Kriminal-Literatur:Der Gärtner war's

Noch nie war der Krimi so erfolgreich. Aber noch nie gab es auch so peinliche Figuren, noch nie so verstiegene Plots. Der Kriminalroman wird immer dümmer - und gräbt sich sein eigenes Grab.

J. Käppner

Es war die Schuld seiner Mutter, einzig und allein ihre Schuld, daran gab es nichts zu rütteln. Sie hatte ihm schon früh diesen Abscheu eingeimpft, aus dem später Verachtung und irgendwann Hass geworden war. Abgrundtiefer Hass auf alle Weiber." So leicht wird der Mann zum Serienmörder, wie hier in dem demnächst erscheinenden Buch der Bestsellerautorin Petra Hammesfahr; es trägt den geistvollen Titel "Der Frauenjäger". Mama ist an allem schuld.

Peter Ustinov und David Niven in 'Tod auf dem Nil', Großbritannien 1978

Die Klassiker des Genres sind längst Teil des literarischen Kanons: Sir Arthur Conan Doyle, Agatha Christie (das Bild zeigt Peter Ustinov als Hercule Poirot), Raymond Chandler... Der Krimi hat es also in die Literatur geschafft. Heute ist er auf dem besten Wege, sie wieder zu verlassen.

(Foto: ddp)

Serienmörder sind immer gut. Nie zuvor im Kriminalroman gab es so viele absurde Serienkiller, so lächerliche Figuren und so peinliche Plots wie derzeit. Es wirkt, als hätten die Autoren eine jener geheimen Bruderschaften gebildet, über die sie ebenfalls so gerne schreiben; freilich ist es eine Bruderschaft des Blödsinns. Nie zuvor gab es überhaupt so viele Krimis. Und nie zuvor hatten sie so wenig mit der Wirklichkeit zu tun.

Der Serienmörder ist geradezu das Symbol der literarischen Verkümmerung eines Genres. Er hat, selbstredend, mit realen Vorbildern, meist traurigen Psychiatriefällen, nichts zu tun. All die Krimikiller sind Klone von Hannibal Lecter, Hannibal the Cannibal, dem genialen, von Anthony Hopkins verkörperten Mörder aus dem Film "Das Schweigen der Lämmer" von 1991. Und obwohl noch kein Kriminalpsychologe der Welt je solche Täter gesehen hat, bevölkern sie in Legionsstärke den zeitgenössischen Kriminalroman, eine Figur aberwitziger als die andere.

Bei Starautorin Patricia Cornwell geht sogar ein haariger Werwolf um respektive dessen bildschöner Zwillingsbruder. Nicht minder erfolgreich ist der Brite Simon Beckett beim erfolgreichen Versuch, seinen Forensiker-Erstling "Die Chemie des Todes" wieder und wieder zu recyceln. Irgendwie geht es immer, man verliert den Faden, um Leichenteile sammelnde Psychos. Val McDermid zelebriert die Taten ihrer selbstredend genialischen Täter an ebenso selbstredend schönen jungen Frauen auf eine Weise, die einen aus guten Gründen an der mentalen Befindlichkeit der Verfasserin zweifeln lassen.

Die Klassiker des Genres sind längst Teil des literarischen Kanons: Sir Arthur Conan Doyle, Agatha Christie, Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Friedrich Dürrenmatt, Georges Simenon. Der Krimi hat es also in die Literatur geschafft. Heute ist er auf dem besten Wege, sie wieder zu verlassen. Seit Jahren feiert er immer neue Erfolge bei den Lesern, er gehört zu den letzten Säulen, auf die der Buchhandel wirklich noch bauen kann. Daher die Sucht nach Nachschub, so geistlos dieser auch sein mag. Nun ist der Strom der Adepten, Nachahmer und Trittbrettfahrer zu einer Woge geworden, die das Genre mit sich fortspült, zurück in das Meer der Trivialität.

Kurt Tucholsky hat sich schon 1928 über die vielen Gangsterromane belustigt: "Heute geht es schnell und fix zu, klipp-klapp: Verbrechen, der Detektiv sog an seiner mächtigen Pfeife, das Auto braust in die Vorstadt, Blausäure, Brandstiftung, die schwarze Mündung des Revolvers richtete sich auf den erblassten Billy, und auf Seite zweihundert ist alles in Ordnung. Das hat der Geschäftsmann gern - Tempo, Tempo!" Aber das waren wenigstens Geschichten mit nachvollziehbarer Handlung. Heute wäre das Buch 900 Seiten dick und der Detektiv eine bildschöne Profilerin, genarrt vom hochintelligenten Mamasöhnchen und Serienkiller Billy, und Billy, zugleich ein bekannter Professor und Berater von Scotland Yard, hätte eine Sammlung menschlicher Köpfe im Keller.

Erfahren Sie auf Seite 2, wie die Bosch-Bücher der Spiegel harter Realität sind.

Es geht auch gut

Der amerikanische Autor Michael Connelly ist ein schwerer Mann mit Bart und breiten Schultern. Man kann ihn sich eher am Steuer eines Streifenwagens in L.A. vorstellen als hinter dem PC. Connelly ist Erfinder von Detective Harry Bosch, Mordermittler in Los Angeles, ein klassischer einsamer Held in der Tradition von Chandler und Hammett. Die Romane schaffen es regelmäßig ganz oben auf die Bestsellerlisten der New York Times , vielleicht deshalb, weil die Leute mal Kriminalromane lesen wollen, in denen die Welt nicht von kirchlichen Geheimsekten, Verschwörungen im Weißen Haus oder Killer-Psychos bedroht wird.

Vertrottelt das Genre?

Connelly war Polizeireporter, und als er als Crime-Autor sein zweites Leben begann, mietete er sich eigens in den Vierteln ein, über die er schrieb. Er kennt die Straßen, die Typen, den Jargon. Das macht die Bosch-Bücher seit Jahren zum Spiegel einer harten Realität: Korruption und Intrigen in der Polizei, Brutalität und Rassismus, Ghettos und Gesetzlosigkeit. Befragt nach seinem Erfolgsgeheimnis sagt Connelly schlicht: "Wenn du einen Kriminalroman beginnst, musst du das kennen, worüber du schreibst."

Das ist eine simple Weisheit, nur dass einer großen Mehrheit der Autoren heute nichts gleichgültiger sein könnte. Es gibt keine Botschaft und keinen höheren Sinn, meistens auch keine Spannung mehr. Sie wissen nicht, worüber sie schreiben, und sie wollen es auch gar nicht wissen; es geht, wie der blühende Markt der deutschen Regionalkrimis mit ihren spätzleschluckenden Kriminalern oder verspannten Ermittlerinnen im Schwarzwald eindrucksvoll beweist, ja auch ohne. Wenn ihre Verfasser jemals zwei Stunden mit einem Polizeiwagen mitgefahren sind, kann der Leser schon dankbar sein.

Nun könnte man sagen: Wozu soll ein Krimi realistisch sein? Hauptsache, der Leser hat Spaß. Gegen Spaß beim Lesen ist natürlich nichts zu sagen, aber gegen die Vertrottelung eines Genres schon. Autoren wie Connelly, Richard Price oder Friedrich Ani, die noch eine Geschichte zu erzählen haben, geraten immer mehr in die Minderheit.

Die Mehrheit scheitert daran, einem Genre noch etwas abzugewinnen, was andere nicht längst schon geschrieben haben, und retten sich in immer absurdere, brutalere und verstiegenere Handlungen. In Friedrich Torbergs Roman "Tante Jolesch" ruft ein verzweifelter Advokat: "Herr Vorsitzender, mein Klient verblödet mir unter der Hand!"

Chandler als Erfinder des unsterblichen Detektivs Philip Marlowe oder Hammett sind deswegen literarisch, weil ihre Erzählungen auch Porträts ihrer Zeit darstellen, deren moralische Konflikte sie widerspiegeln. Damals, in den zwanziger und dreißiger Jahren, hatte der Kriminalroman den Takt der Großstadt und die Abgründe der Moderne und damit der kapitalistischen Welt entdeckt. Heute scheint die komplex gewordene Welt viele Krimiautoren schlicht zu überfordern. Wo Zeitkritik vorkommt, bleibt sie eine hohle Geste. Am auffälligsten ist das im so viel gepriesenen und so überschätzten Schwedenkrimi. Alle seine Figuren, selbst Henning Mankells Kultkommissar Wallander, ahmen auf die eine oder andere Weise die zeitkritischen Romane von Maj Sjöwall und Per Wahlöö nach.

Eine etwas andere Gesellschaftskritik

Aber die beiden schrieben vor 40 Jahren; ihre scharfe, radikal linke Gesellschaftskritik am schwedischen Wohlfahrtsstaat, geschickterweise vermittelt durch die sympathisch bürgerliche Gestalt des Kommissars Martin Beck, spiegelt die ideologischen Konflikte der 68er Zeit wider. Heute ist diese Haltung lächerlich, wie in der millionenfach verkauften "Millennium-Trilogie" des verstorbenen Autors Stieg Larsson. Sie liest sich ohne Zweifel spannend, ihre Charaktere sind zumindest originell; freilich fühlt man sich nach dem Durchmessen der vielen hundert Seiten etwa so, als habe man wider bessere Instinkte drei Junk-Döner an der Stehimbissbude verschlungen.

Gesellschaftskritik ist hier nichts als eine morbide Attitude. Die Helden kämpfen gegen monströs finstere Geheimdienstler und, wen sonst, gegen Serienmörder. In Arne Dahls Thriller "Böses Blut" geht ein Ex-CIA-Agent um und quält seine Opfer mittels eines ausgetüftelten Marter-Apparats zu Tode, aus nicht näher erklärbaren Gründen. Um die Spur zu verwischen, richtet ein US-Killerkommando schließlich in Schweden ein Blutbad an. Diese Folter am Leser trägt, wie viele andere Skandinavienkrimis, Wesenszüge politischer Korrektheit und des Weltverbesserungswunsches, der Gesellschaften nicht fremd ist, die sich für besonders fortschrittlich halten. Beides ist geradezu Kennzeichen des Schwedenkrimis. Kein Wunder, dass sich darin deutsche Neonazis und weiße Rassistenkiller aus Südafrika in der schwedischen Krimi-Provinz tummeln.

Erfahren Sie auf Seite 3, wer der Ex-Militärcop Reacher ist.

Der etwas andere Krimi

Was diesen Büchern an Sinn und Verstand so auffällig fehlt, versuchen sie durch stets wachsende Brutalität wettzumachen. Im Topseller "Schändung" erzählt Jussi Adler Olsen von willkürlichen Morden, mit Messern und Knüppeln begangen von führenden Industriellen, aus Spaß an der Ausübung unbegrenzter Macht, "diesem Kick, dem sonst nichts in Ditlevs Leben gleichkam".

Krimihelden als Erlöser

Eine Erklärung gibt es nicht. Die Masche zieht, und darauf kommt es an. Spottete man einst, der Mörder sei immer der Gärtner, entstammte also politisch unanstößig der Unterschicht, ist das im Schwedenkrimi gerade umgekehrt: Der Mörder ist gern weiß, männlich und sehr, sehr reich.

Weiß, männlich und sehr, sehr stark dagegen ist Jack Reacher. Manchmal denkt Reacher sogar über das Leben nach, etwa als ihm in einer düsteren Texas-Bar ein Muskelmann dumm kommt: "Das Leben hält unendlich viele Überraschungen bereit. Er wusste, eines Tages konnte ihm jemand gegenüberstehen, der ihm körperlich gewachsen wäre. Jemand, der ihm Sorgen bereiten könnte. Aber er sah auf und wusste: Dies war nicht der Tag." (Lee Child: "Echo Burning").

Reacher ist der ins Überlebensgroße gewachsene Kleine-Jungen-Traum, den fiesen Quälixen auf dem Schulhof mal zu zeigen, wo der Hammer hängt, und die Projektionsfigur einer zutiefst verunsicherten amerikanischen Gesellschaft. Jack Reacher, Ex-Militärcop, beherrscht alle Kampfkunstarten, gewinnt die Herzen aller Frauen und ist schlauer als alle Schachgenies zusammen; dass er überraschenderweise zu liberalen Ansichten neigt, bewirkt das seine, um ein großstädtisches Publikum zu gewinnen. Auf seinen ziellosen Reisen durch die USA läuft er, wie es der Zufall will, dem Chef der südamerikanischen Drogenkartelle ebenso über den Weg wie den 20 Top-Killern der al-Qaida, Pech für sie alle.

Krimihelden als Erlöser von amerikanischen Identitätskrisen in Zeiten des Terrors bilden das keineswegs geistreichere Gegenstück zur mystisch verblasenen Pseudo-Gesellschaftskritik der Skandinavier. Bei David Baldacci ist es der geheime Camel Club oder Superagent Shaw, der zur Einstimmung ins Buch gern mal den Topmann eines Terrornetzwerkes umhaut. Größere Aufgaben zur Rettung der Welt warten...

Die Flucht aus der Welt

1958 schrieb Friedrich Dürrenmatt "Das Versprechen", einen der besten Kriminalromane, die es je gab, längst Literatur aus eigenem Recht. Darin kommt der Kommissär Matthäi einem Mädchenmörder auf die Spur und stellt ihm eine Falle, mit einem Kind als Köder. Doch auf dem Weg zur Tat verunglückt der Mörder tödlich, er kommt nie an; Matthäi verfällt dem Wahnsinn.

Dürrenmatt, der große alte Schriftsteller, opferte in diesem Roman auch als einer der ersten den allwissenden Erzähler einer "Realität, die sich uns immer wieder entzieht", wie der gezeichnete Kommissär sagt. Die Logik siegt so wenig wie das Gute, die Welt kommt nicht mehr ins Reine.

Heute opfern die Erzähler die Logik mitsamt der Realität. Teils können sie es nicht besser, teils will es der Markt. Der Krimi, und sei er noch so wirr, verspricht noch immer eine Flucht aus der Welt; nur dass die Welten, in welche der Leser flüchtet, närrischer sind als je zuvor. Tucholsky ätzte: "Jede Zeit hat die Räuberromane, die ihr angemessen sind."

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