Süddeutsche Zeitung

Die Krimi-Kolumne:Max Annas lässt flüchten

Kodjo kommt aus Ghana und hat in Berlin zwar keine Aufenthaltsgenehmigung, aber einen Job. Dann bricht das Arrangement zusammen.

Von Fritz Göttler

Konzentrier dich, Kodjo, so beginnt ein innerer Dialog des angesprochenen jungen Mannes, der aus Ghana nach Berlin kam und vor einigen Tagen - besser: Nächten - in schlimme Turbulenzen geraten ist. "Konzentrier dich, Kodjo!/ Was tust du gerade?/ Du läufst./ Wohin?/ Keine Ahnung./ Aber wohin willst du?/ Egal. Hauptsache, wegkommen vor denen, die mich verfolgen./ Wer verfolgt dich?/ Der Typ von der Blonden, die der Polizei diesen Mist erzählt hat./ Und? Wer noch?/ Ich weiß es nicht. Aber da sind noch diese anderen./ Also: Wohin willst du?/ Weg von denen. Egal wohin./ Aber egal wohin ist kein Plan./ Brauche ich einen Plan?/ Ohne Plan bist du aufgeschmissen./ Aber wohin will ich denn?"

Kodjo kennnt das Wort Glückspilz und hat sich eigentlich ganz gut eingerichtet in Deutschland, in Berlin. Er hat zwar keine Aufenthaltsgenehmigung, aber einen Job in einem Lokal, gute Freunde aus verschiedenen Ländern mit ähnlichen Schicksalen, eine weiße Frau, die ihm wohl will und der er wohl will und die ihm eine Wohnung in Neukölln vermietet, eine nette schwarze Kollegin. Kodjo spricht Deutsch, der Vater hat daheim eine Reihe Firmen und Beteiligungen, "richtig Geld". Kodjo hatte damals in Ghana eine deutsche Freundin, die Tochter vom Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung, CDU, aber die Tochter war nett. Die beiden waren 17.

Max Annas dimmt in seinen Fluchtgeschichten Hektik und Verunsicherung, Paranoia und Panik stark herunter, er erzählt vom einzelnen Moment her, nicht aus einer Gesamtbewegung heraus. Als er noch in Südafrika lebte und arbeitete, hat er zum Beispiel "Die Mauer" geschrieben, über einen jungen Schwarzen, der sich in eine gated community verirrt und dann sehr konzentriert versucht, dieses Terrain, das ihm verboten ist, möglichst heil wieder zu verlassen.

Im Ausweichquartier wird Kodjo Opfer eines Fenster-zum-Hof-Malheurs

Ich wollte auch mal in Europa leben, sagt Kodjo, das klingt fast nach Studienfahrt oder Erlebnistour. Durch eine Ehe hätte er beinahe die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen. Er ist im Pool der Flüchtlinge und Asylanten schon ein Glückspilz. Er kennt die Verhaltensregeln und Taktiken, vor allem den Polizisten gegenüber, vor allem nachts: "Hermannstraße meiden. Karl-Marx-Straße auch. Zu breit, zu viel Verkehr, zu hell auch. In der Hermannstraße waren die Imbisse, in denen sie ihre Mahlzeiten holten, die Polizisten." Was sollst du tun, wenn du nachts im Begriff bist eine leere Straße bei Rot zu überqueren und plötzlich entdeckst, dass in der Ferne ein Polizeiwagen parkt? Haben sie das Zucken deines Fußes, der die Straße betreten wollte, bemerkt?

Das fragile Arrangement, das Kodjo sich in Berlin geschaffen hat, fällt zusammen in einer Nacht, da Kodjo mit einem Kumpel vor Polizisten flieht, durch den Görlitzer Park, er kann knapp entkommen, der Kumpel nicht. Er schafft den Rückzug in sein Ausweichquartier in Moabit - die Freundin hat Besuch und braucht die vermietete Wohnung fürs Wochenende. Im Abrisshaus in Moabit wird Kodjo ein Opfer eines Fenster-zum-Hof-Malheurs, er wird Zeuge, wie ein Mann eine Prostituierte in ihrer Wohnung umbringt. Durch unglückliche Umstände gerät allerdings Kodjo als Verdächtiger in die Fernsehnachrichten, und als er selber dem Mörder nachforscht, wird er seinerseits von diesem verfolgt und unter mörderischen Druck gesetzt.

Leseprobe

"Illegal" ist ein Stadtroman, der einen Stadtplan als Skelett hat, man folgt atemlos Bewegungen, realen und imaginierten, nicht Motivationen. Die Situationen, in die die Figuren geraten, sind durchaus genregerecht, die Figuren verhalten sich dann oft, wie sie es vom Kino her kennen. "Er kam sich dämlich dabei vor, aber so hatte er es in alten Filmen gesehen. Und er hatte das Gefühl, dass es funktionierte."

Die Choreografie der Stadt wird von der Unsicherheit der illegalen Situation nicht verzerrt, der Illegale hat seinen eigenen Drive, er stimmt seine Action auf die kleinsten Beobachtungen ab, wenn er von U-Bahnkontrolleuren in die Enge getrieben wird und zum Entkommen auf die Dynamik angewiesen ist, "die entsteht, wenn Leute die keine einheitliche Gruppe sind, gemeinsam in die Bahn einsteigen. Diese Spannung, wer wen passieren lässt, wer welchem Drängeln nachgibt, die erst aufhört, wenn alle in der Bahn sind."

Man mag die Erzählweise von Max Annas minimalistisch nennen. Aber seine Bücher zeigen - was auch oft die lakonische Qualität amerikanischer Kriminalliteratur ist -, Momente, die rein pragmatisch sind. Ein Plan ist nicht immer erforderlich.

"Unter den vielen verbotenen Dingen, die ein Illegaler nicht tun darf, ist das allerverbotenste die hastige Bewegung. Schreck oder Panik in körperliche Aktion umzusetzen, ist fast gleichbedeutend mit Abschiebung."

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SZ vom 31.03.2017
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