Kritik:Im Widerhall der Musik

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Die Tanzwerkstatt Europa widmet sich bewegten Strukturen

Von Eva-Elisabeth FIscher, Rita Argauer, München

Sollte es, was unwahrscheinlich ist, doch nicht Walter Heuns dramaturgisches Kalkül gewesen sein, so war's schöner Zufall. Es ergaben sich bei der Tanzwerkstatt Europa, auf vier Abende verteilt, zumindest formal jeweils zwei Aufführungen, die sich dank der Wahl der jeweiligen Mittel trefflich vergleichen ließen: zuletzt die Quartette "Gone in a Heartbeat" der Belgierin Louise Vanneste und "Faits et Gestes" des Franzosen Noé Soulier. Beide verfügen über eine lässige Selbstverständlichkeit in der Bewegungsfindung. Vanneste lernte von Trisha Brown, über das minimale Gestenrepertoire von ein, zwei Schlenkern immer mehr aussagekräftige Bewegungen zu schichten. Vier Tänzerinnen, die zunächst jede für sich tanzen, scheinen am Schluss, bestärkt von Cédric Dambrains suggestiver Musik, durch ein emotionales Band verbunden zu sein.

Die vier Männer in Noé Souliers Stück wirken hingegen zunächst einmal wie auf einem Schlachtfeld: Kraftstrotzend und aus einem Bewegungsrepertoire voller Kicks und blitzschneller Richtungswechsel schöpfend, begegnen sie einander auf einer blanken Bühne, ohne Musik. Erst der Einsatz der auf einem Cembalo gespielten Barockstücke von Bach und Froberger verwandeln die Tanzqualität: Nicht mehr die Energie des Körpers, sondern subtile Gestik steht dann im Vordergrund. Das ist lyrisch und bewegend. Die dramaturgische Struktur aber wiederholt sich über das Stück und erschöpft sich am Ende.

Die strukturell starke und emotional transzendente Musik Bachs sorgt auch in Cie Willi Dorners "One" für einen Höhepunkt. Basierend auf den "einwortgedichten" des österreichischen Lyrikers Heinz Gappmayr wird eine Minibühne zur Schultafel, die per Videoprojektion in die Vertikale gekippt ist. Darauf: Worte und Buchstaben - dargestellt und mit Kreide gemalt von zwei Performern, erst reduziert zum bloßen Zeichen und dann zum tänzerischen Material erkoren. Doch bevor man sich endgültig im lebendig gewordenen Semiotik-Seminar wähnt, bricht eine Fuge von Bach herein. Plötzlich: Struktur, Linien, Chaos und Ordnung, die zwei Performer schmieren die ganze Tafel voll. Erst im Gesamtbild offenbart sich eine Struktur und gestattet einen Blick auf die Genialität des Komponisten.

Auch die Münchnerin Sabine Glenz stellt in "Rhizom" Musik dem Tanz als ebenbürtig gegenüber. Die Schlagzeuger der Münchner Philharmoniker spielen John Cages "Three Constructions". Sieben Tänzer übertragen die Vielklanglichkeit dieser Musik in losen Modern Dance - mal in Formationen, mal vereinzelt. Mal geräuschhaft und forsch, mal zurückgenommen. In den guten Momenten verfließen Musik, Körper und Bühnenobjekte zu einer interdisziplinär kräftigen Installation. In den Interludes zwischen Cages Musik hängt das Stück aber ein wenig durch.

© SZ vom 13.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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