"Künstler mit Herz":Und es werden immer mehr

Der Initiative haben sich bereits 120 namhafte Kulturleute angeschlossen. Bei "Ander Art" und "Ausgehetzt" setzen sie sich ein für ein weltoffenes und demokratisches Bayern

Von Michael Zirnstein

Das "Servus" sitzt noch nicht. Wie zwei Schulbuben beim Gedichtaufsagen stehen die jungen Schauspieler Tommy Schwimmer und Ferdinand Schmidt-Modrow händeringend beim Casting. "Servus", sagt der Dunkelhaarige, "Servus" sagt der Rotschopf, immer wieder gleich monoton. Dem Regisseur, gespielt von Hannes Jaenicke, reicht das nicht. Der Gag an der Szene ist, dass die beiden als Serienstars von "Dahoam is dahoam" fast jeden Tag im Fernsehen sind, also mit ausdrucksvoll vorgetragener Mundart kein Problem haben dürften. Und wenn der Zuschauer diese Szene im Abspann wie ein Outtake sieht, hat er das "Servus" schon ein Dutzend Mal perfekt lässig gehört - es ist die zentrale Botschaft eines Videoclips für die Aktion "Künstler mit Herz". Die beiden Darsteller schlendern darin durch München und begrüßen ganz selbstverständlich alle, denen sie begegnen: "Servus" sagen sie zueinander, "Servus" zum Skateboarder, "Servus" zu den Indern auf der Isarbank, "Servus" sagt der Asiate mit Baseballkappe an der Ecke, "Servus" rufen die Touristen", "Servus" antwortet die Frau mit Kopftuch. Klare Botschaft: "Wir begrüßen Vielfalt!"

Witzig soll der Clip rüberkommen, auf keinen Fall belehrend, mit zwei grundsympathischen Hauptfiguren. Noch muss alles zusammengebastelt werden, auch die Musik, die die Münchner Filmkomponisten Superstrings eigens dafür aufgenommen haben. Aber Tommy Schwimmer will die Rohfassung unbedingt gleich nach dem Dreh der Casting-Szene in einem Kellerstudio an der Gabelsbergerstraße ein paar anderen Mitgliedern der Initiative "Künstler mit Herz" auf dem Laptop vorführen. Danach schaut er fragend in die Runde, und als alle die Daumen recken, sagt er erleichtert: "Findet ihr gut? Freut mich." Er trägt noch das T-Shirt mit dem "Mehr Liebe"-Aufdruck aus dem Film, quasi voll identifiziert mit der Message und dem Bündnis.

Es haben sich bereits 120 Kulturmenschen angeschlossen, ständig werden es mehr. Gemeinsam setzen sie sich "für ein buntes, tolerantes, weltoffenes Bayern" ein, wie Schwimmer erklärt. Nicht überall hierzulande sind notleidende Menschen so daheim wie bei "Dahoam is dahoam". Da leben die Flüchtlinge mitten in der Dorfgemeinschaft des fiktiven Ortes Lansing. Schwimmer alias Flori Brunner weiß: "Bei uns funktioniert die Integration." Nicht aber in den sozialen Medien, wo einige "Dahoam"-Fans sich beschweren, dass die Asylbewerber in der Serie Fahrräder geschenkt bekommen: "Hallo, geht das nicht mal ohne Flüchtlinge!", schreibt eine Zuseherin, "ich kann es nicht mehr hören."

"Künstler mit Herz": Aufstand der Anständigen: Für einen Videodreh haben sich zahlreiche Mitglieder der Initiative "Künstler mit Herz" vor den Kultur-Containern des Bahnwärter Thiel versammelt. Auf der Zielgerade vor den Landtagswahlen wollen sie geballt an die Öffentlichkeit gehen.

Aufstand der Anständigen: Für einen Videodreh haben sich zahlreiche Mitglieder der Initiative "Künstler mit Herz" vor den Kultur-Containern des Bahnwärter Thiel versammelt. Auf der Zielgerade vor den Landtagswahlen wollen sie geballt an die Öffentlichkeit gehen.

(Foto: Künstler mit Herz)

Deswegen sind die "Künstler mit Herz" so wichtig. Weil gerade hoch geschätzte Schauspieler, Musiker, Regisseure, Kabarettisten und andere Kunst- und Medienschaffende, die mit Bayern verbunden werden, hier Haltung zeigen. "Das bewirkt unheimlich viel", ist sich Johanna Bittenbinder sicher. Die, man kann das positiv sagen, Volksschauspielerin hat die Aktionsplattform zusammen mit dem Kabarettisten Harry Helfrich ins Leben gerufen. "Der Heimatbegriff wird gerade von Menschen okkupiert, wo ich sage: Eure Heimat ist nicht die meine." Die "Liberalitas Bavariae" sei keine hole Phrase. "Bayern muss offen bleiben. Es hat sich auch nur so gut entwickelt, weil es immer Zulauf gab und weil sich die Kulturen gemischt haben."

Sie hat das selbst als äußerst bereichernd erlebt: Zur Zeit des Bosnienkrieges nahmen sie und ihr Mann Heinz-Josef Braun, gerade Eltern der kleinen Veronika geworden, eine muslimische Frau und deren 19-jährige Tochter bei sich auf. Eineinhalb Jahre lang lebten alle gemeinsam in ihrem Haus, kochten, gartelten und lachten zusammen. Bittenbinder lernte bei Telefonaten ins Kriegsgebiet die ganze Blosn kennen, übte Serbokroatisch, bis heute seien diese "wunderbaren Menschen wie ein Teil der Familie". Diese Chance des Miteinanders wollen Bittenbinder und ihre Gleichgesinnten vermitteln.

"Wir können organisieren, aufklären, motivieren, wir können Nichtwählern Anschubhilfe geben, wir können ein neues Gefühl von Gemeinsamkeit initiieren", erklärt Andreas Weinek zuversichtlich. Nicht umsonst heißt die Facebook-Seite, auf der alle "Künstler mit Herz"-Aktionen zusammenlaufen: "Wir sind mehra". Der Fernsehmacher und Mundart-Chansonier hat ein Lied geschrieben: "So schaut's aus". Als Steirer "manschgerlt" sich der Wahlmünchner hier auf, weil er nicht will, dass dieses Land auch noch nach rechts rutsche wie bereits Österreich, Ungarn und Tschechien. Gemeinsam mit dem "Dahoam"-Schauspieler Harry Blank von seiner Band Blank/Weinek, Kollegen von der Haindling-Combo und weiteren Gästen fängt sein Landler urig, gemütlich an, ein Chor mahnt: "Leitl passt's auf, sonst is wieda soweit, Leitl schaut's hi, die koide Zeit macht si breit". Dann rappt plötzlich eine Frauenstimme sinister: "Wenn wir nicht aus unsren Fehlern lernen, dann verlieren wir für immer, denn wenn Wut regiert, gibt es keinen Gewinner." Die Reime sind für Weinek der "Aufwecker", der das Schunkeln stört. Die Rapperin ist die Soul-Pop-Sängerin Veronika Bittenbinder, Johanna Bittenbinders Tochter.

Irgendwie ist hier jeder verbandelt, und das ist mit ihrer Strahlkraft die Stärke der Künstler. Jeder kennt hier wen, der irgendwas Nützliches kann: Filme machen wie Christian Lerch und andere Regisseure, aufmüpfig gstanzln wie die Couplet-AG, mitreißend musizieren wie die Bananafishbones, und mit politischem Aktivismus kennt sich die Medien-Allzweckwaffe Hannes Jaenicke aus. Nach einer langen Protestflaute erkennt der Umwelt- und Polit-Aktivist jetzt endlich ein Aufbegehren - gerade des künstlerischen Lagers: Die erste "Ausgehetzt"-Demo mit 30 bis 40 000 Teilnehmern im Juli sei "ein Lichtblick" gewesen, "das hat gewirkt, selbst der Seehofer redet plötzlich mit Kreide im Hals. Der Druck der Straße funktioniert, das ist unsere Chance."

So wird Andreas Weinek gleich die Gelegenheit des "Ander Art" beim Schopf packen. Er spielt am Samstag um 14.30 Uhr mit Blank/Weinek bei diesem bunten Festival vor der Feldherrenhalle, das das Münchner Kulturreferat bereits zum 22. Mal während des Oktoberfestes veranstaltet, um der Welt zu zeigen, wie multikulturell die Stadt ist. Weinek will den Auftritt nutzen und die Bayern aufrufen, zum Wählen zu gehen - "aber nur die Parteien, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen". Speziell nehmen die "Künstler mit Herz" nämlich die AfD ins Visier. Sie haben sich das Programm der Rechts-Partei genau angeschaut, und schockiert erkannt: "Die wollen eine Meldepflicht für Abtreibungen, das Schuldprinzip bei Scheidungen soll wieder eingeführt werden, Alleinerziehende werden schlechter gestellt, Behinderte sollen im Bildungssystem ausgegrenzt werden, und vieles mehr", zählt Johanna Bittenbinder auf. "Alle müssen merken: Das trifft jeden", sagt die Initiatorin der Aktion. Deswegen haben die Künstler kurze Anti-AfD-Videos gedreht. "Schauspieler haben wir ja genug." Und da eine Unterstützerin beim Kino-Marketing arbeitet, werden die Clips auch in den Werbeblöcken vor den Filmen gezeigt.

Beim nächsten Großauflauf von "Ausgehetzt" und "NoPag" am Tag der deutschen Einheit werden die Künstler mit Herz freilich mitmischen und geballt aufs Podium treten. Es herrscht revolutionäre Aufbruchsstimmung. Mit dem Kleinkunst-Veranstalter und Aktions-Pfiffikus Till Hofmann haben sie sich auch schon kurzgeschlossen. "Wir haben vor, ein Konzert oder Festival zusammen zu veranstalten, Musiker sind ja da", erklärt Bittenbinder. Und von Hofmann, "dem guten Gewissen der Stadt", könne man viel lernen, "zum Beispiel, wie man effektiv arbeitet". Die "Künstler mit Herz" stünden ja erst am Anfang, das Wissen des organisierten Widerstands muss noch wachsen, aber die nötige Wut bringen sie alle mit: "Es gärt in vielen von uns", sagt Johanna Bittenbinder.

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