Süddeutsche Zeitung

Kulinarisches Kino auf der Berlinale:Manche mögen's kalt

Aufmüpfige Frau verliebt sich in aufmüpfigen Mann, am Ende gibt es zarten Fisch: Das Kulinarische Kino ist nicht die schlechteste Idee der Berlinale. Wenn auch für Berliner Verhältnisse zu einem gesalzenen Preis.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Und schon wieder nostalgisches Kino: Die beiden großen Themen der Berlinale in diesem Jahr sind einerseits Sex und andererseits die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten - beides zusammen bekommt man aber selten zu sehen.

So auch nicht in dem japanischen Film "Bushi No Kondate - A Tale of Samurai Cooking", der als "True Love Story" angekündigt wird und tatsächlich auf einer wahren Liebesgeschichte beruht. Aber vor allem das Ständeverhältnis und das mühsame Eheleben im Japan des frühen 18. Jahrhunderts beleuchtet. Zu einer Zeit, als Männer noch Samuraikämpfer und Frauen ihnen untertan waren. Es geht außerdem ums Kochen und ein bisschen auch um Emanzipation.

Weshalb der Film wie geschaffen scheint für das "Kulinarische Kino", das auf der Berlinale allabendlich zu einem besonderen Erlebnis lädt: Die Zuschauer sehen erst den Film im Martin-Gropius-Bau, dann wird im Zelt gegenüber gespeist, was ein Sternekoch zubereitet hat. Zum Dessert wird über das Gesehene geplaudert, mit den Filmemachern und Experten zum Thema.

Perfekt unperfekt

Und in der Tat: Es ist ein Fest für fast alle Sinne. Weil in "Bushi No Kondate" die beiden Hauptdarsteller (Aya Ueto als so aufmüpfige wie unterwürfige perfekt unperfekte japanische Ehefrau und Kengo Kora als ebenso perfekt unperfekter Koch, der lieber Schwertkämpfer wäre) ein wahrer Augenschmaus sind. Genau wie das im Film äußerst vielfältig und kunstvoll zubereitete Essen, als weiterer Hauptdarsteller. Und weil der Film über eine Frau, die ihrem Mann das Kochen beibringen muss, gleichzeitig so rührend wie lustig ist und das anschließende Menü, zubereitet von Michael Kempf, der ein Restaurant am Postdamer Platz und gerade seinen zweiten Stern erhalten hat, auch nochmal perfekt unperfekt dazu passt.

Es gibt also Amuse-Gueule "Misoflan" mit Sojagelee und Kürbis, was ein bisschen zu salzig schmeckt, als Vorspeise eine Tee-Suppe von geröstetem Getreide mit Ingwerporridge, Lotus und Shiitake-Pilzen, einen Tick zu bitter. Dann kommt der Hauptgang, angeflammte Makrele - und man ist vollkommen versöhnt mit Welt und Film. Weil die Haut so knusprig und das Fleisch so zart ist, dass man alles andere vergisst. Dann wird auch noch ein doppelter Nachtisch mit Mandarineneis und Bohnenmus sowie kleinen Grüntee-Süßigkeiten aufgefahren. Wenn das mal nicht zu viel des Guten ist.

Von genau solchen Momenten handelt auch der Kinofilm: Es gibt Köche, die einzelne Speisen so umwerfend zubereiten, dass schon eine Gabelspitze davon ausreicht, um wahlweise in Begeisterungsstürme auszubrechen oder die Umwelt völlig in den Hintergrund treten zu lassen. Unter anderem deshalb beschäftigten die damaligen Shoguns im Japan der Feudalzeit sogenannte Küchen-Samurais, die den Herrschern nicht mit dem Schwert im Kampf, sondern mit ihrer Kochkunst dienten.

In der sogenannten Edo-Zeit (16. bis 19. Jahrhundert), benannt nach dem damaligen Namen der Hauptstadt, Edo (heute Tokio), herrschten in Japan die Tokugawa-Shogune. Sie gilt als längste ununterbrochene Friedensperiode (auch Pax Tokugawa genannt) eines Landes in der Neuzeit weltweit. Dass das auch etwas mit der Kunst des Kochens zu tun gehabt haben könnte, legt der Film nahe. Wenn übel gelaunte Herrscher oder revoltierende Diener über einer perfekt gewürzten Suppe ihre Feindschaft beilegen oder der anderweitig verliebte Mann sich in seine ihm zugewiesene Ehefrau dann doch noch verguckt, dann hat das eben auch damit zu tun, wie verbindend ein köstliches Essen sein kann.

Die Liebe geht bekannterweise auch durch den Magen, und was ist so falsch an der Vorstellung, dass ein zufriedener Körper den unzufriedenen Geist beruhigt - und damit am Ende sogar Kriege verhindern kann? Vielleicht besinnt sich die Menschheit in ferner Zukunft ja sogar darauf, dass dabei am besten nicht nur Frauen und Diener nicht unterdrückt werden, sondern vielleicht nicht mal unbedingt Tiere ihr Leben lassen müssen.

Mann am Herd, Frau dahinter

Bis dahin wird aber wohl noch viel passieren, wie der Abend in Berlin gezeigt hat: Moderatorin Luzia Braun musste sich im Gespräch mit dem Filmproduzenten Hiroshi Fukazawa und dem Japanologen Hiroomi Fukuzawa erst noch erklären lassen, wie das funktioniert mit dem Mann am Herd in der japanischen Gesellschaft, und es ob immer noch so sei, dass die Frauen im Hintergrund und die Männer für die Öffentlichkeit kochten. Womöglich hätte man für diesen Abend besser eine Köchin engagieren sollen, das wäre ein Statement gewesen.

Geschmeckt hat es trotzdem vorzüglich, sowohl das Essen als auch der Film. Nur das mit den Preisen, das sollte man sich noch mal überlegen bei der Berlinale. 85 Euro für einen Kino-Abend pro Person ist für Berliner Verhältnisse ganz schön gesalzen - auch wenn Sternekoch-Essen serviert wird. Was dazu führt, dass die Stimmung nicht von Anfang an und nicht bei allen Kinogängern entspannt ist. Doch am Ende sind sie versöhnt, nicht zuletzt, weil auch der zum Essen gereichte Wein und vor allem der Dessertwein noch mal besondere Geschmackserlebnisse sind.

Es kommt beim Essen eben auf so viele kleine Dinge an: Zubereitung, Auswahl und Frische der Zutaten, einzelne Gewürze und deren Kombination, die Kosten, sogar das Schneiden spielt eine Rolle - und schließlich isst das Auge immer mit. Ganz ähnlich wie beim Film. Weshalb Kochen und Kino sowieso schon viel miteinander zu tun haben. Und die Kombination Essen und Kino viel öfter anbgeboten werden sollte als nur während der Berlinale.

Japanisches Essen, ganz ohne Sushi

Am schönsten ist es, wenn es sogar gelingt, das Essen auch gefühlsmäßig dem Film anzupassen, so wie an diesem Mittwochabend: Am Anfang wirkt der Film mit seinen bunten Kostümen und eindeutig zugewiesenen Rollen etwas zu kitschig (und das Amuse-Gueule ein bisschen zu salzig, wir erinnern uns), dann lernt der Zuschauer, wie bitter das Leben für sowohl Frauen als auch Männer damals sein konnte (sie ist nach eigenen Angaben "nur eine dumme Kuh", die ihrem Mann untertan zu sein hat, er würde gerne eine andere heiraten, muss aber seinem Vater nachfolgen und Koch werden, was das erschwert - die bittere Teesuppe erinnert daran), das Filetstück (die zarte Makrele) ist ihre gemeinsam entflammte Liebe - und am Ende wird alles gut (und süß). So einfach kann das manchmal sein.

Dass die japanische Küche längst nicht nur aus Sushi besteht und eine viel längere Tradition hat als der kalte Fisch, das wissen die Gäste nun ebenfalls. Auch wenn der Tischnachbar den ganzen Abend darauf gewartet hat, dass doch noch ein Stückchen Sashimi serviert wird. Manchmal empfiehlt sich eben ein Blick ins Programm, das beim diesjährigen Kulinarischen Kino lautet: "We like it hot".

Weitere Infos zum Kulinarischen Kino gibt es es hier.

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