Stephen King und Joanne K. Rowling sind Freunde. Eine Freundschaft begünstigt durch Lebens- und Karriereumstände, die sie mit wenigen anderen Schriftstellern teilen: Beide waren fast mittellos, als sie ihre ersten Bücher publizierten. Beide wurden zu Millionen-Sellern. Beiden gelang es, den Spielregeln des Buchmarktes zu entwachsen und zu globalen, nahezu lückenlos verfilmten Pop-Phänomenen aufzusteigen.
Daher war es keine Überraschung, als King vergangenen Juli Rowlings Versuch lobte, einen Roman unter Pseudonym zu veröffentlichen: Er hätte ihr zwar vorhersagen können, dass das Geheimnis nicht lange ungelüftet bleiben würde, meinte King: "Aber Jo hat natürlich völlig recht. Was für ein Vergnügen, was für eine segensreiche Erleichterung es ist, anonym zu schreiben, aus purer Freude."
In jene Anonymität zurückzukehren, aus der die meisten Autoren sich befreien wollen, das hatte King mit ein paar Romanen geschafft, die er in den späten Siebzigern unter dem Pseudonym "Richard Bachman" schrieb. Es dauerte Jahre, bis das herauskam.
Bei J.K. Rowling vergingen nur knapp drei Monate nach der Veröffentlichung von "The Cuckoo's Calling" im April, bis die Times herausfand, dass sich hinter dessen angeblichem Autor Robert Galbraith, einem "pensionierten Militärpolizisten", die Harry-Potter-Schöpferin verbarg. Zyniker in England vermuteten allerdings, die Enthüllung komme dem Verlag nicht ungelegen, da sie den Verkauf der gebundenen Ausgabe genau in dem Augenblick kräftig ankurbelte, in dem viele Rowling-Fans nach einer Sommer-Urlaubslektüre suchten.
Verzicht auf PR-Tamtam
Als alles aufflog, hatte Rowling wohl ohnehin bereits erreicht, woran ihr am meisten gelegen war: Erstens, einen Roman unter Verzicht auf jenes absurde PR-Tamtam zu veröffentlichen, das ihrem ersten Post-Potter-Buch "Ein plötzlicher Todesfall" vorangegangen war. Und zweitens, herauszufinden, ob sie Leser und Kritik nur aufgrund der Qualität ihrer Erzählkunst würde überzeugen können, ohne den ablenkenden, alles verzerrenden Überbau ihres immensen Potter-Erfolgs.
Dies vorweg: Sie kann. Rowling hat in "Der Ruf des Kuckucks", der an diesem Samstag auf Deutsch erscheint, ein handwerklich einwandfreies, sehr unterhaltsam erzähltes, im besten Sinne altmodisches Stück britischer Detektivliteratur geschrieben.
Einen Krimi, angesiedelt in der Spätphase der Regierungszeit Gordon Browns, und frei von jedem Quidditch- und Zauberspruch-Zinnober. Rowlings Protagonist, der Londoner Privatdetektiv Cormoran Strike, ist eine erfreulich sperrige Figur. Ein Armee-Veteran, der in Afghanistan ein Bein verloren hat, und nach dem Zusammenbruch einer langjährigen Beziehung in seinem winzigen Büro wohnen muss. Strike, Mittdreißiger, Sohn eines Rockstars, den er verabscheut, ist pleite, sarkastisch und auf zerknitterte Art sexy.
Genug noir und genug Individualität
Rowling versäumt nicht, Strike in Robin Ellacott eine hübsche Sekretärin an die Seite zu stellen, die sich von einer Aushilfskraft rasch zur unverzichtbaren Helferin mausert. Sie: patent, bescheiden, aber im entscheidenden Moment mutig und geistesgegenwärtig. Er: versehrt, melancholisch, aber professionell. In beiden Figuren steckt genug noir, um Genre-Anforderungen zu genügen, aber auch genug unberechenbare Individualität, um sie als Charaktere interessant zu machen.
Der Kuckuck, um den sich der Fall dreht, der Cormoran Strike von seinen schlimmsten Geldsorgen befreien könnte, ist ein totes Model: Lula Landry, von ihrem Freund, dem stutenbissigen Modedesigner Guy Somé "Cuckoo" genannt, ist in einer eisigen Winternacht vom Balkon ihres Apartments in Mayfair gefallen.
Die Polizei hat den Fall bereits als Selbstmord ad acta gelegt, aber Lulas schwächlich-nervöser Stiefbruder glaubt an Mord. Er beauftragt Strike damit, die Wahrheit herauszufinden. Was folgt, ist eine so unaufgeregte wie zunehmend fesselnde Reihe von Begegnungen des Detektivs mit Lulas Verwandten, Freunden und Liebhabern.
Dabei fließt viel weniger Blut als in den späten Potter-Romanen. Überhaupt bemisst sich die Qualität von "Der Ruf des Kuckucks" weder an der Opferzahl noch am kriminalistischen Prozedere, dem Abklappern der Zeugen, den listig ausgestreuten Indizien - in dieser Hinsicht ist die Story mit ihrem auf Schock angelegten Schluss fast schon zu virtuos gebaut.