstand und damit auch die maximale Personenzahl eingehalten werden. Ansonsten verweisen die Minister hier auf schon vorhandene Regelkataloge, etwa der Berufsgenossenschaften.

Immerhin haben die Kulturpolitiker eingesehen, dass Sonderwege einzelner Länder fatale Folgen haben können, wenn sie mit den Gesetzen des Markts kollidieren. Wie von der Kinobranche gefordert, sollen die Kinos deshalb möglichst alle zum gleichen Termin und mit ausreichend Vorlauf wieder den Betrieb aufnehmen, da ohne die "bundesweite Herausbringung neuer Filme" ein erfolgreicher Kino-Neustart zum Scheitern verurteilt wäre.

Die Kultur bekommt eine Art Heiligenschein - Künstler gelten aber nur als Solo-Selbstständige

Das staatliche Verständnis von Kultur hat sich seit dem Beginn der Pandemie in zwei widersprüchliche Richtungen entwickelt. Auf der einen Seite wurde die Kultur zu einer Art säkularer Universalreligion erhoben, die in harten Zeiten wie diesen Trost spendet. Sie ist Therapeutikum gegen Einsamkeit, Waffe gegen Populismus und Humus der Demokratie. Grütters bemüht diese Vorstellung besonders gerne, vielleicht weil sie als Katholikin glaubt, sie könne auch den nicht-religiösen Künstlern damit etwas von der ihr vertrauten Inbrunst mitgeben, oder weil es hilft, den Kabinettskollegen klarzumachen, warum das viele Geld in ihrem Ressort gut angelegt ist.

Auf der anderen Seite stellten die Kulturschaffenden enttäuscht fest, dass sie, auch mit Heiligenschein, fiskalisch eben doch nicht mehr sind als gewöhnliche "Solo-Selbständige" oder "Kleinstbetriebe". Manche bekamen je nach Bundesland noch ein bisschen Extra-Förderung. Andere gingen dafür ganz leer aus. Und dass Baumärkte und Autohäuser vor den Museen öffnen durften, war eine weitere Kränkung.

Mit den "Eckpunkten" kommt zu diesen beiden Diskursen nun ein dritter hinzu. In ihm wird nun auch die tägliche Arbeit der Kulturinstitutionen verhandelt. Besonders bemerkenswert ist an diesem Papier, und nicht nur wegen des Plurals im Titel, das Kapitel "Konzeptionelle Anpassungsbedarfe". Hier nämlich geben die Minister den Häusern ungewohnt genau vor, was sie in den nächsten Monaten tun und was sie ihrem Publikum bieten sollen.

Empfohlen wird ihnen die "möglichst zügige Wiederaufnahme des Probebetriebs ..., um die Zeit bis zur geplanten Wiederaufnahme des Spielbetriebs nach der Sommerpause für notwendige Vorbereitungen und Neukonzeptionen zu nutzen." Als erstes seien "kleinformatige Darbietungen sowohl in geschlossenen Räumlichkeiten als auch im Freien" denkbar. Auch sonst werden "Freiluftaufführungen" und "Formate in kleinerer Besetzung" empfohlen oder "Mehrfachaufführungen kürzerer Programme".

Das klingt ein bisschen nach kultureller Kriegswirtschaft. Zumindest scheinen die Minister wenig Vertrauen zu haben, dass die Häuser schon selbst in der Lage sein werden, neue Programm zu entwickeln, mit denen sich die Regeln einhalten lassen. Klar ist, dass das Papier auf zweifache Weise gelesen werden kann: Als strenge Hygieneanweisung und als eine Art Mobilmachung für die staatlich geförderte Kunst. Keine Entschuldigungen! Es muss wieder losgehen!

© SZ vom 19.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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