Irgendwann, in der Mitte des Basketball-Buddy-Films "White Men Can't Jump", gibt es eine Fahrt durch Los Angeles - über den Crenshaw Boulevard, der von South Central L.A. rauf nach Hollywood führt. Vorbei an den legendären Streetball-Courts an der 22. Straße; am Leimert Park, wo sich Leute treffen, wenn sie gegen Rassismus und Polizeigewalt protestieren; rüber zu den Watts Towers, den vermeintlich gefährlichen Ecken, die in Wirklichkeit auch Orte herzwärmender Geschichten sind.
"Es hat was, diesen Dschungel zu betrachten und ihn dann aus seiner eigenen Perspektive zu zeigen", sagt Regisseur Charles Kidd, der in South Central L.A. aufgewachsen und sich mit Musikvideos (Kendrick Lamar, Nipsey Hussle, Lil Nas X) ordentlich Street Cred erarbeitet hat, am Rande der Premiere dieses Films, der erst sein zweiter nach "House Party" ist. Wer diese Ecken kennt, sitzt vor der Leinwand und sagt: Ja, das ist L.A.! So geht es zu in dieser Stadt.
Der Film ist ein Remake des gleichnamigen Films von 1992, da stellen sich Fragen beim Vergleich mit dem Original. Sind die Sujets auch heute noch relevant? Ist es so umgesetzt, dass es einen interessiert, berührt, bewegt? Ist es, und das ist letztlich die einzig bedeutende Frage, sinnvoll, das Remake zu erstellen? Bei "White Men Can't Jump" lauten die Antworten: Ja, ja und ja.
Manchmal hält L.A. genau, was es verspricht - dass man es trotz aller Mühen nicht schafft
Die wichtigste Eigenschaft des Originals: Timing. Ja, die damalige Chemie zwischen den Hauptdarstellern Woody Harrelson und Wesley Snipes ist unvergesslich, der Film ragt allein deshalb aus den vielen Filmen über ungleiche Paare, die sich für ein gemeinsames Ziel zusammenraufen, heraus. Die Basketball-Szenen auf den Courts in Venice Beach, Watts und Downtown L.A. sind authentisch und gelten bis heute als Messlatte für Filmemacher. Und ja, kaum ein anderer Film ("Boyz n the Hood", klar, und auch "Friday") fing damals so sensibel ein, was das mit einem Menschen anstellt, wenn das Leben und vor allem diese Stadt nicht halten, was sie versprechen. Oder für People of Color genau umgekehrt: Wenn genau das passiert, was diese Stadt androht - dass sie es trotz aller Anstrengungen nie irgendwohin schaffen werden.
Eine scheinbar unwichtige Szene damals, die sich aber ins Gehirn tätowiert hat: Wie die von Wesley Snipes gespielte Figur schwarzarbeitet, wieselt und wuselt, nur damit das Weißbrot sein Traumhaus kriegt und er selbst Essen auf den Tisch seiner Familie.
Der Film kam am 27. März 1992 in die Kino, einen Monat später war Los Angeles Kriegsgebiet nach dem Freispruch für die Polizisten, die den Afroamerikaner Rodney King brutal zusammengeschlagen hatten. 63 Menschen kamen bei den "L.A. Riots" ums Leben, 2400 wurden verletzt, 12 000 festgenommen, der Sachschaden lag bei mehr als einer Milliarde Dollar. Bei jedem Urteil, bei jeder neuen Nachricht über Rassismus und Polizeigewalt und auch bei den Black-Lives-Matter-Ausschreitungen 2020 beteten die Leute in L.A.: Bitte keine Riots! Das Original ist deshalb tief verwoben in die jüngere Geschichte dieser Stadt. Das Timing war: perfekt.
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"People of Color denken oft, dass jede weiße Person ihr Leben im Griff hat", sagt Regisseur Kidd, besser bekannt unter seinem Spitznamen Calmatic: "Man vergisst die Herausforderungen, die es gibt, wenn diese Privilegien auslaufen." Also: Wenn das hellhäutige Basketballtalent Jeremy (gespielt von Rap-Star Jack Harlow) aufgrund von Verletzungen nicht Profi wird und sich als Mental-Health-Guru und Fruchtsaft-Produzent in seinem Unglück suhlt - weil das Leben eben nicht hält, was es versprach. Oder umgekehrt: Beim Schwarzen Kamal (Sinqua Walls) dachten alle, dass er es raus schaffen würde aus diesem Dschungel in die Profiliga NBA, dass er Millionen verdienen würde. Das gelang ihm nicht, und er muss als Paketbote mit den enttäuschten Blicken der Leute in der Hood umgehen, die ihm allesamt mitteilen: Du Versager, was hätte ich mit deinem Talent angestellt. Jetzt bist du, der es hätte schaffen müssen, der gleiche Niemand wie alle.
Calmatic erzählt diese Geschichten einfühlsam und mit viel Humor. Witze über Rassismus berühren einen auch im Jahr 2023. Rassismus bedeutet etwas anderes als vor 30 Jahren, und das fängt Calmatic ein. Bei den L.A. Riots war er fünf Jahre alt, die Entwicklung seit damals hat er miterlebt und kann sie nun authentisch erzählen. Es lohnt, sich das anzugucken - und am besten irgendwann im Leben den Crenshaw Boulevard entlangzufahren und das selbst zu sehen.
White Men Can't Jump - Regie: Calmatic. Buch: Kenya Barris, Doug Hall, Ron Shelton. Kamera: Tommy Maddox-Upshaw. Musik: Marcelo Zarvos. Mit Sinqua Walls, Jack Harlow, Lance Reddick, Teyana Taylor. Verleih: Disney Plus, 101 Minuten. Streaming-Start: 19. Mai 2023.