Krimis aus Südafrika:Literarisches Schlachthaus

Untermenschen, die ihre Opfer bei lebendigem Leibe häuten und zum Feierabend deren Eingeweide essen: Pünktlich zur WM bedienen Verlage die Ängste des weißen Publikums. Mit der Realität hat das nichts zu tun.

Alex Rühle

"An dem Abend, als sie ausgeraubt wurden, speisten Roxy Palmer und ihr Mann Joe mit einem afrikanischen Kannibalen und seiner ukrainischen Hure." -"Ein Schrei, ein Benzinspritzer auf seinen Wangen, die verrenkte Gestalt seines Bruders, die schmolz wie ein Gummisoldat, und dann der schreckliche Geruch von Versengtem." - "Die Körper waren entstellt, aufgeschlitzt, die Gesichter zerschnitten, ohne Zähne, kaum zu erkennen. Ein von der Außenwelt abgeriegeltes Schlachtfeld." Herzlich willkommen in Südafrika.Nein, man muss es so sagen: Willkommen in dem literarischen Schlachthaus, das den deutschen Lesern zur Fußball-WM als südafrikanische Wirklichkeit angeboten wird.

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Das Blöde an weißen Leichen: Sie machen prinzipiell mehr bürokratischen Ärger als ein toter Schwarzer. Dieses und andere Klischees findet man in den aktuellen Südafrika-Krimis. Das Bild zeigt Gangmitglieder im Township Mitchels Plain in Kapstadt.

(Foto: Getty)

Die Frage liegt auf der Hand. Wie reagieren die Verlage auf das größte Ereignis des Jahres? Es gibt schließlich eine reiche südafrikanische Literaturszene, viel Unentdecktes, vom großartigen Romancier Damon Galgut beispielsweise wurden bislang gerade mal zwei Romane ins Deutsche übersetzt. Die deutschen Verlage aber reagieren wie Pawlowsche Hunde, ausnahmslos mit Kriminalromanen.

Eine kaputte Welt

Nun bietet sich Südafrika erstens tatsächlich als Kulisse für hardboiled fiction oder Noirs an: Noirs sind stets angesiedelt in einer kaputten Welt, einer Gesellschaft, an deren Oberfläche es zwar einen dünnen Firnis aus Gesetzen und zivilisatorischen Spielregeln gibt, der aber ähnlich dünn ist wie die Erdkruste über dem brodelnden Magma des Erdinneren. In Südafrika werden mehr als 18 000 Morde jährlich verübt, der Sicherheitsminister nennt sein Land Killing Fields.

Zweitens strömen ja schon seit einigen Jahren südafrikanische Krimis auf den deutschen Markt. Auch dagegen ist nichts zu sagen. Und es geht drittens nicht darum, dass all diese Autoren ihr Handwerk nicht verstünden. Roger Smith recherchiert die Fälle für seine Krimis sehr akkurat und kann, geschult am schnellen, amerikanischen Pulp, einen spannenden Plot unglaublich rasant erzählen, was ihm auch in seinem neuen Buch "Blutiges Erwachen" meisterhaft gelingt. Oder Deon Meyer, dessen "Dreizehn Stunden" einen weiteren Stein bildet in dem weitverzweigten, panoramaartigen Mosaik seines Landes, an dem er arbeitet.

Nichts als Mord und Todschlag

Wenn man die zehn Krimis, die vor der WM erschienen sind, aber hintereinander wegliest, wird das Ganze zum schalen, stereotypen und zugleich geradezu monströsen Trip. Als gäbe es in Südafrika nichts als Mord und Totschlag. Ach was, Mord und Totschlag gibt es in Frankfurt, New York und Schweden ja auch. Es müssen schon das ganz und gar bestialische Massaker und der völlig durchgeknallte Kinderkannibale sein. Das Land scheint momentan abonniert zu sein auf die Zombieversion von Kriminalromanen: Untermenschen, die ihre Opfer bei lebendigem Leibe häuten, deren Eingeweide essen und zum Feierabend unter Drogen die grässlichsten Verstümmelungsrituale vollziehen. Oder wie es im Klappentext zu Caryl Féreys "Zulu" mit schlabbernder Gier heißt: "Aber als am Fuß des Tafelbergs die Tochter eines früheren Rugby-Stars ermordet aufgefunden wird, lernt Zulu das Verbrechen in einer ganz neuen Dimension kennen."

Da ist er wieder, der gute alte Tafelberg. Südafrika muss ja allen einschlägigen Atlanten zufolge ein riesengroßes Land sein. Merkwürdigerweise aber spielen diese Krimis fast alle auf einer Fläche, kleiner als Luxemburg, genauer gesagt in Kapstadt, ja nimmt man all die Neuerscheinungen als Hypertext, müssten die Kommissare einander fortwährend am Strand und in den Townships über den Weg laufen. Allein das schon beweist, dass diese Bücher vor allem für den internationalen Markt geschrieben sind: Legt man die Leiche an einem touristischen Hotspot aus, kann sich der europäische Leser mit einer Art retrogradem Entsetzenskitzel erinnern: Mensch, an der Strandpromenade, an der die geköpft wurde, bist du doch selber seinerzeit mit Annegret langgelaufen.

Mordsgedrängel am Tafelberg

Es hat fast etwas Erfrischendes, wenn einige Autoren den Bestellcharakter ihrer Bücher offen zugeben: Der deutsche Autor Edi Graf, der schon mehrere Krimis in Afrika hat spielen lassen, schreibt im Vorwort zu "Bombenspiel": "Ich gebe zu: ich verstehe nichts von Fußball. Die Anfrage meines Verlages, ob ich einen Krimi, der die WM in Südafrika zum Thema hat, schreiben könne, war daher eine große Herausforderung für mich." Was man seinem Buch durchaus anmerkt.

Aber auch großkalibrige Autoren machen keinen Hehl daraus, dass sie für die Ängste des weißen Publikums schreiben. Deon Meyer, der in seinem "Dreizehn Stunden" stellvertretend für seine internationale Leserschaft eine Rucksacktouristin in Kapstadt ermorden lässt, sagte in einem Interview, dass er ein Zerrbild der südafrikanischen Realität liefere: "Dass ich über Verbrechen schreibe, bedeutet nicht, dass ich die Wirklichkeit abbilde. Gewalt findet nicht da statt, wo sich Touristen aufhalten. Gucken Sie sich die Statistiken an: Weniger als 0,3 Prozent aller Touristen werden Opfer einer Straftat. Das ist eine niedrigere Kriminalitätsrate als in ganz Amerika. In den Städten gibt es höchstens Kleinkriminalität." Seine Touristin aber lässt er von zombieesken Organhändlern im Zentrum der Touristenkulisse umbringen.

Die schwarzweiße Wirklichkeit

Meyers Kommissar Bennie Griessel ist ein typischer Ermittler für all diese Bücher, ein lebenstechnisch überforderter Antiheld: trockener Alkoholiker mit noch trockenerem Humor, karrieretechnisch ein Versager, der en passant viel über die schwarzweiße Wirklichkeit dieses Landes erzählt, etwa wenn er einmal seufzt, das Blöde an einer weißen Leiche sei, dass sie prinzipiell mehr bürokratischen Ärger bedeute als ein toter Schwarzer. Womit er auf einen der Hauptgründe für die südafrikanische Krimiblüte anspielt: In Zeiten der Apartheid wurden die Weißen vom Staat geschützt. Für die persönliche Sicherheit der Schwarzen hingegen tat der Staat nichts. So kam es, dass sich die Zahl schwerer Verbrechen im Johannesburg der siebziger und achtziger Jahre alle fünf Jahre verdoppelt hat, ohne dass die weiße Minderheit irgendetwas davon mitbekommen hätte. Mit dem Übergang zur Demokratie hat sich die Unsicherheit auf die weiße Welt ausgedehnt. Die Frage ist, wie man damit umgeht, als Autor wie als Verleger.

"Zulu", der schon erwähnte Krimi, in dessen Klappentext den Lesern "Verbrechen in einer ganz neuen Dimension" versprochen werden, spielt zu großen Teilen in Khayelitsha, der größten Township Kapstadts. Dort hat sich auch der südafrikanische Journalist Steven Otter um die Jahrtausendwende eingemietet und lebte zwei Jahre lang allein unter Schwarzen. "Khayelitsha: uMlungu in a Township", sein Bericht über diese Zeit liest sich wie ein Reiseführer über einen total fremden Kontinent und wurde in den Kapstädter Zeitungen seinerzeit auch dementsprechend rezipiert. Als komme da einer von einem anderen Planeten zurück und nicht aus einem Township direkt vor den Toren der Stadt. Otters Tagebuch ist durchtränkt vom Alltag in Khayelitsha (wo wird Billard gespielt, was essen die Leute, wie viel verdienen sie), und man lernt daraus mehr als aus dem einen Meter frisch übersetzter Kriminalliteratur. Vor allem: Er hat die ganze Sache unbeschadet überlebt. Schade, dass dieses unaufgeregte, witzige Buch vor der WM kein Verlag ins Programm aufgenommen hat.

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