Seine letzte Festnahme stellte Maykel Osorbo Castillo live ins Netz. Man kann das Video dort immer noch finden, knapp drei Minuten wackelige Handybilder, die den kubanischen Rapper dabei zeigen, wie er am Montag dieser Woche vor dem Haus seiner Freundin in Havanna von Polizisten abgepasst wird. Es folgt ein Wortwechsel, dann Beschimpfungen, am Schluss wird Osorbo in ein Polizeiauto verfrachtet, während er "Warum? Warum?" ruft, nur um die vermutliche Antwort gleich selbst in das Mikrofon zu schreien: "Patria y vida! Patria y vida!"
Es ist der Titel eines Songs, den Osorbo zusammen mit anderen kubanischen Rappern aufgenommen hat, unter ihnen Yotuel Romero und das Grammy-Gewinnerduo Gente de Zona. Wörtlich übersetzt heißt "patria y vida" so viel wie "Heimat und Leben", tatsächlich aber ist der Name eine Anspielung auf den alten revolutionären Leitspruch "patria o muerte", den man überall in Kuba an Mauern und auf Propagandaplakaten sehen kann: Heimat oder Tod.
Allein der Titel von "patria y vida" ist deshalb eine Provokation. Dazu singen Osorbo und die anderen Rapper aber auch noch über ein Kuba, das es so offiziell eigentlich gar nicht geben darf. Ein Land, in dem Hunger und Unterernährung herrschen und in dem am Ende viele junge Menschen nur einen Ausweg sehen: die Flucht übers Meer. Natürlich, der Revolution von 1959 gebühre Ehre, aber es seien seitdem eben auch mehr als 60 Jahre vergangen. "Alles hat sich verändert, nichts ist gleich, ein Abgrund zwischen mir und dir", heißt es im Lied.
Parteiorgane bezeichnen die Musiker als vom Ausland finanzierte Unruhestifter
Vielen Kubaner scheint die Musiker damit aus dem Herzen gesprochen zu haben. In kaum vier Wochen wurde "Patria y Vida" schon rund dreieinhalb Millionen Mal bei Youtube geklickt. Der Titel ist zu einer Art Parole geworden. Der Erfolg so groß, dass auch die Regierung aufgeschreckt ist.
In Parteiorganen werden die Musiker als vom Ausland finanzierte Unruhestifter bezeichnet, das Staatsfernsehen ruft zum kollektiven Singen der Nationalhymne auf, als Protest gegen den Protestsong. Und sogar Präsident Miguel Díaz-Canel sah sich genötigt, mehrmals über Twitter zu der Sache Stellung zu nehmen: Der alte Schlachtruf "patria o muerte" sei heilig, und man werde siegen. "Wir sind Kuba!"
Längst aber weiß auch die Regierung in Havanna, dass es immer heftiger knirscht und rumort auf der Insel. Die wirtschaftliche Lage ist seit Langem prekär, im vergangenen Jahr kam dann zu US-Embargo und Zusammenbruch des ölreichen Bruderstaates Venezuela auch noch die Pandemie dazu. Kaum noch Touristen kommen seitdem auf die Insel, es fehlt an Devisen, genau wie an sowieso fast allem.
In den sozialen Netzwerken: Bilder der Kinder und Enkel von Parteigranden in dicken Autos
Immerhin: Seit ein paar Jahren gibt es Internet. Rund sieben Millionen Kubaner gehen heute laut der Regierung in irgendeiner Form ins Netz. Einige Seiten sind gesperrt, soziale Netzwerke aber weitestgehend offen. Dort verbreiten sich schnell Bilder der Kinder und Enkel von Parteigranden in dicken Autos, genauso wie auch Nachrichten über willkürliche Verhaftungen.
Erst vor ein paar Monaten kam es deswegen zu Protesten. Auch damals hatte die Regierung einen Rapper verhaften lassen, auch damals streamte dieser seine Festnahme live ins Netz. Künstler der Gruppe "Movimiento San Isidro", die seit 2018 für Kunstfreiheit kämpft und zu der der Rapper gehört, solidarisierten sich. Es gab sogar einen Hungerstreik und offenen Protest vor dem Kulturministerium. Bald ging es nicht mehr nur um einen inhaftierten Sänger, sondern ums große Ganze, eine Revolution gegen die Revolution. Nur mit Mühe bekam die Regierung in Havanna die Proteste wieder unter Kontrolle - mit Verhaftungen und Hausarrest. Ganz ruhigstellen lässt sich der Widerstand aber nicht mehr. Auch das zeigt der Erfolg von "Patria y Vida".
Maykel Osorbo scheint wieder frei zu sein. Am Mittwoch postete er auf Twitter ein Bild von sich in seinem Studio. Gut möglich aber, dass er bald wieder verhaftet wird: Die Festnahme von Montag war schon die zweite in nur einer Woche.