Kritik an ritueller Beschneidung:Im Hintergrund schwelen Kastrationsängste

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Das umstrittene Kölner Urteil, das Beschneidungen kriminalisiert, vermittelt unweigerlich den Eindruck, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Diesem rassistischen Konstrukt liegt eines zugrunde: Sorge um die eigene Männlichkeit.

Doron Rabinovici

Wer die Zirkumzision ablehnt, kann dafür durchaus gute Gründe anführen, kann das Kind vor dem Eingriff, vor den Schmerzen oder bloß vor dem Verlust der Vorhaut schützen wollen. Die Kölner Richter wenden sich gegen ein archaisches und barbarisch anmutendes Ritual, das ein Neugeborenes der patriarchalen Macht unterwirft. Sie sprechen sich für den Schutz der körperlichen Unversehrtheit aus.

Ein kleiner türkischer Junge wird in Istanbul beschnitten: Die Kriminalisierung dieses Rituals wird den Kult ins Hinterzimmer verbannen und andere dazu bringen, ihm im Ausland nachzukommen. (Foto: dpa)

Die Kritik an der rituellen Beschneidung von Knaben gehört aber auch zum Repertoire des Ressentiments. Sie diente jahrhundertelang zur Legitimierung der Hetze gegen Andersgläubige. Dem Juden wurde angelastet, verstockt zu sein und an seinen ehernen Geboten festzuhalten. Die Vorstellung, er richte sich gegen die Kleinsten, ist ein altes Topos, das sich nicht nur in der Mär vom Ritualmord an christlichen Buben und Mädchen widerspiegelt, sondern letztlich bereits im Vorwurf anklingt, den Gottessohn höchstpersönlich auf dem Gewissen zu haben.

Kastrationsangst macht die Psychoanalyse in manch rassistischem Konstrukt aus. Die Beschnittenen wurden im Abendland oft als Bedrohung eigener Männlichkeit empfunden. Der Jude stecke hinter jeder Zersetzung. Als Shylock begehrt er das Pfund Fleisch des Feindes. Als Arzt, so Richard Wagner, betreibe er die Vivisektion. Vor diesem Hintergrund ist zu sehen, weshalb sich auch das Wiesenthal Centre in Los Angeles zum Kölner Urteil äußerte.

Dem Juden und dem Moslem werden das Schächten und die Beschneidung angekreidet. Das Klischee nennt beide blutdürstig und sieht den einen, sein Messerchen schleifen, und den anderen, den Krummsäbel schwingen. Vielleicht ist hierin das beste Ergebnis des Richtspruchs zu sehen. Der Entscheid aus Köln fördert immerhin die Verständigung und eine seltene Einigkeit zwischen den zwei Gruppen. Es macht sie - um im Bild zu bleiben - zur gemeinsamen Schnittmenge.

Charakter religiöser Zeremonie verkannt

Wer die Postings zur aktuellen Debatte liest, kann die Beständigkeit mancher Vorurteile erkennen. Das darf indes nicht den Juristen vorgeworfen werden. Sie polemisieren nicht gegen einen Glauben, sondern wollen das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit schützen.

Der Einschnitt sei irreparabel, hielten sie fest. Irreparabel: Das Wort ist bezeichnend und setzt eine Beeinträchtigung voraus. Aber so eindeutig, wie es manchen in Deutschland scheint, wird das in anderen westlichen Ländern nicht gesehen. Während die Zirkumzision in Köln unter Strafe gestellt wird, stellt sie in den USA beinah eine Routine dar. Die Gesundheitsorganisationen verschiedener Staaten bewerten den Eingriff unterschiedlich.

Die moderne Medizin weiß Vorteile und Risiken zu nennen, die aus der Beschneidung männlicher Genitalien erwachsen können. Die Befürworter geben zu bedenken, dass beschnittene Männer gegen bestimmte sexuell übertragbare Krankheiten geschützter sind und manche Krebserkrankungen bei ihnen und ihren Geschlechtspartnerinnen seltener auftreten.

Die Gegner führen ins Treffen, zu welchen Komplikationen und Traumatisierungen es durch die Vorhautamputation kommen kann. Die Wissenschaft gibt zu dieser Frage noch keine einhellige Antwort. Islam und Judentum kümmern sich indes gar nicht um den Forschungsstand. Ihnen geht es um die Einhaltung eherner Gebote und Gebräuche.

Die Religionsfreiheit der Eltern werde durch den Entscheid nicht eingeschränkt, meint das Gericht. Das Kind könne ja später - als Erwachsener - selbst beschließen, sein Präputium entfernen zu lassen. Diese Argumentation verkennt aber den Charakter der religiösen Zeremonie. Sie ist nicht wie die Taufe, mit der ein Mensch erst zum Christen wird. Die Brit Mila wird am bereits jüdisch geborenen Kind vollzogen, um den uralten Bund aufs Neue zu besiegeln. Die Brit Mila soll ein Identitätsmerkmal setzen, ein Erinnerungszeichen, das an die Abkehr vom Menschenopfer gemahnt.

Sie wird deshalb auch in vielen säkular jüdischen Familien weiter fortgesetzt. Das Ritual fügt selbst atheistische Juden in die Überlieferung ein, stärkt ihr Gefühl, Teil zu haben an einem Ganzen, das weit in die Vergangenheit zurückreicht, aber ebenso auf eine Zukunft des Volkes Israel hoffen lässt. Die Prozedur wird am achten Tag nach der Geburt vollzogen, weil es eben nicht um eine erwachsene Entscheidung, um ein Bekenntnis oder um eine Mutprobe geht.

Die frühe Zirkumzision wird unter Juden durchaus kritisch diskutiert. Wozu festhalten an einem schmerzhaften Gesetz, dessen Sinn sich heute nur schwer erschließt? Warum den Kleinen diese Operation nicht ersparen? Zudem kann gefragt werden, wieso der Bund durch einen Akt bekräftigt werden soll, der bloß an den männlichen Nachkommen durchgeführt wird. Sogar in Israel wendet sich eine kleine, aber stetig wachsende Gruppe von der Beschneidung ab, aber der Unterschied zwischen einer Ablehnungsfront innerhalb einer Kultusgemeinschaft und einem gerichtlichen Verbot von außen ist fundamental.

Eine Milliarde Moslems werden nicht davon lassen

Die Kriminalisierung einer solchen Tradition kann nur gerechtfertigt sein, wenn die Beeinträchtigung des Kindeswohls außer Streit steht. Die beschnittenen Knaben werden durch so ein Urteil immerhin zu Geschädigten erklärt. Zum Vergleich: Die Verstümmelung weiblicher Genitalien ist zweifellos ein Akt der Zerstörung und Ausdruck patriarchaler Unterwerfung. Die Entfernung der Vorhaut indes nicht. Sie ist ein schmerzhafter Eingriff, aber sie führt zu keinem sexuellen Funktionsverlust und ist kein Zeichen gesellschaftlicher Unterdrückung.

Die Ahndung der Ärzte, die bereit sind, mit modernen Mitteln zu beschneiden, wird das Ritual nicht aus der Welt schaffen. Der jahrhundertealten Verfolgung gelang das ebenso wenig. Die Brit Mila wurde bereits unter Antiochus IV. verboten und in der Sowjetunion erschwert. Aber die Juden hielten daran fest und eine Milliarde Moslems werden ebenfalls nicht davon lassen, bloß weil deutsche Richter es ihnen nicht gestatten.

Die Kriminalisierung medizinischer Hilfe wird den Kult ins Hinterzimmer verbannen und andere zwingen, ihm im Ausland nachzukommen. Wenn das Recht wirklich das Kindeswohl garantieren will, könnte es umgekehrt darauf drängen, die medizinische Betreuung zu erleichtern, die Schmerzbehandlung und die medizinische Wundversorgung zu verbessern.

Wo bleibt das Kindeswohl?

Kindeswohl: Das Wort kann Unterschiedliches ansprechen. Gehört nicht auch dazu, in einer Familie aufzuwachsen, deren Kultur und Religion nicht diskriminiert wird? Wäre es nicht sinnvoll, nicht nur an Biologie und Medizin zu denken, sondern auch an das politische Klima, in dem wir leben wollen? Oder geht es darum, Muslimen und Juden - im wahrsten Sinne des Wortes - ihren Schneid abzukaufen?

Eines sollte klar sein: Wer die Beschneidung von Buben aus rituellen Gründen unter Strafe stellt, schürt - zumal in Zeiten, da auch gegen Minarette und gegen das Schächten zu Felde gezogen wird - unweigerlich den Eindruck, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, und er nährt den Verdacht, Juden, die nach ihrer jahrtausendealten Überlieferung leben wollen, seien in der Bundesrepublik nicht erwünscht. Das ist die Konsequenz jener, die glauben, allein das Wohlergehen der Kleinsten im Sinn zu haben: Sie schütten das Kind - das beschnittene - mit dem Bade aus.

Der Autor ist Schriftsteller und Historiker. Zuletzt erschien von ihm der Roman "Andernorts" bei Suhrkamp.

© SZ vom 07.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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