Süddeutsche Zeitung

Kritik:Liebe auf den ersten Ton

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Der Tscheche Jakub Hrůša gibt seinen Einstand als Chefdirigent der Bamberger Symphoniker mit der "Symphonie fantastique"

Von Klaus Kalchschmid, Bayreuth/Bamberg

Nach dem Schlussapplaus für eine fulminante und elektrisierende "Symphonie fantastique" von Hector Berlioz wendet sich der Tscheche Jakub Hrůša in charmantem, fast perfektem Deutsch an das Publikum in der Bayreuther Stadthalle und kündigt noch ein kurzes Stücks von Erkki-Sven Tüür, der im Publikum sitzt, mit den Worten an: "Sie werden es nicht glauben, aber das lange Konzert ist noch immer nicht zu Ende. . ." Nach der wilden Sturmmusik des Esten ("Incantation of Tempest"), extra für die Bamberger komponiert als Zugabe, brandet noch einmal herzlicher Applaus auf. Er galt nicht nur diesem in jeder Hinsicht höchst gelungenen Konzert, sondern der Tatsache, dass der 34-Jährige in einem Jahr Jonathan Nott als Chefdirigent der Bamberger Symphoniker nachfolgen wird: ein warmer Willkommensgruß also.

1981 in Brno geboren, war Jakub Hrůša schon mit 16 Jahren klar, dass er einmal Dirigent werden würde. Schon während seines Studiums an der "Academy of Performing Arts" in Prag, wo er regelmäßig das Studentenorchester dirigieren konnte ("auch wenn man da vielleicht zu viel macht, zu pädagogisch ist, eine gute Schule"), lernte er beim berühmten tschechischen Dirigenten Jiři Bĕlohlávek. Hrůša kommt ins Schwärmen: "Er war ein großartiger Lehrer, der mir alles beibrachte, den ich bei Proben und Aufführungen begleiten, mit dem ich Partituren studieren und alles besprechen durfte."

Seit 2002 war Jakub Hrůša den Prager Philharmonikern eng verbunden, zuletzt als Chefdirigent. Seit 2010 ist er neben vielen Gastkonzerten bei großen Orchestern musikalischer Leiter des Glyndebourne Opera Festival. 2011 dirigierte er dort eine auf DVD erschienene, in jeder Hinsicht herausragende Produktion von Brittens "Turn of the Screw". Nächsten Sommer folgt Janáčeks "Schlaues Füchslein". Im Dezember dieses Jahres gibt der junge Dirigent bereits sein Debüt an der Wiener Staatsoper - ebenfalls mit Janáček, der "Sache Makropoulos".

Hrůša redet mit Bedacht - auf Englisch - und betont sogleich, wie wohl er sich von Anbeginn bei den Bamberger Symphonikern gefühlt habe und wie schnell er bei den Proben zu seinem ersten Konzert, Smetanas "Mein Vaterland", mit den Musikern "zu einem musikalischen Team, zu einem Organismus" zusammengewachsen sei. "Schon beim ersten Stück, 'Vyšerad', heikel in der Phrasierung, im Atmen, in der Balance, spürte ich, wie wach und konzentriert dieses Orchester reagiert und wie zugewandt mir alle waren, mit was für wunderbaren Menschen ich da zusammenkam."

Liebe auf den ersten Ton - und das hörte man bei Jakub Hrůšas erstem Konzert mit den Bambergern nach seiner Ernennung zum Chef und dem ersten in der Bayreuther Stadthalle bereits zu Beginn. Josef Suks effektvolles "Scherzo fantastique" wurde in all seiner slawischen Gesanglichkeit und Lebendigkeit ausgereizt, ohne in den Kitsch abzudriften. Und beim nicht nur für die brillante Solistin Karen Gomyo äußerst anspruchsvollen ersten Violinkonzert a-Moll op. 77 von Dmitri Schostakowitsch mit seinem oft grimmigen Humor, aber auch einem wunderbaren Sehnsuchtston im eröffnenden "Nocturne" war das Orchester ein facettenreicher, technisch perfekter Begleiter, der auch immer wieder die Hauptrolle übernehmen konnte.

Wenn man Hrůša beim Dirigieren beobachtet, nimmt man eine außerordentliche Konzentriertheit, ja fast Strenge wahr, sieht und spürt man, wie da jemand aus der Körpermitte Energie über seine Arme und Hände ausstrahlt, aber diese Arme auch immer wieder nah an die Körpermitte zurückholt. Fast wie ein Feldwebel steht da der eher kleine stämmige Mann am Pult und vermag wie ein Lotse das Orchester-Schiff bei Berlioz durch allerlei Klippen zu navigieren. So bekommen die abrupten Wechsel in Tonfall und Instrumentierung, im Nebeneinander von Soli und plötzlichem Orchesterausbruch in jedem Takt Sinn, wird der Walzer der Ball-Szene zu einem Tanz im Fieber-Delirium.

In den letzten beiden Sätzen - "Gang zum Richtplatz" und "Traum von der Walpurgisnacht" mit seinem unüberhörbaren "Dies Irae" - explodiert der Dampfer dann immer wieder geradezu mit Macht, vor allem der Bläser. Aber er tut es stets kontrolliert, bis der Dirigent am Ende der Zielgeraden noch einmal das sowieso schon äußerst schnelle Tempo noch einmal anzieht und zum letzten Akkord die Arme hochreißt wie ein Skispringer bei der Landung.

Schrecksekunde beim Publikum und danach frenetischer Applaus. Auch das war Ausdruck von Liebe - nach einem einzigen Abend.

Bamberger Symphoniker unter der Leitung von Jakub Hrůša, Samstag, 15. November, 20 Uhr, Philharmonie an der Regnitz, Bamberg

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Quelle:
SZ vom 14.11.2015
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