Falls es auf Deutschlands höchstem Gipfel bisher noch keinem Kraxler aufgefallen ist: Der Zugspitze fehlt seit ein paar Monaten sozusagen die Spitze. Das Künstlerkollektiv Para will an diesem Donnerstag bei einer Pressekonferenz zur Neueröffnung der völkerkundlichen Sammlungen im Leipziger Grassi-Museum bekannt geben, dass es im vergangenen September die obersten sechs Zentimeter des Berges abgetragen habe, nur wenige Meter neben dem Gipfelkreuz, und zwar mit Hammer und Meißel, also mit klassisch bildhauerischem Ansatz. Die Zugspitze sei damit nun nicht mehr ganz exakt die 2962,06 Meter hoch, die bisher offiziell verzeichnet werden, sondern nur noch 2962. Zweck der Aktion sei eine Geiselnahme, um eine Rückführung kolonialen Beuteguts zu erwirken.
Denn 1889 hatte der Leipziger Kolonialgeograf Hans Meyer, aus der Verlegerfamilie von "Meyers Konversationslexikon" und entsprechend bemittelt, den Kilimandscharo erklommen, sich zum Erstbesteiger erklärt und seinerseits einen Stein vom höchsten Berg Afrikas verschleppt. Man darf sich diese Unternehmung als klassisches Kolonialherrengehabe vorstellen: Meyer bestieg den heiligen Berg der Einheimischen nicht nur und profanierte ihn damit, er erklärte ihn sofort auch zum neuem höchsten Berg "deutscher Erde", denn mit seiner heute offiziellen Höhe von 5895 Metern ist er ungefähr doppelt so hoch wie die Zugspitze, außerdem rief Meyer oben angekommen dreimal zackig "Hurra" und taufte den Berg auf den Namen Kaiser-Wilhelm-Spitze beziehungsweise Wilhelmskuppe. Dass es sich in Wahrheit um einen Kraterberg handelt, also eine eher hohle Kuppe, hat Kaiser Wilhelm II. daheim in Deutschland in metaphorischer Hinsicht offensichtlich weder weiter gestört noch im Detail interessiert. Er scheint vielmehr auch geschmeichelt gewesen zu sein, als ihm Meyer 1890 offiziell die "Spitze des Kilimandscharo" zum Geschenk machte. Unter dieser Bezeichnung wurde der mitgenommene Stein jedenfalls in den Grottensaal des Neuen Palais in Potsdam eingearbeitet. Sofern es sich wirklich je um echte Lava vom Kilimandscharo gehandelt haben sollte, wurde sie dort aber im Laufe der Zeit durch einen Brocken aus gänzlich anderem Gestein ersetzt. Meyer hatte den Lavastein angeblich aber zuvor geteilt und die andere Hälfte behalten. Diese soll als Briefbeschwerer in der Familie vererbt worden sein.
Die zum Briefbeschwerer degradierte Kilimandscharo-Spitze soll zurück nach Afrika
Dieser Briefbeschwerer ist nun von einem Nachfahren Meyers in den Handel gegeben worden. Ein Antiquitätenhändler aus dem Umland von Wien hat ihn gekauft. Das deutsche Künstlerkollektiv Para wiederum hat nach eigenen Angaben den Antiquitätenhändler davon überzeugen können, das Stück nicht für die von ihm erwarteten 250 000 Euro zu veräußern, denn augenscheinlich gibt es selbst für solche Dinge einen Markt. Sondern lediglich zum Einkaufspreis, und der betrage 40 000 Euro.
Ziel von Para ist es nun, dieses Geld aufzubringen und den Stein nach Afrika zurückzutransferieren. Zuvor hatten die Deutschen die tansanischen Behörden von der Sache in Kenntnis gesetzt. Während die Regierung von Tansania bisher wenig Interesse daran gezeigt und jedenfalls kein offizielles Rückgabeersuchen gestellt hat, haben sich nach Angaben von Para aber lokale Stellen in der Kilimandscharo-Region bereits für die Rückführung des Steins ausgesprochen. Um das Ziel zu erreichen, sei man bereit, die Zugspitzen-Spitze für exakt diesen Preis zurückzugeben, am Ende sogar auf dem Gipfel wieder anzubringen.
Was wird passieren, wenn Para dem Museum gar nicht richtig "wehtut"?
Gleichzeitig soll aber von diesem Donnerstag an auch in einer aufwendigen Aktion die "Gebäudesubstanz" des Grassi-Museums in Leipzig abgetragen werden. Geplant ist die Zerstörung einer steinernen Stele aus dem Museum, das damit nach Aussage eines Mitglieds der Gruppe "selbst zum Rohstoff der Restitution" werde. Denn anschließend soll das pulverisierte Gestein aus Leipzig in die vorher bei dem Wiener Antiquitätenhändler als 3-D-Scan abgenommene Form der halben "Kilimandscharo-Spitze" gepresst und im Museum zum Verkauf angeboten werden. Die Pressefotos versprechen den Einsatz von Presslufthämmern und laborartig wirkenden Fertigungsvorrichtungen. Diese elaborierte Installation findet ihren Rahmen in der Wiedereröffnung der völkerkundlichen Sammlungen, die nach längerer Schließzeit nun auch auf die neue Debattenlage im Umgang mit kolonialem Beutegut reagieren wollen.
In diesem Zusammenhang sollen etwa die sogenannten Benin-Bronzen, von denen etliche auch nach Leipzig gelangt waren, nicht mehr ausgestellt werden, dafür aber eine Arbeit des nigerianischen Künstlers Emeka Ogboh, die sich mit diesem Thema befasst. Die völkerkundlichen Sammlungen, zu denen nicht zuletzt der Kolonialgeograf Meyer wesentlich beitrug, finden sich neben anderen Institutionen im Gebäudekomplex des Grassi-Museums. Dieser ist ein expressionistischer Bau aus den späten Zwanzigerjahren, der unter Denkmalschutz steht. Eine Sprecherin des Museums gab allerdings auf Anfrage Entwarnung: Zerstört werde keine denkmalgeschützte Substanz, sondern eine später hinzugekommene Stele, die einst die Büste eines früheren Museumsdirektors trug, was man in dem Haus als ohnehin nicht mehr zeitgemäß empfunden habe.
Womöglich läuft diese Entwarnung ein bisschen den Intentionen des Künstlerkollektivs Para zuwider, dessen Vertreter im Gespräch mit der SZ die Leipziger vielmehr einladen wollte, "ihr Museum zu zerstören". Die Aktion solle "dem Museum wehtun".
Aufschreie der Empörung, vor allem von konservativer Seite, wären der Gruppe natürlich sehr willkommen. Man rechne damit sowohl aus Bayern wie aus Sachsen und werde auch auf Erregungskanälen wie Twitter das Nötige dafür tun. Vom Grad dieser Erregung wird es am Ende wohl auch abhängen, ob sich auf der anderen Seite genug Mittel für Rückkauf und Rückführung der "Kilimandscharo-Spitze" aufbringen lassen. Wenn es die Naturparkverwaltung von Bayern und sächsische Heimatschützer an Interesse für die postkolonialistische Restitutionsaktion der Künstlergruppe Para fehlen ließen, wäre das vermutlich schwieriger. Mangelnde Reaktionen und mithin Wahrnehmung sind generell die Achillesferse von solchen künstlerischen Guerilla-Aktionen, wie sich zuletzt wieder beim Einbruch eines Berliner Künstlers, der sich "The Wa" nennt, in den deutschen Biennalen-Pavillon in Venedig gezeigt hat. Von seiner so heimlich wie ambitioniert dort hingehängten Hundeporträt-Ausstellung im Stile Gerhard Richters kündet bisher nicht vielmehr als ein Belegfoto auf seiner Website ( the-wabsite.com).
Da das Künstlerkollektiv Para mit seiner Aktion aber gleich dermaßen viele politisch neuralgische Punkte auf einmal drückt, sollte in diesem Fall mindestens auf die tätige Mithilfe der sächsischen AfD Verlass sein.
Das Grassi Museum in Leipzig öffnet seine neu gestalteten Ausstellungsräume unter dem Titel Reinventing Grassi am 4. März. An diesem Tag wird auch die PARA-Website " berge-versetzen.com " gelauncht.