Süddeutsche Zeitung

Künstlergespräch:Bilder seiner selbst

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Neo Rauch erklärt, was Max Beckmann für sein Werk bedeutet

Von Susanne Hermanski, München

"Die Sprengkraft durch eine starke Wandung einsperren - dieses Prinzip kennen wir auch aus anderen Zusammenhängen", sagt Neo Rauch, der Maler, der seine Sätze gern wie ein Bildhauer in Stein meißelt. Ob er dabei nun an die DDR denkt, in der er geboren und ausgebildet worden ist, oder an neuere Mauern, die gerade andernorts in der Welt gebaut werden, das muss er gar nicht genauer erklären. Geht es doch eigentlich an diesem Abend um etwas anders: um die Verwandtschaft von Neo Rauchs eigenem Werkes zu dem von Max Beckmann.

Bernhart Schwenk, der Kurator für Gegenwartskunst an der Pinakothek der Moderne, hat Neo Rauch zu diesem Gespräch im Namen der Max Beckmann Gesellschaft eingeladen. Diese fördert die Beckmann-Forschung und das zugehörige Archiv in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die mit 37 Gemälden über die zweitgrößte Beckmann-Sammlung der Welt verfügen. Rauch, selbst einer der international erfolgreichsten Malern seiner Generation, nennt Beckmann neben Künstlern wie Bacon, Beuys, Baselitz und Picasso einen zentralen Bezugspunkt der Moderne für sein eigenes Schaffen. "Doch was haben die beiden, die drei Generationen trennen, wirklich gemeinsam", fragt Schwenk. "Außer dem Geburtsort Leipzig und die Liebe zu Flachschnauzern?"

Beckmann (der unter anderem einen Boxer und einen Pekinesen besaß) habe zu den Hausgöttern gehört an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, wo er studierte, erzählt Rauch (der einen Mops besitzt). Besonders fasziniert habe ihn selbst die Genauigkeit, mit der Beckmann in seiner Malerei etwa schwarze Konturen wie Bleiverglasungen eingesetzt hat, "um die Farben im Inneren nur um so klarer strahlen zu lassen". Poetisch beschreibt Rauch, anhand Beckmanns "Vor dem Maskenball" wie bei seinem Vorgänger "das hochdepressive Nichts des Alls durch die Fenster in die Räume dringt, die ausgefüllt sind mit Schicksalspersonal". Wem dazu das konkrete Bild vor Augen fehlt - in der Pinakothek der Moderne ist es jederzeit zu besichtigen.

Doch erklärt Neo Rauch in der Beschreibung des Werks des Anderen freilich auch das eigene, an Schicksalspersonal überreiche: "Mir geht es darum, diesen somnambulen Zustand zu erfassen, die Sekunde vor dem Exzess einzufangen. Dieses Personal kann zum Leben erwachen in jedem Moment." Von Rauch selbst befinden sich im Bestand der Staatsgemäldesammlungen nur zwei Werke: "Wahl" (1998) und "Kalimuna" (2003). Beide verschmelzen psychische Zustände mit gesellschaftlichen Themen und autobiografischen Erinnerungen - an Frauen etwa, die aussehen wie "kerosintrinkende Traktoristinnen", sagt er. Und er gibt all jenen, die sein Werk bislang als besonders verrätselt und hermetisch empfinden, einen einfachen Schlüssel an die Hand: Jegliche zeitliche Abfolge sei in seinen Bildern aufgehoben, auf ihnen herrsche schlicht Gleichzeitigkeit aller möglichen Erscheinungsformen. Kritikern, die immer wieder rechte Tendenzen aus seinen Bildern lesen wollen, widerspricht Neo Rauch, ohne sie konkret anzusprechen und unaufgefordert durch Schwenk: "Wer diese Gleichzeitigkeit empfindet, der kann nicht dazu übergehen, seine Malerei in eine Waffe umzuschmieden und sich einzumischen in das Zeitgeschehen. Das würde den Kunstaspekt von innen her aufzehren", sagt er. "Kunst hat nichts mit Journalismus und nichts mit Propaganda zu tun."

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SZ vom 12.02.2020
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