Netzkolumne:Krypto-Geld für den Wiederaufbau

Netzkolumne: Grafik von Erlikh Dima zu einem Tweet vom dritten Kriegstag in der Ukraine, zu kaufen auf der Website https://metahistory.gallery.

Grafik von Erlikh Dima zu einem Tweet vom dritten Kriegstag in der Ukraine, zu kaufen auf der Website https://metahistory.gallery.

(Foto: metahistory.gallery)

Auch die ukrainische Regierung steigt ins Geschäft mit NFT-Kunst ein - zur Stärkung der Landesverteidigung.

Von Michael Moorstedt

Zu den eher harmlosen Absurditäten, die der Zeitgeist in den letzten Monaten so hervorgebracht hat, gehört der Glaube, dass man mit dem Handel von grotesken Comicbildern reich werden kann. Die Rede ist natürlich von sogenannten Non-Fungible Tokens (NFT).

Hauptsächlich handelte es sich dabei um generisch produzierte Bildersammlungen wie etwa die des besonders populären Bored Ape Yacht Club. Die nicht Eingeweihten stellen sich am besten eine Mischung aus Sammelkartentauschecke auf dem Pausenhof und Tulpenzwiebelhysterie vor. Das trifft die Stimmung, die auf den entsprechenden Handelsplätzen im Internet im letzten Jahr herrschte ganz gut. Zeitweise wechselten hier einzelne NFTs für mehrere Millionen Dollar den Besitzer.

Doch in den letzten Monaten sind die einstigen Fabelzahlen ordentlich zusammengeschmolzen: Der durchschnittliche Preis eines NFTs ist seit Anfang des Jahres um zwei Drittel auf knapp 2000 US-Dollar geschrumpft. Insgesamt ist der Markt um die Hälfte eingebrochen. Selbst in den Google-Trends macht sich das mögliche Platzen der Blase bemerkbar. Seit dem Allzeithoch im Januar dieses Jahres sind Suchanfragen nach NFTs um mehr als 60 Prozent zurückgegangen.

Die an den Tag gelegte Attitüde der Trader und selbsternannten Early Adopter wird spürbar kleinlauter. Hanebüchene Urheberrechtsstreitigkeiten und stetige Hackerangriffe auf die digitalen Sammlungen haben das Vertrauen in die Technik stark absacken lassen. Noch dazu ist das ganze Ökosystem in Form eines Pyramidenspiels aufgebaut - wenn also einmal nicht mehr permanent genügend leichtgläubige Sammler nachrücken, implodiert die Blase.

Die Blase ist womöglich geplatzt, aber jetzt offenbart sich ein nützlicher Zweck

Bis auf die Menschen, die in den Irrsinn viel Geld investiert haben, ist niemand sonderlich traurig über den Niedergang der NFTs. Kritiker sind sich darin einig, dass sie nicht mehr sind als eine umständliche Neuinterpretation von Dingen, die man früher schon mal probiert hat oder die aktuell bereits besser und effizienter funktionieren.

Ausgerechnet der russische Angriff auf die Ukraine hat wohl zum ersten Mal einen nützlichen Zweck für die Technologie offenbart. Seit Ende der vergangenen Woche gibt es auf der Website metahistory.gallery die offizielle NFT-Kollektion der ukrainischen Regierung zu sehen - und zu kaufen. Das Ziel sei die "Bewahrung der Erinnerung an die realen Ereignisse von damals" sowie die "Verbreitung wahrheitsgetreuer Informationen in der digitalen Weltgemeinschaft".

Man nutze "zukunftsorientierte Technologien, um die Geschichte zu dokumentieren und die Wirtschaft des Landes nach dem Krieg wieder aufzubauen", so Mychajlo Fedorow, im ukrainischen Kabinett zuständig für Digitalisierung. Das NFT-Museum ist ein weiterer Versuch der ukrainischen Regierung, Kryptogeld für den Widerstand gegen die russische Invasion einzusammeln. Einem Tweet von Alex Bornyakov zufolge, dem stellvertretenden Minister für Digitalisierung, wurden auf diese Weise seit Anfang März unter anderem mehr als 5000 schusssichere Westen, über 3000 Nachtsichtgeräte und 500 Helme angeschafft. Waffen würden von den Einnahmen demnach nicht gekauft.

Die Website enthält deshalb auch eine sogenannte "Warline", also eine Zeitleiste der Ereignisse, die jeweils von einem entsprechenden NFT begleitet wird. Diese enthalten jeweils einen Tweet zu einem wichtigen Moment des Krieges sowie eine Illustration von verschiedenen ukrainischen Künstlern. Jedes der NFTs ist für 0,15 der Digitalwährung Ethereum gelistet. Stand Anfang April sind das umgerechnet etwa 470 Euro. Innerhalb der ersten 24 Stunden wurden über 1000 der Dateien gekauft.

Und die Kunst selbst? Ist reichlich düster, naheliegenderweise. Stile sind so gut wie alle vertreten. Mal Agitprop, dann wieder leise und beinahe impressionistisch. Mal animiert und in Neonfarben, dann wieder still und schwarz-weiß. Fallende Bomben, angsterfüllte Gesichter. Auch ohne Zeitleiste erkennt man manche Geschehnisse wieder. Dinge, die nicht vergessen werden dürfen. Und die nun auf ewig in der Blockchain gespeichert sind.

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