Krimi von Garry Disher:Schrott, Sand und Blut

Lesezeit: 2 Min.

Unwiderstehlich: Garry Dishers so karger wie lakonischer Outback-Krimi "Hope Hill Drive".

Von Harald Eggebrecht

Man mag Constable Paul Hirschhausen, genannt Hirsch, unmittelbar, wie er da in der Hitze der australischen Weihnachtszeit vor einer verrotteten Farm steht: "Hirsch sah hinaus über einen Streifen Ödland, das nur von einer verrosteten Egge, einem löchrigen Ölfass und einem silbrigen Eukalyptus belebt wurde. Eine Scheune, daneben ein offener Unterstand, der an einem Ende eingesunken war wie ein starres Grinsen." Hirsch, Constable von Tiverton im südaustralischen Buschland, ist ein ordentlicher Polizist, der sich Tagespläne macht, als habe er mächtig was zu tun. Dabei muss er eher Kleinkriminelles aufräumen: hier Trunkenheit am Steuer ahnden, dort die Spur von Kupferdieben aufnehmen, allwöchentlich ins Hinterland zu den einsamen und verstreut liegenden Farmen fahren. Ein Auto ist ausgebrannt, Beschwerden über Hunde, die Schafe beunruhigen, viele einsame Leute, und manche sicher zwielichtig. Doch letzten Endes: "Noch so ein Mantra des Buschlands: Die Dinge waren nie fürchterlich oder fantastisch, sondern okay."

Garry Disher, Jahrgang 1949, in Südaustralien aufgewachsen, vielfach mit Preisen ausgezeichnet, lässt es langsam angehen, man bleibt immer ganz nah bei Hirsch und seiner detektivischen und sozialen Sorgfalt. Bis plötzlich das Blut spritzt und die bis dahin gelassen und leise komisch dahin zockelnde Geschichte entschieden Fahrt aufnimmt: Nancy Washburn züchtet Zwergponys, die eines Nachts Opfer sadistischer Messerattacken werden. Vier sind tot, die anderen mit Schnittwunden übersät und zutiefst verstört. Wer tut so was? Hirsch nimmt erst einmal die üblichen Verdächtigen aufs Korn. Dazu zählt die wüste Familie Flann, der Vater sitzt im Knast, die Mutter tobt sich ab und an im Suff aus und brettert mit dem Auto in die Kneipe, ohne Rücksicht auf Verluste, die Söhne Wayne und Adam sind wahre Tunichtgute: Saufen und Drogen, Wutausbrüche und Diebereien, jedenfalls gilt die Regel: "Einem Flann kommt man besser nicht schräg." Oder der lethargische Daryl Cobb, der mit Adam Flann herumlungert.

Hirschs Vorgesetzte Seargant Brandl erscheint, die Presse rückt mit einem Mal an in dieser abgelegenen Provinz. Hirschs Tagesplanungen geraten merklich ins Wanken, und Weihnachten steht vor der Tür. Auch die träge Landschaft fängt an, ihn zu beklemmen: "Hier draußen konnte ein Mord geschehen und unentdeckt bleiben, dachte er. Nirgendwo hier draußen ist es neutral. Die Landschaft ist aufgeladen, mitschuldig."

Garry Disher: Hope Hill Drive. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Unionsverlag, Zürich 2020. 336 Seiten, 22 Euro. (Foto: N/A)

Was anfangs so dörflich schien, wird abgründiger, lauernder, aggressiver. Wirkten die Leute zuerst eher wie kuriose Käuze, mehr oder weniger gescheiterte Existenzen, Spintisierer und Verlorene, werden sie nun undurchsichtig, bedrohlich, gefährlich. Dagegen ist der pingelige Martin Gwynne, ein in der Stadt verkrachter Versicherungsangestellter, den es ins Buschland verschlagen hat, und der hier nun immer der Beste und Erste sein will, nur unangenehm. Er provoziert Hirsch wiederholt mit Sticheleien, als sei der Polizist beschränkt und überfordert.

Es wird zunehmend dichter, bitterer und dann mörderisch. Eine Frau und ihr Sohn werden in einer abgelegenen Farm entdeckt, erschossen. Die zwei kleinen Töchter scheinen geflohen, entführt oder auch ermordet zu sein. Mit einem Mal treiben sich in Tiverton, Redruth und Umgebung arrogante Mordkommissionsbeamte aus Sidney herum, wird Hirsch mit seiner nicht ganz klaren Vergangenheit als Detective in der großen Stadt konfrontiert, alles spitzt sich zu.

Disher versteht es, seine Geschichte auf mehreren Wegen zu steigern, ohne den grundsätzlich knappen lakonischen Stil zu verändern. Dabei nimmt das innere Tempo unwiderstehlich zu, mit dem Hirsch versucht, auf dem Laufenden zu bleiben und nicht von den Ereignissen überholt zu werden, die sich überstürzen und dann überlagern. Es wird weitere Tote geben, die Flanns spielen noch eine Rolle, die Mordkommissare behandeln Hirsch weiter als Dorfpolizisten. Nicht den eifersüchtigen nachtragenden Martin Gwynne zu vergessen. Irgendwann kann sich Hirsch einen freien Tag nehmen. Im Outback gibt es übrigens sehr giftige Schlangen, man muss aufpassen, wenn man ins Buschland geht.

© SZ vom 29.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: