Kritik:Schauspieler mimt Sänger

Jan Josef Liefers mit Quintett in der Muffathalle

Von Ralf Dombrowski

Man textet heute eigentlich anders, schnoddriger, lakonischer, wenn man zu den Verseschmieden der Rap-Gemeinde gehört, oder auch selbstverliebter, wehleidiger als neuer, junger und singender Mann. Jan Josef Liefers hingegen ist in einer Zeit groß geworden, als das Wort oft nicht bedeutete, was es bedeutete. Bands wie die Puhdys, Silly, Karat umwölkten die ostdeutsche Wirklichkeit mit Verbalpathos, bei dem man aus heutiger Perspektive das stilistische Gruseln bekommen möchte, das damals aber einen Hauch von Eskapismus bedeutete.

Natürlich ist Liefers weit davon entfernt, ostalgische Erinnerungen aufzugießen und nimmt im Laufe seines Konzerts mit seiner Rockcombo Radio Doria in der Muffathalle sehr gegenwärtige Gedanken in die Moderationen auf, wenn er etwa die Klage über die Unmenschlichkeit des Krieges angesichts eines Deutschlands thematisiert, das als einer der größten Waffenexporteure der Welt ordentlich am Elend verdient. Aber dann wieder kickt er riesige Luftballons ins Publikum, damit die "Verlorenen Kinder" im Saal ein wenig ihren Spieltrieb wiederfinden, oder kündet von "Guten Nachrichten", von "Liebe ist nicht wie Du" oder auch der "Sehnsucht Nr. 7". Das Quintett Radio Doria ist das dazu passende Vehikel, das ihn mit entspannter Spielhaltung bei der Entfaltung der musikalischen Erinnerungsräume und Reflexionen unterstützt. Seit zehn Jahren baut es für Liefers ein rund laufendes, klanglich im Sound der Achtziger verwurzeltes Fundament. Auf dieser Basis ist es die Mehrdeutigkeit der Bühnenpersönlichkeit, die Liefers trotz altrockiger Manierismen und seines Hangs zur Prophetie wieder auf dem Boden landen lässt.

Einerseits Harmonie-Junkie mit sehr authentisch wirkender Präsenz, wagt er ein Tänzchen mit einer Lady aus dem Publikum, feuert seine Band an oder blickt sinnierend unter dem mächtigen Requisitenbaum in die Ferne. Auf der anderen Seite weiß er genau, was er macht, und hat ein bis in die Details der Konzertrhetorik hinein perfekt gestaltetes Programm, das vom Besinnlichen bis zum Opulenten, von der angedeuteten Rockekstase bis zur akustisch im unplugged-Modus inszenierten Lagerfeuerstimmung die Register der Bühnenpräsentation zieht. Schon deshalb macht Radio Doria Spaß. Denn man merkt, dass man von Jan Josef Liefers an die Hand genommen und durch einen korrekten Kosmos anständiger Emotionen geführt wird. Er ist ein charmanter Darsteller des Verbindlichen; und auch wenn er das einer ganzen Halle gegenüber gar nicht sein kann, nimmt man ihm die Unmittelbarkeit seiner Rolle ab. Liefers, der Schauspieler, verkörpert Liefers, den Sänger, und das macht er, bis auf ein paar stimmliche Limitierungen, brillant.

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