Süddeutsche Zeitung

Streit über Feminismus:Schöne neue Welt?

Wie viele Frauen ihres Alters hält Bundesfamilienministerin Kristina Schröder den Feminismus für eine Ideologie des vergangenen Jahrhunderts. Doch die Gegenwart holt sie ein - nicht nur in Form der Frauenquote.

Cathrin Kahlweit

Junge Frauen in Deutschland lernen neuerdings wieder Vokabeln, die im Sozialkunde-Unterricht des 21. Jahrhunderts zuletzt kaum noch vorkamen: die "Quote" zum Beispiel, den "neuen" beziehungsweise den "frühen" Feminismus, zudem das Lehnwort "Gender Pay Gap".

An die Quote erinnern sich moderne Mädchen nur vage. War das nicht eine Erfindung der Lila-Latzhosen-Frauen? Und die Gehaltslücke, die Arbeitnehmerinnen benachteiligt: Ist das nicht ein ewiges Gewerkschaftsthema für den Internationalen Frauentag am 8.März, der früher mal gefeiert wurde?

All diese Begriffe kommen in einem aktuellen Interview von Kristina Schröder vor. Sie ist 33 Jahre alt und hat in der CDU eine schnelle, steile Karriere zur Bundesfamilienministerin gemacht. Schröder denkt und argumentiert wie viele Frauen ihres Alters, die gut ausgebildet und chancenreich in ihr Berufsleben gestartet sind. Frauenförderung ist für sie ein antiquiertes und unnötiges Instrument, Feminismus eine Ideologie des vergangenen Jahrhunderts und Gehalt eine Sache selbstbewussten Verhandelns.

Ihr Credo: Der Feminismus alter Schule hat sich selbst überlebt, weil schon so viel erreicht ist. Und tatsächlich ist Frau Schröder ja auch das beste Beispiel dafür, dass man kein Mann sein muss, um die Chance zu bekommen, mit 33 eine riesige Behörde zu leiten.

Mit ihrer pragmatischen Haltung repräsentiert die Ministerin jene Generation, die sich mit leichtem Schaudern Bilder und Slogans aus den siebziger Jahren anschaut: Kampf dem Patriarchat, mein Bauch gehört mir, eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad. Mit ihren Einlassungen wiederum ruft sie nun "frühe" - und damit naturgemäß ältere Feministinnen wie die notorisch schulmeisternde Alice Schwarzer - auf den Plan.

Altgediente Kämpferinnen

Diese mokieren sich, teils verbittert, teils erschrocken über eine Politikerin, die eine strukturelle Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben mit dem naiven Argument von sich weist, schon heute suchten Unternehmen doch gezielt Frauen für Top-Positionen.

Altgediente Kämpferinnen wissen, was viele Berufsanfängerinnen noch lernen werden: Es gibt da eine vierte Vokabel, tausendmal gebraucht, scheinbar furchtbar abgenutzt: die "gläserne Decke". Sie bewirkt, dass die schöne Chancengleichheit am Start langfristig nicht zu vergleichbaren Erfolgen auf der Strecke führt - und dass im Ziel bis heute überwiegend Männer ankommen.

Es ist eine schöne neue Welt, die Welt der Bundesfrauenministerin. Gewiss, diese Welt gibt es - auch. Es ist eine Welt, in der nur die Qualifikation zählt, und in der Frauen und Männer gemeinsam Verantwortung übernehmen für Unternehmenserfolge und Familienglück. Es ist eine Welt neuer Männer, verblassender Rollenbilder, familienfreundlicher Arbeitsstrukturen. Die demographische Entwicklung und der Arbeitskräftemangel werden dafür sorgen, dass sich eines Tages immer mehr gut ausgebildete, zielstrebige Frauen da bewegen werden, wo Frau Schröder sich selbst und ihre Klientel schon angekommen sieht.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wo die schöne neue Welt aufhört.

Allerdings müsste es die Ministerin irritieren, dass jenes scheinbar antiquierte Instrument der Quote, das sie als "Kapitulation der Politik" bezeichnet, in letzter Zeit wieder äußerst populär geworden ist. Die CSU hat mit einer Frauenquote nachgezogen, wo andere Parteien Jahrzehnte voraus waren, große Unternehmen wie die Telekom haben sich selbst eine "freiwillige Quote" verordnet, und die EU-Kommission droht mit einer gesetzlichen Vorgabe für Frauen in Führungspositionen.

Zudem liegt die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen ziemlich konstant bei etwa 20 Prozent, allen karrierebewussten Verhandlerinnen und Frauen in Männerberufen zum Trotz.

Das Eingeständnis der Männer

Das Revival alter Werkzeuge rührt daher, dass der antipatriarchale, "frühe" Feminismus genauso wie die kooperative, auf die gemeinsamen Interessen beider Geschlechter bauende "neue" Frauenpower auf halber Strecke gescheitert sind. Die Lila-Latzhosen-Kämpferinnen glaubten in ihrer Mehrheit, frau müsse sich männlichen Mustern schlicht verweigern. Die jungen, hoffnungsfrohen Mädchen, die heute gern betonen, sie seien um Himmels willen keine Feministinnen, setzen stattdessen darauf, dass die Chancengleichheit in dem Maße wächst, wie Männer freiwillig und einsichtig ihre Machtpositionen räumen.

Immer aber waren und sind es die Frauen, die ihre Bringschuld anerkennen. Sie mussten sich emanzipieren; sie mussten in Männerdomänen wie Politik und Wirtschaft eindringen; sie mussten besser oder anders sein als Männer; sie mussten, wenn sie Kinder haben wollten, Familie und Beruf vereinbaren; sie mussten dem Mythos trotzen, dass man mit Kindern keine Karriere machen kann; sie mussten sich in Machokulturen hochkämpfen; sie mussten von den Männern mehr Mitarbeit bei Haushalt und Kindern einfordern; sie mussten um gleiche Gehälter, um Vorstands- und Aufsichtsratsposten ringen, aber auch um anständig bezahlte Teilzeitjobs und die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der Rente.

Quoten oder Gleichstellungsgesetze sind daher das Eingeständnis der Männer, dass sie den Frauen nicht einmal auf halbem Wege entgegengekommen sind.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2010/rus
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