Künstliche Intelligenz:Willkommen in der großen Leere

Architekturbiennale in Venedig - 2038 - The New Serenity

Sie sehen, Sie sehen nichts: Die Installation "2038 - The New Serenity" im deutschen Pavillon der Architekturbiennale.

(Foto: Federico Torra/picture alliance/dpa)

Auf den Captcha-Bildern und im deutschen Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig kann man sehen, welchen Blick die KI auf uns wirft.

Von Andrian Kreye

Der Mensch interessiert sich schon seit Frühzeiten sehr dafür, wie ihn die anderen sehen. Wie ihn die anderen Menschen sehen sowieso, aber auch zum Beispiel die Säbelzahntiger. Das hilft bei der Tarnung. Wenn man also dem Gedankenexperiment folgt, dass künstliche Intelligenz (KI) ein neues Wesen auf diesem Planeten ist, das zwar kein Lebewesen, aber nun doch ein allgegenwärtig handelndes Etwas darstellt, wüsste man schon gerne, wie einen das nun sieht. Der englische Professor für kognitive Robotik Murray Shanahan erklärt solche Phänomene gerne mit Zitaten von Ludwig Wittgenstein. Sehr viel nachvollziehbarer ist ein Experiment des amerikanischen Digitalkulturkritikers Clive Thompson. Der folgt einfach den Lehrpfaden, mit denen gerade ein sehr großer Teil der Menschheit der künstlichen Intelligenz dabei hilft, sich in der physischen Welt zurechtzufinden. Das geschieht über die Zugangskontrollen der Captcha-Funktion.

In den Bildern der Captcha-Raster ist die ganze Welt eine einzige amerikanische Vorstadt

Fast allen Nutzern sind im Internet schon die Captcha-Bildraster mit den sechzehn Quadraten begegnet. Das ist ein Gratisservice der Firma Google. Man muss da der Maschine beweisen, dass man ein Mensch und kein Bot ist, indem man eine Aufgabe löst. Zum Beispiel alle Bilder mit Zebrastreifen anklicken, oder mit Ampeln, Bussen, Taxis oder Treppen. Dann erst bekommt man Zugang zur gewünschten Seite, auf der Bots unerwünscht sind. Gratis ist im Netz bekanntlich nix, deswegen arbeitet man bei diesen Aufgaben eben ein paar Sekunden lang für die KI-Abteilung von Google, die mit den Captcha-Daten KIs für selbstfahrende Autos füttert.

Wenn man sich nun wie Clive Thompson den Blick zu eigen macht, dass dies die Welt ist, die KI betrachtet, kann man seinem Weg in die Trübsal gut folgen. Es ist eine triste Welt voll trügerischem Sonnenschein, die sich da auftut. Da können auch die sporadischen Palmen nichts daran ändern. In dieser Welt will man nicht leben. Tut man aber. Auch wenn es natürlich eine vornehmlich amerikanische Welt ist, weil künstliche Intelligenzen immer noch vor allem in Amerika ausgebildet werden. Da unterscheiden sie sich nicht groß von den humanen Musterschülern dieser Welt, die ja auch alle nach Stanford, Princeton oder ans Massachusetts Institute of Technology wollen.

Was als Erstes auffällt, ist die Tristesse der Landschaftsaufnahmen, die offensichtlich im krassen Gegensatz zu den strahlenden Naturwundern der Bildschirmschoner und Desktop-Hintergründe in der Ödnis der Suburbia aufgenommen wurden. Der leichte Grusel stellt sich ein, weil es in dieser Welt der KI keine Menschen gibt. Allenfalls schemenhaft sieht man sie hinter den Scheiben der Fahrzeuge oder auf den Zebrastreifen. So sieht KI uns also. Als biomechanisches Element anderer Maschinen oder als Hindernis auf der Verbindung von Standort A nach Zielpunkt B. Warum auch nicht? Menschen erkennen im Gegenüber ja auch zuerst die Gemeinsamkeiten oder die Gefahren.

Die Ausstellung verbirgt sich hinter einem QR-Code - schlecht ohne funktionierendes Netz

Dazu kommt die bizarre Ästhetik. Die sechzehn Quadrate unterteilen die Welt ja nicht nur in ein Muster von bedrückender Schlichtheit. Auch die Blickwinkel verschieben die Welt in Koordinaten von Maschinen. Zu schräg, zu hoch, zu tief. Da gibt es keinen goldenen Schnitt, keine Augenhöhe und kein Panorama. Aus dem radikalen Utilitarismus der Maschinen wird ein unmenschlicher Blick, der nur Ziele und Makel kennt.

Captcha

Die Welt, gerastert: Captcha-Bilder verwendet Google, um Bots von Webseiten fernzuhalten - und sammelt dabei Daten für die künstliche Intelligenz.

(Foto: Screenshot von Google)

Zu trist, zu trüb? Es ist ja nicht so, dass es nicht längst Versuche gibt, KI auch Schönheit beizubringen, Musik und Freundlichkeit. Auf der Architekturbiennale in Venedig hat das Kuratorenteam des deutschen Pavillons seinen Beitrag gleich in die Cloud verlegt, jenen mythischen Aufenthaltsort der künstlichen Intelligenz zwischen den Siliziumwolken der Speicherfarmen und Fiberglasarterien des Netzes. Es empfängt einen dort die große Leere. Tellergroße QR-Codes an den Wänden dienen als Portale in den Wolkenpavillon, in dem die Geschichte des Jahres 2038 erzählt wird. Es ist eine schöne Geschichte. Eine Erlösungsfabel aus einer Zeit, in der die großen Krisen der Zwanzigerjahre überwunden sein werden, die Klimakatastrophe, die Pandemien, die gesellschaftlichen Verwerfungen. Vor Ort nur bleibt die Leere. Die künstliche Intelligenz ist taub. Nur Fetzen spielt sie auf das Handy, das als Schlüssel zu ihrer Welt dienen soll. Wäre da nicht das schnöde italienische Netz, der lahme Server. Die Hitze? Das feuchte Klima der Lagune? So steht man verloren vor den Codes und sieht erst später auf dem Rechner, welche Welt da verschlossen blieb. Eine Welt aus pastell- und rosafarbenen Pixeln, so glatt und geschmeidig, wie man die Zukunft gerne hätte. Auch wenn sie hier aussieht wie in einem Videospiel des vergangenen Jahrhunderts.

Doch auch dieser Blick macht nicht lange froh. Man bewegt sich mit einem Avatar zwischen Videos, immer die nachgepixelten Wände des Pavillons entlang. So sieht uns KI also? Als Steuerungsfunktion und als sogenannten Content.

Wenn man schon bei Inhalten ist: Der Pavillon mag leer geblieben sein. Es gibt die Fabel von 2038 dafür als wunderbares Buch im Münchner Sorry-Press-Verlag. Empfindet KI das analoge Lesen wohl als Verrat? Zeit, ihren Blick weiter zu studieren. Das hilft bei der Tarnung.

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Boy wearing robot mask dancing on footpath against patterned wall model released Symbolfoto VABF03128

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