Süddeutsche Zeitung

Kultfilm "Metropolis":Wie ein flüchtiger Verbrecher

Fritz Langs "Metropolis" galt als hoffnungslos zerstückelt. Das jetzt eine lange Fassung des Kultfilms gezeigt werden kann, ist auch einem schmerzenden Daumen zu verdanken.

Susan Vahabzadeh

Die Vorgeschichte, die zum Fund der fehlenden "Metropolis"-Szenen geführt hat, ist eigentlich grotesk - da spielen ein Daumen eine Rolle, eine beiläufig gemachte Bemerkung vor zwanzig Jahren und allerlei bürokratische Hürden. Die Kopie, die nun Grundlage der neuen Restaurierung ist, lag im Museo del Cine in Buenos Aires, aber keinem war wirklich klar, was für ein Schatz da herumliegt.

Die Kopie stammte aus einer Sammlung, die dem Filmmuseum hinterlassen worden war, sie wurde nicht mehr benutzt, war aber früher oft gezeigt worden. Der Besitzer der Sammlung hatte sie einem Filmclub gegeben, und der Filmkritiker Salvador Sanmaritano hatte sie vorgeführt - und machte, vor vielen Jahren eben, dem Filmwissenschaftler Fernando Martin Peña gegenüber eine Bemerkung: wie anstrengend es gewesen sei, wie er zwei Stunden lang den Daumen auf dem Filmstreifen hielt, der so beschädigt war, dass das Bild zitterte.

Da wurde Peña hellhörig

Eine "Metropolis"-Vorführung, die zwei Stunden dauerte - da wurde Peña hellhörig, denn dass die damals aktuelle Fassung nur neunzig Minuten dauerte, das wusste er. Aber das nützte zunächst einmal gar nichts. Es hat noch lange gedauert, bis er seinen Verdacht endlich überprüfen konnte.

Nun ist es wohl nicht ganz unfair zu behaupten, dass das Museo del Cine in Buenos Aires eine nicht ganz so aufgeräumte Organisation ist wie die Deutsche Kinemathek in Berlin. Das Museo ist eine kleinere, ehrenwerte Einrichtung, aber finanziell nicht luxuriös ausgestattet, untergebracht in einer ehemaligen Fabrik.

Man kann sich ein Bild davon machen im Dokumentarfilm "Die Reise nach Metropolis" von Artem Demenok, der den Weg von der Verstümmelung des Films 1927 bis zur neuen Restaurierung verfolgt, mit Hanns Zischler als Erzähler. Er begleitet das eigentliche, mit Spannung erwartete Ereignis - die Uraufführung der wiederhergestellten, sogenannten "Premierenfassung" auf der Berlinale.

Dann ging alles ganz schnell

Die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stitung hat diese Rekonstruktion gemeinsam mit der Deutschen Kinemathek und dem Museo del Cine erstellt. Sie ist nur ein paar Meter kürzer als die echte "Premierenfassung" von 1927.

In Buenos Aires, im Lager des Museo, hat die verschollene Langfassung also im Archiv gelegen, untergetaucht wie ein flüchtiger Verbrecher. Die Sammlung, zu der die "Metropolis"-Kopie gehörte - der Sammler Manuel Peña Rodríguez hatte sich eine alte Verleihkopie organisiert, der argentinische Verleiher Adolfo Wilson hatte den Film 1927 schnell gekauft, noch bevor die gekürzte Fassung für den amerikanischen Markt hergestellt war - hatte das Museo del Cine 1992 bekommen, aber man hatte die Filme nicht ausgewertet.

Fernando Martin Peña durfte nicht ins Archiv, um selbst nachzuschauen, was für eine Fassung dort lag. Als dann Paula Félix-Didier Leiterin des Museo wurde, ging alles ganz schnell. Schon wenige Monate nach ihrem Amtsantritt, im Mai 2008, holte sie die Filmdosen aus dem Lager - und die Filmwelt stellte fest, dass wider Erwarten eine Fassung von "Metropolis" existiert, in der die geschnittenen, jahrzehntelang verloren geglaubten Szenen enthalten sind.

Weil ein argentinischer Filmverleiher in den Zwanzigern auf die Premierenfassung setzte, weil ein Filmbesessener zwanzig Jahre lang eine Bemerkung im Kopf behielt, weil es eine neue Leiterin gab - eine Verkettung glücklicher Zufälle, sozusagen das Gegengift zu den unglücklichen Umständen, die ursprünglich zur Verstümmelung des Films geführt haben.

Auf der nächsten Seite: Der Zustand der Kopie machte eine neue Methode notwendig. Bei der Reihenfolge der Bilder half die Musik.

Wie sich die neuen Szenen einfügen in das qualitativ bessere bisher existierende Material, und was sie bedeuten, wird man kommenden Freitag sehen: Die Figur des Schmalen, verkörpert vom sinistren Fritz Rasp, käme wieder zu ihrem Recht in der Geschichte, die Beziehungen zwischen den Charakteren seien detaillierter und verständlicher, heißt es über die neue Fassung.

Der Zustand der Kopie, die Paula Félix-Didier zu Tage förderte, war nicht sehr vielversprechend. Die Sammlung Peña Rodriguez bestand überwiegend aus Nitrokopien, und da der Nationale Kunstfonds, der das Erbe zunächst verwaltete, diese Kopien gar nicht lagern konnte, wurden 16 mm-Negative hergestellt, weil kaum Geld da war - und das von einer Kopien, die damals auch schon fast siebzig Jahre alt war und deutliche Gebrauchsspuren trug, die also alle mitkopiert wurden.

Mehrfach umgezogen

Die Dosen mit dem 16 mm-Negativ von "Metropolis", das Paula Félix-Didier schließlich fand, hatten wiederum ein bewegtes Leben hinter sich, waren in Buenos Aires mehrfach umgezogen. Das Material, sagt der Restaurator Martin Koerber von der Deutschen Kinemathek in Demenoks Film, "war wohl das schlechteste, das ich je gesehen habe".

Die Restaurierung ist mit modernsten Mitteln gemacht worden. Man bearbeitet Bilder heute digital, der Film wird gescannt und dann am Computerbildschirm retuschiert, fehlende Stellen werden wiederhergestellt, Unebenheiten und Kratzer geglättet, so gut es eben möglich ist - immer noch Bild für Bild, eine Heidenarbeit, aber doch weniger aufwendig als das Bearbeiten jedes einzelnen Bildes auf einem Filmstreifen. Und es ist auch digital keineswegs möglich, einfach ein Bild in der Qualität des Originals zu generieren - vielleicht ist es auch nicht mal wünschenswert.

Im Fall der 25 Minuten "Metropolis", die in Buenos Aires gefunden wurden, waren herkömmliche Methoden sinnlos, weil es sich um die Kopie einer beschädigten Kopie handelt - die Münchner Firma Alpha Omega, für die technische Seite der Restaurierung ausgewählt, musste neue Software für die Bearbeitung entwickeln.

Zusammenführung im Computer

An welchen Stellen das neue Material eingefügt wurde - federführend bei der Restaurierung war Anke Wilkening von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, zusammen mit Koerber, der schon bei der letzten Restaurierung dabei war, und Frank Strobel von der Europäischen Filmphilharmonie -, das entschied sich überwiegend anhand der Partitur zu Gottfried Huppertz' Originalmusik, er hatte sich viele Notizen zu den Einstellungen gemacht.

Die unter weißen Flecken verschwundenen Bilder, die fehlenden Teile, der von der Musik aufgenommene Rhythmus haben im Computer nach 83 Jahren wieder zueinander gefunden - eine Idee, die nicht einmal Fritz Lang gekommen wäre, dem düsteren Visionär.

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Quelle:
SZ vom 06.02.2010/mikö
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