Süddeutsche Zeitung

Kritik zu Süskinds Parfüm-Verfilmung:Das Kuddelmuddel der schwarzen Seele

Ein Testfall fürs deutsche Kino - Tom Tykwer und Bernd Eichinger versuchen sich an Patrick Süskinds "Parfum".

Fritz Göttler

Es war einmal, vor nicht allzu langer Zeit, da träumten Schriftsteller von einer Verfilmung ihrer Werke durch Stanley Kubrick. Nabokov und Arthur C. Clarke, Anthony Burgess und Stephen King, sie fanden es cool, als der legendäre Filmemacher "Lolita" und "2001", "Clockwork Orange" und "Shining" anging - auch wenn die Ergebnisse, die doch sehr eigenwilligen, hermetischen Filme, nicht immer ihren Erwartungen oder den literarischen Vorlagen entsprochen haben mochten. Und die alten Meister Thackeray und Schnitzler sind cineastisch geadelt durch "Barry Lyndon" und "Eyes Wide Shut"?

Nachdem "Full Metal Jacket" in die Kinos gebracht war, so war in Michel Ciments Kubrick-Buch zu lesen, habe Kubrick sich unter anderem um die Rechte an Patrick Süskinds "Parfum" gekümmert - er war, unruhig und rastlos, auf der Suche nach Inspiration, nach immer neuen großen Herausforderungen.

Er wäre Süskinds Traumregisseur gewesen für den Roman, aber das Projekt kam nicht zustande, Kubrick hat sich dann für Schnitzlers "Traumnovelle" entschieden und statt der großen Orgie in der Stadt Grasse, in die das "Parfum" mündet, die kleine Orgie um Tom Cruise in "Eyes Wide Shut" in Szene gesetzt.

Wegen eben dieser Orgie galt der Roman im Grund als unverfilmbar, und wegen seiner Hauptfigur Jean-Baptiste Grenouille, geboren am 17.Juli 1738 auf dem Pariser Fischmarkt, ausgezogen mit dem festen Entschluss, die Welt der Düfte zu revolutionieren, aufgefressen von den Kannibalen von Paris am 25.Juni 1767 - ein verwachsenes Monstrum, ein autistischer, besessener, moralisch inkorrekter und desinteressierter Junge, der sich bei der Verfolgung seines revolutionären Projekts zum Multimädchenmörder entwickelte.

Und weil er sich allein in der Welt der Gerüche und Düfte bewegte, die Patrick Süskind in seinen Satzkaskaden hingerissen beschwor, weil er sich generell olfaktorisch orientierte und definierte, schien seine Geschichte auf der Leinwand fehl am Platze.

Drehbuch für den genius loci

In mehr als vierzig Sprachen wurde das Werk übersetzt, mehr als 15 Millionen Exemplare wurden verkauft. Einer Verfilmung war der Autor viele Jahre prinzipiell abgeneigt, erst 2000 bekam Bernd Eichinger - der gleich nach Erscheinen das Buch zum absoluten Muss erklärt hatte und zu den ersten Rechte-Bewerbern gehörte - den Zuschlag.

Eine Mitarbeit am Parfum-Film hat Süskind kategorisch abgelehnt, Eichinger hat sich also der Dienste von Andrew Birkin versichert, eines britischen Schreibers/Regisseurs - der einige Jahre auch für Kubrick arbeitete. Zwei Dutzend Drehbuchfassungen sind bis Herbst 2004 entstanden, die letzte schließlich unter dem Einfluss des genius loci in Grasse, der Hochburg der französischen Parfumeure.

Süskind weiß, was das deutsche Kino braucht und was man von ihm erwarten kann - er hat mit Helmut Dietl die TV-Serie "Kir Royal" geschrieben sowie den Kinofilm "Rossini" und an "Vom Suchen und Finden der Liebe" mitgearbeitet.

Sein Roman ist eine freche Pulp-Geschichte, die den Leser über ihre Seiten jagt und mit ihrem wortreichen Furor kaschiert, wie unnahbar und leer seine Hauptfigur ist, der Mörder Grenouille, der sich als Genie und also jenseits von Gut und Böse sieht. Ein tolles kleines dirty movie hätte das werden können, wie man sie einst in den Vierzigern, später noch mal in den Siebzigern machte.

Eichinger und die Münchner Constantin aber setzten aufs Genre Weltliteraturverfilmung - in dem sie bereits beachtliche Erfolge erreicht haben, vom "Namen der Rose" bis zum "Geisterhaus". Auch das "Parfum" zielt auf den Weltmarkt, soll beweisen, dass man in Deutschland großes internationales Kino machen kann - mit mehr als fünfzig Millionen Euro der teuerste hierzulande produzierte Film.

Viele Namen waren im Gespräch gewesen in der Vorbereitungszeit, von Leonardo DiCaprio, Orlando Bloom bis Jude Law für die Rolle des Grenouille, dazu Scorsese und Ridley Scott als mögliche Regisseure. Am Ende ist dann aus Amerika gerade mal Dustin Hoffman geblieben, der Jean-Baptistes Nolens-volens-Lehrmeister Baldini spielt, ansonsten hat man sich auch von amerikanischem Geld unabhängig gemacht.

Der Film ist eine europäische Koproduktion, von verschiedenen deutschen Förderanstalten und dem VIP Medienfonds unterstützt, dazu kommt eine Beteiligung in Millionenhöhe von Gigi Oeri, der Schweizer Industriellengattin und FC-Basel-Mäzenin.

Den Jean-Baptiste, das Monster, dessen Einsamkeit und eisige Melancholie wir nach den Absichten der Filmemacher teilen sollen, spielt Ben Wishaw, der vor zwei Jahren als junger Hamlet in London Furore machte - er hat sich seiner Figur so anverwandelt, dass er auch auf dem Set mit jeder seiner Bewegungen einen verhuschten, geduckten, froschartigen Eindruck machte.

Tom Tykwer versucht sich zum ersten Mal an einer Großproduktion - an seiner Seite hatte er Frank Griebe, seinen bewährten Kameramann, und jede Menge versierter Ausstatter und Kostümberater, die Tag für Tag sich um die Balance zwischen Genrephantasie und Authentizität bemühten.

Die Stadt der Moderne

Begonnen wurde der Dreh, stimmungsgerecht, auf den Lavendelfeldern der Provence, danach ging es im Juli 2005 zu den Baldini-Sequenzen mit Dustin Hoffman nach München. Den größten Teil des Films aber absolvierte man in Barcelona und Umgebung - die Stadt doubelt das historische Paris.

Der Barrio Gótico dort wurde zum Fischmarkt umdekoriert, auf den Hügeln um die Stadt fand man die Villa des Kaufmanns Richis, den Alan Rickman mit makelloser Präzision und Distanz spielt - seine Tochter ist als letztes Opfer des Todesparfumeurs ausersehen.

Im historischen Museumsdorf Pueblo Español wurde die Schlussorgie durchgezogen, die dann doch - trotz der Mitwirkung der Leute von La Fura dels Baus, der berühmten spanischen Theatertheatergruppe - die vorrevolutionäre Mischung aus Verführung, Freiheitslust und Masochismus nicht wiedergibt.

Der Einfluss von Barcelona, der Stadt, in der die Moderne des vorigen Jahrhunderts entscheidende Impulse bekam, war stark auf dem Set zu spüren, er hat für die spielerischen, irrlichternden Momente gesorgt, die allein dem Kino möglich sind.

Und er hat ein wenig die Bedenken weggewischt, die von Anfang an das Projekt umwucherten - wie denn die beiden großen Filmpersönlichkeiten Eichinger und Tykwer zusammenspielen würden.

In Barcelona saßen sie entspannt gemeinsam hinter ihrem Kontrollmonitor, der mächtige Produzent Eichinger, der stark seine letzte große Produktion, den "Untergang", dominiert hatte, der sich mit einer Parsifal-Inszenierung in Berlin als Opernmann bewähren wollte, den es allemal immer wieder zur Regie drängt, und Tykwer, von dem viele seiner Fans die Rückkehr zu wilden Filmen wie "Winterschläfer" oder "Lola rennt", ersehnen.

Die große Synästhesie, der ersehnte Filmorgasmus ist das "Parfum" am Ende nicht geworden, immer wieder sieht es aus, als hätte man sich große Aufgaben gestellt und versucht, sie fehlerfrei zu lösen. Man spürt den "Prägestempel", den "das apotheotische Parfum ins Kuddelmuddel der schwarzen Seele" des Films drücken wollte.

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Quelle:
SZ vom 29.08.2006
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