Süddeutsche Zeitung

Künstler und Krise:Mal gewinnt man, mal verlieren die anderen

Damien Hirst wusste schon die florierende Wirtschaft zu nutzen - nun meistert er ihr Scheitern. Der Künstler als Leitbild der Krise.

Holger Liebs

Damien Hirsts Firma Science Ltd. entlässt 17 Mitarbeiter. Das ist an sich noch keine bedeutende Nachricht. In vielen Ateliers der am Markt erfolgreichen Künstler wird projektbezogen gewerkelt; ist die neue Großskulptur, die Rauminstallation, das Pillenregal fertig, müssen Fachkräfte und Fleißbienen wieder gehen - das wussten sie meist von vorneherein. Was ihnen bleibt, ist oft nur ein glanzvoller Name in der Vita.

Der Kunstbetrieb ist eine "informelle Nischenökonomie" (Isabelle Graw); geregelte Arbeitsverhältnisse sind hier selten, Selbstausbeutung ist die Regel. Die Kunstproduktion nistet nicht zufällig meist in Industriebrachen - dort, wo früher Fließbandfabriken mit Stechuhren zuhause waren, breitet sich heute das postindustrielle Kreativitäts-Prekariat aus in Form kleiner Handwerksbetriebe, gerne auch mal 24 Stunden am Tag, denn Schlaf ist hier ein Luxus, und die nächste Biennale wartet schon.

Kein Zweifel: Künstler sind Wirtschafts-Hasardeure, sie gehen enorme finanzielle Risiken ein. Jeff Koons hat während der Produktion seiner Edelstahlserie "Celebration" erst eine Stahlfirma und dann beinahe seinen damaligen Galeristen Jeffrey Deitch und sich selbst ruiniert. Vom return of investment kann er heute aber gut leben.

Erste Regel: Selbstausbeutung

Das alles ist bekannt. Neu ist aber der Ton der Begründung für das downsizing der Pillendreher im Hause Hirst. "Zeitbezogene Verträge" seien "nicht erneuert worden"; man müsse das "gegenwärtige ökonomische Klima" im Auge behalten und wie es "unsere Zukunft beeinflusst". Das ist vorderhand reinster Unternehmer-Slang, und wenn man weiß, das Hirst mit seiner Jahresproduktion bei Sotheby's am 15. September 111 Millionen Pfund einfuhr - schon vor dem Direktverkauf per Auktion, dem Tag der Lehman-Pleite, war das Vermögen des 43-Jährigen auf rund 200 Millionen Pfund geschätzt worden -, dann erinnert die Verlautbarung fatal an Unternehmen, die in den vergangenen Jahren Rekordgewinne erzielten und dennoch massenweise Mitarbeiter "freisetzten".

Hirst hat einen Finanzberater, er betreibt den Memorabiliashop "Other Criteria", er beschäftigt (noch) über 200 Mitarbeiter, sein Diamantenschädel wurde von einem Konsortium, dem er selbst angehört, für einen Rekordpreis angekauft und tourt nun durch die Museen dieser Welt - Hirst begreift seine Kunst als "Marke, die in einer Fabrik hergestellt wird". Es erscheint nur logisch, wenn er sich nun, da die Marke bei mangelndem Absatz irgendwie überleben muss, der üblichen CEO-Rhetorik der "Verschlankung", der "Freisetzung" und der Forderung nach mehr Flexibilität bedient. Das freigesetzte Humankapital von Science Ltd. muss jetzt eben mehr Eigenverantwortung übernehmen.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Mag sein, dass Hirst wie ein Finanzinvestor agiert und spricht. Aber die gesamte Managementkultur mit ihrer Rede von der "Ich-AG" und "empower yourself" und "permanenter Selbstoptimierung" beruht ihrerseits auf einem Leitbild, welches selbst Kultursponsoren aus Großunternehmen in den Himmel zu loben nicht müde werden: dem Leitbild des bildenden Künstlers.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum der Kreative der feuchte Traum eines jeden CEO ist.

Den "flexiblen Menschen" hat Richard Sennett noch vor zehn Jahren als Schreckbild verlorener Identität im Turbokapitalismus beschrieben; inzwischen ist der routinefreie Kämpfer, der autonom, kreativ, nichtkonform und risikobereit denkt, der wider den Stachel löckt, stur seine Ziele verfolgt, sich dabei aber permanent selbst in Frage stellt und, wenn nötig, auch immer wieder neu erfindet - inzwischen ist dieser Mensch nicht nur der feuchte Traum jedes CEO. Er ist auch eine Blaupause des autonomen Künstlers, wie ihn das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Schon die Impressionisten haben das Leitbild des "flexiblen Menschen" vorgelebt. Die Identitäts-"Drift", von der Sennett spricht, das Scheitern, war ihnen Inspiration.

In der Pariser Bourgeoisie konnten damals geschickte Provokateure und Selbstvermarkter am Markt reüssieren, wie der Maler Gustave Courbet, der, von den offiziellen Salons abgewiesen, einfach ein eigenes Ausstellungshaus gründete. Was für Courbets Aufmerksamkeitsstreben, verstanden als Freiheitsdrang, im Besonderen galt, galt auch für die Kunst insgesamt: Sie nabelte sich vom althergebrachten Kanon ab, wurde für autonom erklärt und brachte, befreit vom Handwerkszwang, das Künstler-Genie der Moderne hervor, welches alles aus sich selbst schöpfte.

Preisverfall? Ist doch prima!

Die bürgerliche Gesellschaft erschuf sich den Künstler aber als marktfern und misanthropisch, als idealistischen, armen Tropf, der irgendwann nach seinem Tode museal geadelt wird. Spitzwegs "Armer Poet" ist nicht umsonst ein Geschöpf des Biedermeier. Der moderne Künstler hatte sich wie Modigliani morgens mit einer Flasche Wein und einer Leinwand einsperren zu lassen, bis das Meisterwerk vollendet war. Aus dieser Legende vom artiste maudit speist sich noch die heutige Marktkritik, welche den Künstlern ihren Erfolg vorwirft.

Doch im 19. Jahrhundert entstand auch die kommerzielle Kunstgalerie heutiger Prägung. Schon der junge Picasso wurde von seinem Händler dazu angehalten, den Markt nicht mit kubistischer Neuware zu überschwemmen. Aber erst Andy Warhol verzichtete auch produktionstechnisch darauf, zwischen Kunst als dem Anderen des Marktes und der Logik der Fabrikation zu unterscheiden. Nicht umsonst haben sich in den Siebzigern so viele Firmenbosse von ihm porträtieren lassen. Als Leitbild für "kreative Entscheidungen" und "ästhetische Strategien" war er perfekt. Viele Künstler wollen heute nichts mit diesem Leitbild der creative industries zu tun haben, wollen sich nicht als Leitsterne prekarisierter Arbeitsverhältnisse feiern lassen. Der Brite Liam Gillick etwa sagte der SZ, er wolle nicht zum Emblem für einen bestimmten, kreativen way of life werden.

Hirst ist da anders. Er geht in dieser Rolle des unbotmäßigen, eigensinnigen Kreativen auf. Der Kunstbetrieb sieht es mit wachsenden Bauchschmerzen. Denn er merkt, dass er sich in Hirst spiegelt - und die eigene Fratze erblickt. Postindustrielle Selbstausbeuter in Künstlerstudios gibt es zuhauf - aber Hirst behandelt sie auch öffentlich wie Prekariat. Kunstexperten rümpfen die Nase, wenn Sammler auf Auktionen mit Weiterverkäufen ihrer Kunstschätze spekulieren - Hirst schafft die zu verhökernde Ware gleich selbst atelierfrisch ran. Der Preisverfall im Kunsthandel ist ein Tabu; wird er bekannt, ist es meist um den betreffenden Künstler schlecht bestellt. Hirst findet Preisverfall prima - obwohl er am Boom tüchtig verdient hat.

Es gibt nicht wenige Leute, die einen finalen Kunst-Crash nur deshalb herbeisehnen, weil ihnen dann vielleicht endlich das Thema Damien Hirst erspart bleibt.

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SZ vom 26.11.2008/rus
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