Süddeutsche Zeitung

Zum Tod des Künstlers Rodney Graham:Leuchtgestalt

Der kanadische Konzeptkünstler Rodney Graham ist mit 73 Jahren gestorben.

Von Peter Richter

Viele gute, berühmte oder jedenfalls erfolgreiche Künstler sind auch als große, manchmal fast obsessive Leser von Tageszeitungen bekannt. Seitens einer solchen Tageszeitung liegt da natürlich der Schluss nahe, dass das kausal miteinander zu tun haben könnte. Dass eine regelmäßige Anteilnahme am Zeitgeschehen zumindest nicht schaden kann, bevor es im Elfenbeinturm des Ateliers an die eigene Arbeit geht. Und manchmal ist das, was dann dort entsteht, wiederum eine künstlerische Würdigung des Zeitungslesens.

Die besten, berühmtesten und dabei auch noch erheiterndsten Zeitungsleser der jüngeren Kunstgeschichte hat ganz sicher der Kanadier Rodney Graham in die Welt gesetzt. Da war der "Newspaper Man": das Foto eines Herrn im Anzug, der auf einer Parkbank scheinbar lesend eine Zeitung vors Gesicht hält. Erst beim zweiten Blick sieht man die zwei Gucklöcher, durch die er wie ein Spion in Wahrheit den Betrachter anschaut, was natürlich sofort an die Legende erinnert, wonach George Grosz, als er noch Kunststudent an der Dresdner Akademie war, im Café am Altmarkt durch solche Gucklöcher in seiner Tageszeitung kleine Zuckerwürfel auf die Umsitzenden schnipste und dann aus der Deckung zusah, was passierte. Die Bewahrung einer gewissen anarchistischen Kindskopfigkeit gilt ja oft als wesentliche Zugangsvoraussetzung für diesen Beruf - neben Neugier und Beobachtungsgabe. "Avid Reader", ein anderes berühmtes Bild von Graham, zeigt einen Alten, der mit Beflissenheit sogar die Zeitungen studiert, mit denen während Umbauarbeiten die Schaufenster eines Ladens abgeklebt worden sind. Diese Szene hatte Graham so tatsächlich einmal auf der Main Street von Vancouver gesehen, wo sich das Stammcafé befand, in dem er selbst mutmaßlich die "Vancouver Sun" oder das Konkurrenzblatt "The Province" las (wahrscheinlich eher beide).

Denn Graham war zwar ein sehr international gefragter Künstler, vertreten von großen Galerien in New York, London, Zürich, Berlin, ausgestellt in den Museen und auf den Biennalen der Welt; aber zugleich war und blieb er mit Bestimmtheit ein Mann aus Vancouver an der Westküste von Kanada - etwas abgelegen vielleicht, aber mit eigener Szene und Tradition. Und auf die bezog er sich nicht zuletzt auch in seinen Zeitungs-Arbeiten: Aufwändige Fotoinszenierungen, präsentiert als Leuchtkästen - das war einerseits eine Hommage an Jeff Wall, den Freund und Lehrer, andererseits war es auch Parodie und Kampfansage; Graham hat Vancouvers Leuchtkasten-Fotokunst das Quentchen Komik eingehaucht, das man dem heiligen Jeff Wall nun eher nicht nachsagen würde.

Bevor er das Risiko einging, populär zu werden, hatte er mit Vertracktheit beeindruckt

In diesem Ansatz war er südlicher beheimateten Kollegen näher, John Baldessari etwa, der in Los Angeles seine heiteren Spiele trieb. Ähnlich wie bei vielen Kaliforniern findet man aber auch bei Graham einen eher ironischen, distanzierten Blick auf das als etwas selbstgewiss wahrgenommene Kunstgeschehen an der East Coast. In "The Gifted Amateur, Nov 10th, 1962" zeigt er sich als unbekümmerter Westküstler, der eben heimgekehrt von einem New York-Besuch die dort einst so gefeierten Farbschüttbilder von Morris Louis in frohgemuter Kann-ich-auch-Geste im Bungalow-Wohnzimmer nachbastelt. Das eigentlich Entscheidende auch hier wieder: Die Zeitungen, mit denen er vorher den Fußboden ausgelegt hat, sind minutiöse Rekonstruktionen der Nachrichtenlage jenes Novembers '62.

Sich so weit in die Nähe der Witzbilder eines Norman Rockwell zu bewegen, war künstlerisch nicht unheikel. Trotzdem noch so viel Melancholie, leisen Schmerz und stummes Staunen über sich selbst darin freizusetzen, war eine Leistung. Und Graham ist ja nicht nur als Fotomodell seiner Leuchtkästen in verblüffend viele verschiedene Rollen geschlüpft, er hat das auch als Künstler mit seinen Medien und Methoden so gehalten. Bevor er beschloss, ausdrücklich populär und leicht werden zu wollen (eigentlich das größte Risiko, das ein Künstler eingehen kann), war er einem lange fast einschüchternd belesen und vertrackt begegnet. Bevor er spät in seiner Karriere das Malen zelebrierte und Picasso huldigte, hatte er lange eher seinem inneren Duchamp Zucker gegeben. Sein Konzeptualismus ging bis tief in die Literatur, bis hin zu Büchner und dem Film natürlich (irre, wie betörend das aussehen kann, wenn man einen Kronleuchter mal kreiseln lässt wie ein Karussell). Ganz zu schweigen von der für ein Nebenprojekt auch beeindruckend erstklassigen Country-Musik, die er mit seiner Rodney Graham Band gemacht hat. Schon weil man so gern in der Zeitung gelesen hätte, was er in Zukunft noch alles angepackt hätte, ist es umso trauriger, hier jetzt melden zu müssen, dass Graham am Montag im Alter von 73 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5681375
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/etho
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.