Künstliche Intelligenz:Roboterblues

Kunst, Leben, künstliche Intelligenz: Die Münchner Kammerspiele untersuchen mit einem Festival die "Politik der Algorithmen", inklusive Keller-Roboter.

Von Nicolas Freund

Der Mensch steht den Maschinen im Weg. Im Keller der Münchner Kammerspiele hausen drei Roboter, die verdächtig aussehen, als hätte jemand selbstfahrende Staubsauger mit Pappmaché verziert. Einer scheint den Kopf einer antiken Statue mit sich herumzutragen, deren steifes Haar wie in einer ewigen Brise hinter ihm her weht, ein anderer hat entspannte Buddha-Gesichter, die in alle Richtungen blicken, und sieht aus, als stamme er aus dem Dekofundus einer New-Age-Sekte. Der dritte Roboter ist als Trilobit verkleidet, als urzeitliches Fossil, und schleicht jetzt wie einst seine Vorfahren über den Meeresboden als trauriger Zombie durch das dritte Untergeschoss der Kammerspiele.

Die Dinger sind Teil einer Installation von Susanne Kennedy und Markus Selg mit dem Titel "Algorithmic Rituals". Sie fahren ohne erkennbares Ziel oder nachvollziehbaren Plan über einen Teppich, der aussieht wie eine wilde Mischung aus Bildern von Google Maps, Batikmustern und Screenshots veralteter Computerspiele. Dazu laufen auf Bildschirmen Loops von Fraktalen und endlos heranzoombaren geometrischen Formen. Eine Stimme faselt etwas vom unendlichen Selbst. Ist das jetzt künstliche Intelligenz? Die meisten Besucher stehen etwas ratlos vor den Robotern und ihrem Schauspiel. Man kann sich auf den Teppich stellen, und mit etwas Glück fährt einem ein Roboter gegen den Fuß, um dann seine Route leicht zu ändern und weiterzufahren, als sei man eine Wand. Menschen sind hier nur Hindernisse auf den rätselhaften Pfaden der Maschinen. Man hat sich nichts zu sagen, die Interaktion zwischen Mensch und Maschine ist auf ein absolutes Minimum reduziert. Es ist sehr langweilig und fühlt sich zugleich sehr fremd an, diesem eintönigen Leben der Maschinen zuzusehen. Wenn man das, was sich hier abspielt, überhaupt Leben nennen kann.

Künstliche Inetlligenz ist nur im Zusammenspiel mit menschlicher Intelligenz möglich

Kennedy und Selg treffen mit ihrer minimalen Versuchsanordnung den Kern des Themas, das diese Woche an den Kammerspielen unter dem Titel "Politik der Algorithmen" in Vorträgen, Performances und Diskussionen, man muss sagen: verarbeitet wird. In Zeiten der Digitalisierung scheint das Theater eine der wenigen Institutionen zu sein, die von Algorithmen und Automatisierungen aller Art nicht radikal in Frage gestellt wird. Das stimmt natürlich nicht, auch das Theater muss sich mit den Technologien auseinandersetzen, die gerade dabei sind, die Welt umzuprogrammieren. Als diskursiver öffentlicher Raum ist es aber sogar genau der richtige Ort, um über die Fragen nachzudenken, die sich beim Beobachten der knuffigen und zugleich unheimlichen Roboter stellen, die da durch die Kellerinstallation flitzen: Können wir überhaupt verstehen, was in so einer Maschine passiert? Kann man sie mit Menschen vergleichen? Und was machen wir jetzt mit den Dingern?

Dass es schon ein Problem mit dem Begriff künstliche Intelligenz (KI) gibt, macht der Soziologe Dirk Baecker gleich in seinem Eröffnungsvortrag klar. Von der Vorstellung, dass künstliche Intelligenz irgendwann der menschlichen Intelligenz entsprechen könnte, habe man sich schon lange verabschiedet. Baecker ist Systemtheoretiker aus der Schule Niklas Luhmanns und denkt so etwas wie eine Performance, einen Vortrag oder eine politische Debatte als Zusammenspiel von Systemen, die jeweils für sich eine besondere Form von Intelligenz sind. Bei ihm sind das der Organismus, das Gehirn, das Bewusstsein, die Gesellschaft und die Maschine. Es sind aber natürlich auch mehr oder weniger solcher Instanzen denkbar, womit man in seiner Argumentation schon mitten drin wäre im Zusammenspiel aus dem solche Fälle imaginierenden Bewusstsein, das ohne Gehirn und Organismus nicht funktionieren könnte, und ohne Gesellschaft, zu der es spricht, und ohne eine Maschine, die zum Beispiel die Kommunikation ermöglicht, zu nichts führen würde. Diese Instanzen sind nicht auseinander ableitbar, aber aufeinander angewiesen. Das Gehirn sei zum Beispiel nicht mit dem Körper identisch. Um zu funktionieren, braucht es ihn aber und umgekehrt. Was wir als gesellschaftliche Ereignisse oder Beziehungen kennen, entsteht aus dem Zusammenspiel solcher Intelligenzen, das Komplexität erzeugt. Baecker sagt das nicht so deutlich, aber aus seiner Argumentation kann man ableiten, dass so etwas wie KI nur im Zusammenspiel mit menschlicher Intelligenz möglich ist.

Das zeigt sich wie zur Illustration des Vortrags gleich im Anschluss auf der Theaterbühne mit der Performance "Eingeweide" von Marco Donnarumma und Margherita Pevere. Wie ein pulsierendes Herz robben die beiden nackt ineinander verkeilt über die Bühne, trennen sich und finden schließlich mit einer eigenartigen Rüsselmaske verkleidet wieder zueinander. Symbolisch ist das etwas flach für die Rolle von Technologien in zwischenmenschlichen Beziehungen, vor allem in Fragen der Kommunikation. Wie zur Illustration von Baeckers Vortrag wird aber die Komplexität des Bühnenraums in den Fragen deutlich, die bei diesem Festival verhandelt werden sollen.

Die Maschinen spucken Kunst aus, als Zuschauer taugen sie aber eher nicht

Mit KI hat das nur entfernt zu tun, aber haben Performances und Theateraufführungen nicht grundsätzlich eine große Ähnlichkeit zu den Algorithmen? Ein Algorithmus ist letztlich wie eine Fabrik, in die man etwas eingibt, die dann nach vorbestimmten Regeln etwas tut und ein Ergebnis ausspuckt. Verfährt das Theater nicht genauso mit der Inszenierung von Texten und Stücken, mit dem Kommentieren von politischen und gesellschaftlichen Ereignissen, die im Maschinenraum der Bühne nach bestimmten Regeln bearbeitet werden? Algorithmen sind letztlich ein mächtiges Werkzeug, aber eines unter vielen. Sie sind wie ein potenziell unendlich komplexer Taschenrechner, der nicht nur Bearbeitungen von Zahlen, sondern von allem Erdenklichen vornehmen kann.

Wie das aussehen kann, zeigt die amerikanische Pop-Musikerin Holly Herndon, die ihr aktuelles Album "Proto" mithilfe der KI "Spawn" geschrieben hat. "Spawn" hat Herndons Gesang bearbeitet, zerstückelt und verfremdet. Auf der Bühne, wo die KI noch nicht live zum Einsatz kommt, klingt das, als würde Herndon ihre eigene Stimme als Instrument einsetzen, als würde manchmal der menschliche Ton hinter künstliche Geräusche zurücktreten, die dann aber doch von einem Menschen erzeugt werden.

Inzwischen wirkt es fast banal, aber: Anders als in der Kombination aus Organismus, Gehirn, Bewusstsein, Gesellschaft und Maschine ist dieses Konzert gar nicht denkbar. Ist das jetzt schon die Verschmelzung von Mensch und Maschine? Wir verschmelzen ja auch nicht mit einem Schraubenzieher. Oder doch?

Es werden am Theater zwar nicht demnächst alle Schauspieler durch Roboter ersetzt werden, auch wenn im Rahmen des Festivals auch die Inszenierung "Uncanny Valley" mit einer künstlichen Version des Schriftstellers Thomas Melle zu sehen war. Man kann im Zusammenspiel der verschiedenen Intelligenzformen auf der Bühne und der anhaltenden Faszination für den irreführenden Begriff künstliche Intelligenz aber beobachten, dass sich den selbstagierenden und selbstlernenden Maschinen gegenüber eine quasireligiöse Gläubigkeit entwickelt. Die Gesichter und die menschlichen Formen, die den Maschinen wie den Robotern in der Installation übergestülpt werden, sind auch nur ein Spiegel der menschlichen Erwartungen an ein Gegenüber, wie man sie vielleicht als Theaterbesucher grundsätzlich für die Figuren auf der Bühne hegt. Wir erkennen uns immer im anderen wieder. Aber die New-Age-Maschine bewegt sich genauso wie das Fossil und die antike Statue. Für die Maschine ist das alles gleich, sie folgt ihrem Plan, in dem weder Religion noch Fossilien noch Darstellungen des Menschen eine Rolle spielen. Vielleicht kann man ja irgendwann die Religionen oder die Form des Rituals oder der Theaterinszenierung, wenn sie hinreichend gefilmt, digitalisiert und in Daten übersetzt sind, durch den Algorithmus jagen, und der errechnet uns dann eine neue Religion oder eine Theateraufführung. Das müssten dann aber noch immer Menschen anschauen. Alleine fahren die Maschinen nur gegen die Wand.

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