Süddeutsche Zeitung

Krimi-Kolumne:Don Winslow friert in "Germany"

Frank Decker ist ein Ex-Cop, Ex-Marine und Ex-Ehemann, die Inkarnation des einsamen Wolfs. Ihn verschlägt es nach Deutschland - heraus kommt ein Thriller wie ein Eimer Popcorn.

Von Bernd Graff

Sagen wir es gleich zu Beginn: "Germany" ist nicht der beste Thriller, den Don Winslow je verfasst hat. Dies liegt nicht daran, dass man als deutscher Leser nicht den Eindruck hat, die eigene Landeserfahrung und diese literarische Ortsbegehung seien irgendwie in Übereinstimmung zu bringen. Es liegt daran, dass Winslow einen hingerotzt wirkenden Text vorgelegt hat, der Holzschnitt und Effekte, Muskelspiel und eine nur behauptete Wahrscheinlichkeit vor Charakter, Plot und plausible Wendung stellt.

Winslows Held heißt hier - nach "Missing. New York" - wieder Frank Decker. Er ist ein Ex-Cop, Ex-Marine und Ex-Ehemann, die Inkarnation des einsamen Wolfs, der sich in jeder Lebenshinsicht dem männerbündischen Motto der Marines "Semper Fi" - Für immer treu - verschrieben hat. Seine Ex-Frau liebt er noch, seinem alten Kameraden Charlie wird er übers Grab hinaus verbunden bleiben und seinem selbstgewählten Ermittlungsauftrag folgt er unerschütterlich, eigentlich manisch von Miami - bis Lüneburg. Kein Scherz.

Charlie - ein im Gesicht entstelltes Raubein, wie Decker ein Irak-Veteran der härteren Sorte - kam die Gattin abhanden. Er hat unseren Mann mal aus einem brennenden Auto gerettet, sich dann zum Immobilien-Milliardär weitergekämpft. Gattin Kim, eine ehemalige Schönheitskönigin, die es nicht wegen Bikini-Figur und langer Wimpern, sondern wegen ihres virtuosen Klavierspiels (Chopin!), der literarischen Interessen und der lauteren Herzensgüte zur Mustergattin und Mutter Teresa Miamis gebracht hat, ist wohl entführt worden. Man findet ihr Auto verlassen in einer Parkgarage. Ans Telefon geht sie auch nicht. Eine Lösegeldforderung bleibt aber erst einmal aus. Hat etwa Charlie diesen Engel beseitigt? Wenn ja, warum?

Gut, dass man den zupackenden Decker im Haus hat, der hier die Weihnachtstage verbringen ill. Denn Decker ist ein selbstloser Fahnder, ja, ein Terrier unter den Aufspürhunden. Ermittlung und Kampf sind übrigens hier eins. So wird Decker denn auch - alles im Um-Haaresbreite-Modus - fast ertränkt, erschossen, erschlagen, erstochen und versengt. Mit einer Gehirnerschütterung und einem Stahlsplitter im Schädel geht dieser Marine jedenfalls noch lange nicht nach Hause. Und die ballernde Russenmafia, auf die er überall trifft, ist anscheinend nur angetreten, um von Decker Mann für Mann dezimiert zu werden. Kein Buch für sanfte Gemüter also.

Der Osten kommt gar nicht gut weg, wenn Winslows Held in deutschen Bordellen landet

Schon deshalb nicht, weil das Heiligenbild der angeblich Entführten dann recht bald bröckelt - nein, es atomisiert sich rückstandslos, Kim entpuppt sich als - und dieses Wort ist lustvoll über die Seiten gestreut - Nutte, und Decker musste dazu kaum mehr als ein paar Sockenschubladen öffnen. Mit diesem Wandel ist das Spektrum an möglichen Verschwinde-Motiven und -Szenarien eröffnet: Betrug, Menschenhandel, Erpressung, Rache, Drogen, Liebe, drohender Bankrott, Bigotterie, Kindheitstraumata, Gier. Decker wühlt sich artig durch die Eventualitäten hindurch und straft im Vorbeigehen ein paar Dealer, die es nicht anders verdient haben.

Dann geht sein Flieger, und er landet schließlich (und etwas spät für ein Buch mit dem Titel "Germany") im letzten Buchdrittel in den winterlich-unwirtlichen Teutonen-Bordellen von München, Frankfurt, Köln, Stuttgart, Hamburg und Berlin. Hier werden kurz die Spielarten des Nuttentums und der professionellen Prostitutionsmaschinerie aufgerufen, der Osten kommt dabei nicht gut weg. "Jeder, der behauptet, es gäbe keine großen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, lügt. Der Osten war viel weniger entwickelt, in jeder Hinsicht weniger 'westlich'. Auch waren die Menschen hier ärmer, und viele hatten das Gefühl, unter der kommunistischen Diktatur besser dran gewesen zu sein als unter dem Diktat des Kapitalismus." Doch ist Decker wohl zuerst nur in Deutschland, um seitenlang zu frieren. Diese Kim-Kehrseiten-Welt ist genauso schablonenartig gepinselt wie die Wohltätigkeits-Kim-Welt zuvor.

Im Verlauf der oft schnell vorpreschenden, dann wieder kreiselnden Handlung werden durchaus spannende Themen angeschnitten - Krieg, Kameradschaft, Kriegstraumata -, doch alles nur angedeutet. "Hätte ich Inge erschossen? Vielleicht. Ich war froh, dass ich es nicht herausfinden musste. Man will manchmal gar nicht wissen, wozu man fähig ist. Vielleicht denkt man, man weiß es, aber ich bin sicher, das ist ein Trugschluss. Selbsttäuschung muss nicht immer schlecht sein. Ich war noch nie in Lüneburg gewesen."

Man könnte das Buch schulterzuckend weglegen, wenn man nicht wüsste, dass Winslow, der Superstar der kurzen Sätze, es viel, viel besser kann. Von ihm stammen Klassiker des Genres, "Tage der Toten", "Das Kartell" oder "Kings of Cool", darin gehen Action und Präzision, Reflexion und Didaktik überzeugende und spannende Verbindungen ein. "Germany" dagegen ist ein großer Eimer Popcorn: Es hat irgendwann einmal "Puff" gemacht und jetzt macht es nicht satt.

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Quelle:
SZ vom 22.04.2016
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