Kritik:Diese entsetzliche Gleichheit

Woyzeck

Nicola Mastroberardino als Woyzeck (vorne) und Michael Wächter als Tambourmajor schleudern Worte wie Steine von der Bühne.

(Foto: Sandra Then)

Ulrich Rasches Basler "Woyzeck"-Inszenierung läuft nun am Münchner Residenztheater - und läuft und läuft, denn die Bühnenwelt ist wieder eine große Maschine, auf der sich die Menschen mühevoll abarbeiten

Von Egbert Tholl

Der Regisseur Ulrich Rasche muss eine grandios düstere Sicht auf die Menschen haben. Stellt er welche auf eine seiner Bühnen, dann laufen sie im Kreis, auf Laufbändern oder monströsen Raupen, ohne Ziel, ohne Ausweg, ohne Weiterkommen, sie laufen und laufen und die riesigen Maschinen, die Rasche ihnen zum Laufen baut, ächzen dazu schlecht gelaunt. Das ist immer so. Die Varianz von Rasches Maschinenwelt ist ungefähr so groß wie die Frage, ob man sich auf dem Oktoberfest im Fünfer-Looping oder im Eurostar einen steifen Nacken holt. Aber es schaut immer überwältigend aus.

Auch sein "Woyzeck". Die Inszenierung kam im September 2017 in Basel heraus, nun läuft sie am Münchner Residenztheater. Und läuft und läuft und läuft.

Natürlich, Georg Büchners Sicht auf die Welt, wie er sie im "Woyzeck" ausbreitet, kommt Rasche grundsätzlich entgegen. Das sagt er selber. Büchners Glaube an die Unabwendbarkeit eines vorausbestimmten Schicksals sei ihm nahe, im Programmheft zitiert er aus einem Brief Büchners: "Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit." Vielleicht müssen Rasches Bühnenapparate deshalb die Variation eines Immergleichen sein. Doch er wendet sie ja auf jeden Text an, den er auf die Bühne bringt. Vermutlich wäre bei Rasche selbst die "Feuerzangenbowle" ein zäher, düsterer, mechanistischer Vorgang, den niemand überlebt.

Also ist Rasches Sicht eine grundsätzliche. Das hat den großen Vorteil, dass man bei ihm genau weiß, was man kriegt, Etikettenschwindel gibt es bei ihm nicht. Wo Rasche draufsteht, ist Rasche drin, und all die Menschentiere, die bestenfalls noch Spuren von Individualität in sich tragen. Jeder ist Masse, und die Masse ist alles.

Fragt sich nur, ob Rasche konstatiert oder propagiert. Die Chance, einen eigenen Gedanken zu entwickeln, lassen Rasches Bühnengeschehnisse nicht zu. Mithin propagiert er. Er will nicht überzeugen, er will überwältigen. Davon sind viele Zuschauer, auch nach der "Woyzeck"-Premiere, begeistert. Es kann einem aber auch abgrundtief zuwider sein, besonders dann, wenn man Rasches grundsätzliche Weltsicht nicht teilt und man eher dem Prinzip Hoffnung zuneigt und nicht der völligen Desillusion. Und selbst wenn man nichts von der Menschheit hielte, es fiele schwer, sich mit Rasche zu verbünden.

Denn es bleibt doch immer noch das Moment der Aufführung. Da kann einem schon einiges hart ankommen. Für den Text, den man in einer Stunde schön runterinszeniert hinkriegt, braucht Rasche dreieinhalb Stunden mit Pause. Jedes einzelne Wort wird von der sich permanent drehenden Scheibe wie ein schwerer Stein ins Publikum geschleudert. Doch lässt sich daraus nichts bauen. Hier wird keine Geschichte plastisch, kein Zusammenhang, keine Entwicklung. Wahnsinn schon. Aber der ist dem System Rasche immanent.

Sprechen ist hier ein extremer physischer Akt, ein Schritt, ein Wort. Auch die Musik von Monika Roscher, obwohl im zweiten Teil für Rasche-Verhältnisse erstaunlich weich und farbig, erinnert eher an stoisches Arbeiten im Steinbruch denn an musikantische Freude. Obwohl die Muster sich oft ändern, herrscht der Eindruck einer systemischen Zuständlichkeit vor.

Und doch gelingt es den Menschen dort oben auf der Bühne, im Mahlwerk einen kleinen Rest ihrer selbst bestehen zu lassen. Michael Wächter speit als Tambourmajor Testosteron, der Hauptmann und noch mehr der Doktor (Thiemo Strutzenberger und Florian von Manteuffel) sind dezidiert unangenehme Gesellen, Nicola Mastroberardino ist als Woyzeck ein irrer Schmerzensmann. Und zum Glück gibt es Franziska Hackl, die Marie. Endlich ein Mensch! Der natürlich, Büchner und Rasche folgend, zugrunde gehen muss.

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