Künstler-Casting:Rache am Blutwurstverkäufer

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Wozu der Wettbewerb? Die zehnte Ausgabe des Berliner Preises der Nationalgalerie.

Von Kito Nedo

An dem Vormittag, an dem der zehnte Durchgang des Berliner Preis der Nationalgalerie eröffnet wurde, unternahm die Ausstellungskuratorin Dorothée Brill den Versuch, eine metaphorische Klammer für die verschiedenen Beiträge der vier Kandidaten Simon Fujiwara, Flaka Haliti, Pauline Curnier Jardin und Katja Novitskova zu finden. Brill sprach also von "vier Atmosphären" oder "vier Klimazonen" aus denen sich nun das Finale im Gegenwartsmuseum Hamburger Bahnhof zusammenfüge. Streng genommen sind es doch aber eher nur zwei Temperaturen, die sich in diesem Wettbewerb unterscheiden lassen. Und dominierend ist die hell ausgeleuchtete Kühle zeitgenössischer Konzeptkunst, wie sie von den beiden ehemaligen Städelschule-Absolventen Simon Fujiwara und Flaka Haliti und Installationskünstlerin Katja Novitskova repräsentiert wird.

Sowohl der 1982 in London geborene, heute in Berlin lebende Simon Fujiwara als auch die 1982 in Pristina geborene Flaka Haliti, die inzwischen in München wohnt, sowie die Berlinerin Novitskova, geboren 1984 in Tallinn, arbeiten im weitesten Sinne mit vorgefundenem Material, das sie in eine neue Form und einen anderen Kontext bringen.

Fujiwara etwa interessiert sich für die Beschleunigungskraft der sozialen Medien im Dienst des Marktes. In einer Vitrine zeigt der Künstler die Kopie eines himmelblauen Anzugs des englischen Modeunternehmens Topshop, den die amerikanische Sängerin Beyoncé vor ein paar Jahren bei einer Besichtigung des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam trug ("What Beyoncé wore to the Anne Frank House", 2018). Als sie ein Foto von sich auf Instagram postete war das Kleidungsstück innerhalb kürzester Zeit weltweit ausverkauft. Nebenan hat der Künstler eine Wachsfigur des im Nationalsozialismus in Bergen-Belsen ermordeten Mädchens im Stile des populären Wachsfigurenkabinetts Madame Tussauds installiert und zwei Monitore auf denen eine überlaute Kamerafahrt entlang der "Likeness" betitelten Figur zu sehen ist. Die Kritik einer Gedenkkultur als Selfiekulisse wird mit einem gewaltigen Produktionsaufwand betrieben.

Flaka Haliti suchte sich hingegen in den ausrangierten Hinterlassenschaften der internationalen Kosovo-Truppe (KFOR) allerlei Riffelbleche, Belüftungsschläuche und Kühlrippen zusammen, um aus dem Material kantige Maschinenwesen zu bauen. Diese Roboter wirken aber gar nicht martialisch, sondern eher friedlich, weil sie in demonstrativ entspannten Posen auf dem Museumsboden herumlümmeln. Die Wände des Ausstellungsraumes sind mit bedruckter Folie bezogen, deren beide Elemente einerseits an eine gezeichnete Landschaft erinnern und andererseits an vergrößerte Skizzen aus dem Blackbook von Graffiti-Sprühern stammen könnten. Beendet ist die mittlerweile zwanzig Jahre andauernde Friedensmission noch nicht. Erst vor Kurzem etwa hat der Bundestag einer weiteren Verlängerung des Einsatzmandats für die Bundeswehr zugestimmt - was die fast elegische Arbeit unerwartet aktuell wirken lässt.

Bei Katja Novitskova wiederum denkt man angesichts der Zeichen an den Wänden zunächst an Höhlenmalereien, sie ähneln teilweise den berühmten roten Handabdrücken in den Höhlen von Altamira an der nordspanischen Atlantikküste. Im Raum hingegen hat die Künstlerin hin- und herwiegende elektrische Babyschaukeln gestellt, deren Kabel am Boden ein kunstvolles Knäuel bilden ("Pattern of Activation (MamaRoo nursery, dawn chorus))". Dazu kommen monumentale Fotoskulpturen mit mikrobiologischen Aufnahmen der embryonalen Stadien eines bei biomedizinischen Studien beliebten Fadenwurms, die "Pattern of Activation (Mutants)": Die Zusammenstellung wirkt wie ein ausnehmend schräges Labor - oder eine Biotech-Hölle.

Einzig Pauline Curnier Jardin bricht mit der Kälte der Kunst und schleust anarchischen Humor ein

Wahrscheinlich ist die 1980 in Marseille geborene Pauline Curnier Jardin deshalb die heimliche Favoritin dieser sehr homogenen Konkurrenz, weil es ihr als einzige unter den Nominierten gelingt, mit dem heiligen Ernst und der Kälte der Kunst zu brechen und durchaus anarchischen Humor in die Museumsräume zu schleusen. Ihr Hauptwerk ist ein Film in dem eine Gruppe älterer Frauen jenseits der Menopause wieder zu menstruieren beginnt und sich blutig an jungen Männern rächt, die sie mit Nichtbeachtung behandeln: Unter anderem an einem Blutwurstverkäufer in einer Metzgerei, einem Fahrradkurier und einem Paketzusteller. Schließlich landen die Frauen in einem altertümlichen Gefängnis, in dessen Zellen sie einen gemeinsamen Orgasmus zelebrieren. Curnier Jardin zitiert Genets "Un Chant d'Amour" von 1950 und unwillkürlich denkt man auch an Christoph Schlingensief, was in Berlin ein gutes Zeichen ist.

Eine grundsätzlicher Widerspruch bleibt indessen ungelöst. Wenn man öfter Vernissagen für junge zeitgenössische Kunst in Berlin besucht, dann staunt man über das große Interesse und die soziale Anziehungskraft, die sich in großen Menschentrauben vor und in den Ausstellungen manifestiert. Was dann mit Blick auf das Prozedere des Preises der Nationalgalerie zu der Frage führt, ob diese Kunst es tatsächlich nötig hat, aus Werbegründen in das Format einer Art Castingshow gegossen zu werden. Oder ist es vielleicht eher umgekehrt so, dass die veranstaltende Institution die Kunst zu Werbezwecken für sich braucht und auf einen schnellen Imagetransfer hofft? Vor zwei Jahren kritisierten die Finalistinnen in einem offenen Brief die Instrumentalisierung ihrer Beiträge für eine Öffentlichkeitsarbeit, die sich weniger für die künstlerischen Arbeiten selbst zu interessieren schien und mehr für den Sponsor und das ausrichtende Museum. Hier wurde in diesem Jahr nachgebessert. Aber die grundlegende Frage nach dem Sinn einer Ausstellung als Wettbewerb bleibt.

Preis der Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart, Berlin, bis 20. Februar.

© SZ vom 21.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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