Kritik:Feiner Fang

Lesezeit: 2 Min.

"Vom Fischer und seiner Frau" als Musical im Deutschen Theater

Von Michael Zirnstein, München

Schon kurz vor der Pause erfüllt sich der sehnliche Wunsch von Stig, dem Butt: Er wird zum Mantje, zum Mensch. Als Handlungsteil wäre das flach wie ein Plattfisch, hier im Musical "Vom Fischer und seiner Frau" ist es aber einer von etlichen Dramaturgietricks: Janko Danailov streift sich mitten im Spiel die pockig-graue Fischhaut übers Haupt, hockt sich breitbeinig auf ein Cajon, diese Kistentrommel, und wird Teil von Orchester und Chor, der noch einmal die starke Eröffnungsnummer über die Verlockungen und Mythen des Meeres anstimmt: "Glück ist nur eine Dirne, lauf nicht hinterher, frag dich nicht, ob da draußen was noch viel besseres wär'."

Wie geistreich das Team aus dem Autor Kevin Schröder, dem Regisseur Holger Hauer (der hier auch Nixenkönig Blatand spielt) und dem musikalischen Leiter Marc Schubrig bei diesem mit zwei Deutschen Musical-Preisen prämierten Stück für die Grimm-Festspiele Hanau zusammenwirkt, sieht man allein an den Cajons. Die mal folkig fiddelnde, mal Udo-Jürgens-haft chansonnierende Band hat kein Schlagzeug. Dafür scheppern die Darsteller bei Bedarf nach Donner oder Beat auf zwölf Holzkisten, die auch Möbel oder Podeste sind, und ob ihrer kubanischen Herkunft feine Irritation in die Ostsee-Bretterbühnenwelt bringen.

Und nun stelle man sich solch Ideenreichtum angewandt auf das alte Wünsch-dir-was-du-willst-Märchen vor, das mit seiner Schlichtheit unzählige Interpretationen provoziert hat! Was man sich womöglich schon immer gefragt hat, wird hier beantwortet: Warum lässt der Fischer sich herumkommandieren von der Furie? Und: Was will der Fisch eigentlich? Zuerst aber wird analysiert, warum Ilsebill nachsalzt: Weil ihr in ihrem Pisspott das Gewürz in der Lebenssuppe fehlt, weil Lübeck mit Feminismus, Gesellschaft, Außenboardmotoren und allem Möglichen lockt, will auch sie mehr. Broadway-Veteranin Anna Montanoro spielt und singt Fischers Frau so hingebungsvoll hysterisch ("Das Dach hat ein Loch, auch ich bin nicht dicht"), dass man den guten Lapp Munk (weit lässiger, als man es von einem einstigen "Verbotene Liebe"-TV-Typ vermutet: Ron Holzschuh) verstehen kann, wenn es ihn zum Liedermacher-Pop singen allein aufs Meer zieht: "Weit weit raus, der Kopf ist leer ..." Sie flucht, er flüchtet. Und fängt den Butt.

Und da wird es fantastisch: Stig ist kein Fisch, sondern ein Meermann und lebt im untergegangenen Reich Vineta, wo alle seetangbehangen mit der Strömung schwimmen und lustig wie im Club Robinson tanzen. Freilich glauben sie dem Aufstreber nicht, wenn er wie im Höhlengleichnis aus dem "Meer über dem Meer" zurückkehrt: "Komm doch mal runter und blubber hier nicht rum." Die Meeresgöttin Ran (Sophie Euskirchen, geschmeidig-gefährlich wie eine Muräne mit dem Hit des Stücks: "Wofür würdest du sterben?") schließt mit dem Butt einen faustischen Pakt.

Goethe, Platon, Grimm - das sind Neurosen für drei Musicals. Das ist viel, wird einem aber nie zu viel. Nur erscheint das Ende banal wie eine Pils-Reklame, wenn Fischer, Frau und der halbnackte Butt im Pisspott hocken und zum Schlager "Was für ein schöner Tag" beraten, wie es weitergeht: "Viel reden. Und zuhören." Na, solang sie das nicht in "Butt, Teil 2" tun ... Stattdessen hat das Deutsche Theater schon eine Zusammenarbeit mit Hanau für die kommenden drei Jahre ausgemacht. Prima Plan. Da ist bestimmt wieder so ein feiner Fang zu machen.

© SZ vom 06.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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