Nationalsozialismus:Künstler auf der Flucht vor den Nazis

Zahlreiche Menschen flohen in den Dreißigerjahren vor dem Nazi-Regime ins Ausland, darunter berühmte Künstler. Sechs Fluchtgeschichten.

1 / 6

Collage: Künstler und ihr Exil

Quelle: Collage Jessy Asmus/ SZ.de

Im Mittelpunkt des Rechercheprojekts #Kunstjagd, das SZ.de in einem 360°-Schwerpunkt begleitet, steht die Suche nach einem verschollenen Gemälde der Familie Engelberg. Wie die Engelbergs mussten zahlreiche Künstler und Intellektuelle vor dem Nazi-Regime fliehen. Sechs Beispiele.

Else Lasker-Schüler (Schweiz, Palästina)

Im Jahr 1932 hatte die Dichterin noch den Kleist-Preis erhalten. Ein Jahr später wurde Else Lasker-Schüler auf offener Straße von SA-Männern verprügelt. Sie fürchtete um ihr Leben und floh im April 1933 nach Zürich. Dort erhielt sie, wie alle seit August 1933 emigrierten Prominenten, Arbeitsverbot und musste wegen befristeter Aufenthaltsgenehmigungen ständig den Wohnort wechseln. Schon in ihrer Heimat Deutschland war sie eine Außenseiterin gewesen, in der Schweiz fühlte sie sich noch einsamer.

Lasker-Schüler unternahm von Zürich aus zwei Reisen nach Palästina. Von einer dritten, die sie im Jahr 1939 machte, kehrte sie nicht mehr zurück: Der Krieg hatte begonnen und die Schweiz verwehrte ihr das Rückreisevisum. Sie blieb in Jerusalem und schrieb dort ihren letzten Gedichtband "Mein blaues Klavier". Im Titelgedicht heißt es: "Ich habe zu Hause ein blaues Klavier / Und kenne doch keine Note / Es steht im Dunkel der Kellertür / Seitdem die Welt verrohte".

Else Lasker-Schüler starb im Januar 1945 völlig verarmt in Jerusalem. Sie wurde auf dem Ölberg begraben.

Kathleen Hildebrand

2 / 6

Thomas und Heinrich Mann (Schweiz, Frankreich, USA)

Collage: Künstler und ihr Exil

Quelle: Collage Jessy Asmus/ SZ.de

Mit großem Misstrauen hatte Thomas Mann das Aufkommen des Nationalsozialismus in Deutschland verfolgt, in seiner "Deutschen Ansprache" nannte er ihn 1930 eine "Riesenwelle exzentrischer Barbarei". Dem Literaturnobelpreisträger, dem 1936 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, fiel das Auswandern trotzdem nicht leicht.

Die erste Exilstation Thomas Manns war 1933 das bei Exilkünstlern beliebte Sanary-sur-Mer in Südfrankreich, dann die Schweiz. Der "Buddenbrooks"-Autor lebte fünf Jahre in Küsnacht in der Nähe von Zürich, bevor er eine Gastprofessur der Universität Princeton annahm und 1938 in die USA einreiste. Bei seiner Ankunft sagte er der New York Times den bezeichnenden Satz: "Wo ich bin, ist Deutschland." Thomas Manns Villa im kalifornischen Pacific Palisades wurde zu einem Treffpunkt namhafter deutscher Emigranten wie Theodor W. Adorno, Max Horkheimer oder Franz Werfel. Manns Bruder Heinrich war 1933 von der Akademie der Künste in Berlin ausgeschlossen worden, lebte zunächst in Nizza und kam 1940 ebenfalls nach Kalifornien. Sowohl Thomas als auch Heinrich Mann nahmen 1936 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft an.

Thomas Mann beschäftigte die Politik in der Heimat auch im Exil, er klagte Hitler-Deutschland in monatlichen BBC-Rundfunkansprachen an. In seinem Roman "Doktor Faustus" verarbeitete er nicht nur die Verführbarkeit eines einzelnen Künstlers, sondern des gesamten deutschen Volkes. Marcel Reich-Ranicki feierte Thomas Mann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung 2003 als "Oberhaupt der deutschen Emigration".

Keiner der beiden Brüder Mann kehrte dauerhaft in die Heimat zurück: Heinrich Mann starb 1950, kurz vor seiner geplanten Rückkehr nach Deutschland. Sein Bruder Thomas lebte von 1952 an in der Schweiz.

Carolin Gasteiger

3 / 6

Bertolt Brecht (Tschechoslowakei, Frankreich, Dänemark, USA)

Collage: Künstler und ihr Exil

Quelle: Collage Jessy Asmus/ SZ.de

Im Februar 1933, am Tag nach dem Reichstagsbrand, floh Bertolt Brecht mit seiner Ehefrau Helene Weigel nach Prag. Ein paar Wochen später brannten in Nazi-Deutschland seine Bücher, Brechts Theaterstücke durften nicht mehr aufgeführt werden. Die deutsche Staatsbürgerschaft verlor er 1935.

Über Wien und die Schweiz kam er nach Paris, arbeitete dort mit Kurt Weill am Ballett "Die sieben Todsünden" und zog dann weiter nach Dänemark, wo er auf der kleinen Insel Thurø bei Svendborg ein Haus kaufte. Die nächsten fünf Jahre verbrachte er dort mit seiner Familie in einer Reetdach-Idylle - aber auch in immer schwerer zu ertragender Isolation. In einem Gedicht aus jener Zeit schreibt er: "Geflüchtet unter das dänische Strohdach, Freunde / Verfolg ich euren Kampf".

Über Schweden, Finnland und die Sowjetunion floh die Familie 1941 weiter in die USA, ins kalifornische Santa Monica. Brecht wollte als Drehbuchautor in Hollywood arbeiten, fühlte sich in den USA aber so unwohl, dass es dazu nicht kam. Nach dem Kriegseintritt der USA 1942 wurde er wie viele deutschsprachige Emigranten als "Enemy Alien" vom FBI überwacht und musste sich in der Kommunismus-ängstlichen Nachkriegszeit vor dem "Ausschuss für unamerikanische Umtriebe" rechtfertigen. 1948 kehrte er nach Ostberlin zurück.

Kathleen Hildebrand

4 / 6

Walter Gropius (Großbritannien, USA)

Collage: Künstler und ihr Exil

Quelle: Collage Jessy Asmus/ SZ.de

Als Architekt war Walter Gropius schon bekannt, hatte unter anderem die Siemensstadt in Berlin gebaut. Aber seine fortschrittliche Idee, im "Bauhaus" Kunst, Architektur und Handwerk zu vereinen, passte nicht zu den Vorstellungen der Nationalsozialisten. Sie diffamierten die Weimarer Kunstschule als "Kirche des Marxismus" und ließen sie 1933 schließen.

1934 ging Gropius nach Großbritannien, wo er mit seinem englischen Kollegen Maxwell Fry zusammenarbeitete. Drei Jahre später emigrierte er schließlich in die USA, lehrte an der Harvard-Universität in Cambridge. Gropius wollte hier seine Idealvorstellung von Teamarbeit verwirklichen und gründete fast 30 Jahre nach dem Bauhaus "The Architects Collaborative".

Trotz vieler Bauprojekte außerhalb der USA - unter anderem in Athen, London und Bagdad - lebte Gropius bis zu seinem Tod 1969 in Cambridge bei Boston.

Carolin Gasteiger

5 / 6

Anna Seghers (Frankreich, Mexiko)

Collage: Künstler und ihr Exil

Quelle: Collage Jessy Asmus/ SZ.de

In Anna Seghers' Roman "Transit" beschreibt der Erzähler die Lage der Flüchtlinge in Marseille so: "Damals hatten alle nur einen einzigen Wunsch: abfahren. Alle hatten nur eine einzige Furcht: zurückbleiben." Die Stadt am Mittelmeer wurde Anfang der Vierzigerjahre zum Auffangbecken für so viele, die vor den Nationalsozialisten auf der Flucht waren und sich in Paris oder der Mittelmeerstadt Sanary-sur-Mer noch kurz zuvor in Sicherheit wähnten - bis Hitlers Truppen Paris im Sommer 1940 einnahmen.

Auch Anna Seghers war mit ihrem Mann, dem ungarischen Soziologen László Radványi, und ihren Kindern über die Schweiz zunächst nach Paris geflohen. Zweite Station der Familie war dann Marseille. Als Kommunisten und kritische Autoren hatten sie Deutschland schon 1933 verlassen müssen: Anna Seghers' Bücher hatten die Nazis bei den Bücherverbrennungen in die Flammen geworfen.

Von Marseille aus emigierten Seghers und ihre Familie nach Mexiko. "Dieses seltsame Land", wie Seghers schrieb, war für viele linksgerichtete Intellektuelle einer der wenigen Zufluchtsorte, weil andere Staaten ihnen die Einreise verwehrten. Anna Seghers blieb sieben Jahre in Mexiko und entwickelte trotz vieler, vor allem finanzieller Schwierigkeiten eine innige Beziehung zum Land und seinen Menschen.

Einige ihrer wichtigsten Bücher - "Transit", "Der Ausflug der toten Mädchen" und "Das siebte Kreuz" - schrieb sie in Mexiko. Sie war aktiv in der Flüchtlingsgemeinde, zu der auch der Journalist Egon Erwin Kisch und seine Frau Gisl gehörten, und gründete die Zeitschrift Freies Deutschland. Im Rückblick nannte sie ihre Jahre im mexikanischen Exil die schönsten und wichtigsten ihres Lebens. Kurz vor ihrer Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1947 nahm Anna Seghers die mexikanische Staatsbürgerschaft an.

Kathleen Hildebrand

6 / 6

Billy Wilder (Frankreich, USA)

Collage: Künstler und ihr Exil

Quelle: Collage Jessy Asmus/ SZ.de

Unmittelbar nach der Machtergreifung 1933 floh Samuel Wilder aus Berlin nach Paris. Wilder war als Drehbuchautor gut im Geschäft, aber er war Jude. 1906 wurde er im heute polnischen Sucha geboren, das damals noch zur Habsburger Monarchie gehörte. Später zog die Familie nach Wien.

Im Pariser Exil drehte er seinen ersten Spielfilm: "Mauvaise graine". Ein Angebot von Paramount Pictures lockte ihn schließlich in die USA, wo er sich "Billy" nannte. Mit anderen Filmschaffenden wie Fritz Lang oder Ernst Lubitsch prägte er das amerikanische Kino, drehte Filme wie "Frau ohne Gewissen" (1944) oder "Manche mögen's heiß" (1959).

Wilders Filme zeichnet eine ganz besondere, ihm eigene Komik aus. Sein persönliches Schicksal und das seiner Familie - er verlor unter anderem Mutter und Großeltern während der Nazi-Diktatur - thematisierte er darin kaum. Allein "Die Todesmühlen" (1945), der einzige Dokumentarfilm des Regisseurs, handelt von Konzentrationslagern.

Wilder hatte sich nach Kriegsende als Regisseur in Hollywood etabliert und lebte bis zu seinem Tod 2002 in Los Angeles. Für Hellmuth Karasek war Billy Wilder "der amerikanischste Filmemacher und europäischste Regisseur".

Carolin Gasteiger

© SZ.de/sebi/jobr
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: