Künstlerproteste:Ihr Heuchler!

Lesezeit: 2 min

Demonstrationen gegen die Istanbul-Biennale. Deren Thema ist Umweltzerstörung. Ihre Sponsoren verdienen ihr Geld aber mit Öl, Plastik und Rohstoffen.

Von Ingo Arend

Kann man mit Umweltsündern gegen den Klimawandel kämpfen? Mit dieser Frage sieht sich derzeit die Istanbul-Biennale konfrontiert. Unter dem Titel "The Seventh Continent" thematisiert der französische Kurator Nicolas Bourriaud in der 16. Ausgabe der im Jahr 1987 gegründeten Schau das Problem der weltweiten Umweltverschmutzung und des Klimawandels. ( SZ vom 17.9.2019). In einer Erklärung auf der Website der Umweltinitiative "350 Ankara - Der Klimawandel ist eine Sache von uns allen" haben nun 32 türkische Künstlerhäuser und Umweltinitiativen Anstoß an der Sponsorenliste der Schau genommen.

Dazu zählen sie den Getränkekonzern Efes, Teil der Anadolu-Gruppe, die gegen den Widerstand der Bewohner an der Schwarzmeerküstenstadt Gerze ein Kohlekraftwerk bauen wollte. Oder den Brennstoffkonzern Opet, die Stahl- und Kohlefirma İçdaş Energy, die an den Dardanellen ein Windkraftwerk plant, das Energieunternehmen Aygaz, den Autokonzern Ford und den Flughafenbetreiber TAV.

Natürlich fehlen in der Liste auch die Istanbuler Koç-Holding und der Pharmakonzern Eczacıbaşı nicht. Dem milliardenschweren, kunstvernarrten Koç-Clan, der sich für insgesamt 20 Jahre als Hauptsponsor der Biennale verpflichtet hat, gehört inzwischen die einst staatliche Erdölraffinerie Tüpraş. Der Konzern mischt genauso in dem Konsortium um die kanadische Firma Alamos mit, die eine Goldmine im Naturreservat des Ida-Gebirges im Nordwesten der Türkei vorantreibt, wie die Unternehmensgruppe Eczacıbaşı. Deren Chef Bülent Eczacıbaşı steht auch der privaten Istanbuler Stiftung Kunst und Kultur (IKSV), vor, die die Biennale veranstaltet.

Beiden Holdings gehören jeweils die privaten Kunstmuseen "Arter" und "Istanbul Modern". Es sei eine große Heuchelei, argumentieren die Protestierenden, wenn Unternehmen, die mit fossilen Brennstoffen und der Zerstörung der Natur Geld verdienen, via Biennale für das Problem der Plastikverschmutzung sensibilisieren. "Das Kapital" heißt es in der Erklärung, "sollte den Kampf nicht als PR-Arbeit sehen, sondern seiner Verantwortung gerecht werden und seine Produktion aufgeben".

Während Aktivistinnen mit bunten Transparenten als Mahnwache vor den Eingängen zu den Spielorten der Biennale aufmarschieren, hat bislang noch kein Künstler Werke aus der Biennale zurückgezogen, wie es die Protestierenden fordern. Doch haben Proteste gegen Sponsoren inzwischen Erfolge zu verbuchen - erst in diesem Jahr wurden Museen zur Zielscheibe, die Unterstützung der amerikanischen Familie Sackler erhalten, die ihr Geld unter anderem mit Schmerzmitteln verdient.

In ihrer Reaktion verwies die Biennale darauf, dass keiner der insgesamt mehr als 200 Biennale-Unterstützer Einfluss auf das Programm gehabt habe. Auf den Vorwurf, dass die Unternehmen die Biennale zum Imagegewinn nutzten, reagierte sie nicht.

© SZ vom 16.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: