Kris-Kristofferson-Konzert:Für die jungen Leute von damals

Einmal die Welt nicht so schlecht zu finden, wie sie ist: Kris Kristofferson beweist im Münchner Circus Krone, dass die Vergangenheit keineswegs vorbei ist.

Kurt Kister

"Schau dir das alte Foto an. Bist das wirklich du?", heißt es im Titelsong des Albums "This Old Road". Es erschien vor zwei Jahren, als Kris Kristofferson 70 wurde.

Kris-Kristofferson-Konzert: Kris Kristofferson in München: Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat.

Kris Kristofferson in München: Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat.

(Foto: Foto: AP)

Jetzt ist er 72, eigentlich ein alter Mann, der allein und immer noch sehr aufrecht auf der Bühne im Münchner Circus Krone steht. Denkt man an die alten Fotos, die ihn mit Janis Joplin oder Johnny Cash, mit Bob Dylan oder Sam Peckinpah zeigen, fragt man sich nicht, ob der da oben mit der Gibson-Gitarre es wirklich ist.

Kristofferson sieht so aus wie seit Jahrzehnten: zerfurcht, staksig, eisgrau und immer noch ein wenig jungenhaft. Und er hört sich so an, wie er sich immer angehört hat - etwas out of tune, etwas zu ostentativ heiser, der melancholische Trunkenbold aus "Sunday Mornin' Comin' Down", der sich vorgenommen hat, einmal die Welt nicht so schlecht zu finden, wie sie ist.

So hedonistisch wie politisch aktiv

Kristofferson ist ein Mann der Vergangenheit, weil er einer der herausragenden Protagonisten der Songwriter/Folksinger-Zeit ist.

Früher, als keineswegs alles besser war, gab es eine ganze Riege ebenso hedonistischer wie politisch aktiver Musiker, die den Krieg, damals den in Vietnam, verdammten, sich vielfältig berauschten und lieber vom Ende einer Liebe als von deren Ekstasen sangen.

So einer war Kristofferson damals, und er ist es bis heute geblieben. Er hat zahlreiche Songs geschrieben, die von allen möglichen und unmöglichen Leuten und Gruppen nachgespielt worden sind und bis heute immer wieder gecovert werden.

Die Alten tingeln unaufhörlich durch die Welt

Einer dieser Songs ist gleichsam die Titelmelodie der Hippie- und Protestbewegung der Jahre 1968 ff. geworden: "Me and Bobby McGee" in der Interpretation von Janis Joplin, damals mehr als nur eine gute Freundin Kristoffersons.

Nun ist diese Vergangenheit mit ihrem Special Agent Kristofferson aber keineswegs vorbei. Nein, sie reicht in die Gegenwart, ins 21. Jahrhundert, weswegen all die Alten, die noch können, nahezu unaufhörlich durch die Welt touren: Kristofferson und Joan Baez, Bob Dylan, Arlo Guthrie und sogar Leonard Cohen, demnächst 74, von dem man eigentlich denkt, kein Mensch mit einer so traurigen Stimme und so wunderbar schwarz strahlenden Texten könne älter als 47 oder höchstens 51 werden.

Man kann, wie Cohen, nicht so lange in Zimmern mit nahezu nackten Wänden leben oder wie Kristofferson dauernd in dem Gefühl schweben, gestern sei tot und vorbei, morgen aber außer Sicht.

Wie damals

Doch, man kann. Es macht sogar Spaß, bittersüßen, kopfschüttelnden Spaß. Zum Beispiel "For the Good Times". Als Kristofferson an diesem Abend im Circus Krone die ersten Töne dieses Psalms an die letzte Nacht mit ihr anschlägt, schlucken viele Leute, und der Papa nimmt die Hand der Mama, weil sich beide in diesem Moment wieder so fühlen, als seien sie nochmal Pete und Uschi wie damals 1974.

"Don't look so sad, I know it's over." Ja, sicher, es wurde nichts draus, und weil man nie mit ihr richtig zusammen war, denkt man heute noch an sie. Manchmal jedenfalls.

Damals, als es vorbei war, hat man es anders gemacht, man hat, wie er jetzt singt, nicht zugeschaut, wie die Brücken verbrannten, die man selbst anzündete. "And make believe you love me one more time." Nein, das ist heute nicht mehr nötig. Man ist dazu zu müde geworden. Ein paar Gedanken noch, während Kristofferson die Mundharmonika bläst, an die guten alten Zeiten, "for the good times".

Aus der Zeit gefallen

Da oben auf der Bühne steht eine aus der Zeit gefallene Legende, kein One-Hit-Wonder, sondern ein Mensch gewordener "The Greatest Songs of Kris Kristofferson".

Das Publikum ist relativ homogen: Die Jüngeren sind so Mitte vierzig, die meisten aber wissen, wie man sich mit 60 fühlt oder werden es bald wissen. Bei fast allen Liedern herrscht nahezu andächtige Stille.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, für welches Amerika Kris Kristofferson steht.

Für die jungen Leute von damals

Mitgesungen wird kaum, aber viele Lippen bewegen sich lautlos. Kristofferson präsentiert eine Melange aus legendären Songs, neueren aus den Neunzigern und etlichen aus "This Old Road" von 2006.

Ja, sie klingen alle ähnlich. Kein Wunder, denn Gitarre, Mundharmonika und diese Stimme lassen nicht so wahnsinnig viele Variationen zu.

Eine Begleitband, Playback oder Hupfdohlen gibt es nicht. Nur Kris Kristofferson, der sich immer so anhört, wie er sich eben seit "Jody and the Kid", 1970, immer angehört hat. Ist aber egal, denn wer zum Beispiel gerne Brunello trinkt, möchte auch keinen Brunello haben, der nicht wie Brunello schmeckt.

Jünger als sie sind

Als Kristofferson jung war, war seine Art der Musik, ganz zu schweigen von dem, was Ten Years After oder Led Zeppelin machten, Musik für junge Leute.

Heute ist das nicht mehr so. Nimmt man die in München - und nicht nur dort - auffällige Abwesenheit der Computer-Generation bei solchen Konzerten als einen Hinweis auf das große Ganze, dann bestätigt dies die Theorie, dass sich immer mehr Ältere jünger fühlen, als sie sind.

Sie empfinden wenig Skrupel, dieses Gefühl auch sichtbar zu machen. Im Circus Krone zum Beispiel liefen viele Anfangs-Sechziger mit Konzert-T-Shirts, Baseball-Mützen oder gar Bandanas herum, was in diesem Alter oft sonderbar aussieht, wenn man nicht Willie Nelson ist.

Kulturgut Krawall

Obwohl schon der heilige Paulus an die Korinther schrieb, es gelte, wenn man ein Mann werde, abzutun, "was kindisch war", sehen das viele Besucher solcher Auch-Nostalgie-Konzerte anders. Es ist völlig okay, Kris Kristofferson zu hören. Aber man muss das nicht im selben T-Shirt tun wie 1973.

Wenn man ehrlich ist, möchte man eigentlich gar nicht wissen, dass Götz George 70 wird, Kristofferson 72 ist und Sean Connery demnächst 78 wird.

Hinter der Frage "Was, so alt ist der schon?" verbirgt sich nämlich auch das Erschrecken darüber, dass man nun selbst in jenem Alter ist, in dem vor 35 Jahren der eigene Vater, als man sehr laut "Me and Bobby McGee" hörte, das Leiserdrehen "dieses furchtbaren Krawalls" forderte.

Der furchtbare Krawall ist heute Kulturgut geworden, und wahrscheinlich werden demnächst auch Baseball-Caps für 68-Jährige Kulturgut sein. Die Freiheit ist größer denn je, und es war Kristofferson, der uns beigebracht hat: Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat.

Der gute Amerikaner

Kristofferson ist sich und damit auch seinem Publikum in vielerlei Hinsicht treu geblieben, auch wenn er heute auf der Bühne Orangensaft trinkt. So wie er, der Hubschrauberpilot und Hauptmann a.D., damals gegen den Vietnamkrieg wetterte, stellt er sich nun gegen den Krieg im Irak.

"In the News" heißt so eine Ballade von seinem letzten Album, die er auch in München vortrug. Natürlich gab es enormen Applaus, weil Kristofferson schon lange für jenes Amerika steht, das in Europa zwar nicht mehr bewundert wird, aber dennoch sehr fasziniert. Kris Kristofferson ist nicht der stille, sondern der gute Amerikaner.

Die noblen Sachen, die Kristofferson über vier Jahrzehnte hinweg vertrat, waren fast nie die Anliegen von mainstream America, das ihm, obwohl er auch ein Countrysänger ist, überwiegend skeptisch begegnete.

Jung genug, um für die Revolution zu singen

Manche hielten ihn für einen Landesverräter, weil er zum Beispiel am Höhepunkt der reaganschen Nicaragua-Phobie den Song "Sandinista" schrieb und mehrmals als Promi-Sandalista nach Nicaragua reiste.

In seinem "Pilgrim's Progress" kommt die Zeile vor: "Bin ich jung genug, um an Revolution zu glauben?" Er sang das auch in München, und die Leute klatschten mit. Nein, an die Revolution hat er nie so richtig geglaubt. Aber er war immer jung genug, so etwas zu singen. Und das ist er auch heute noch.

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