Krimi "Die Wahrheit und andere Lügen":Feine Lügen zum Selberbauen

Der Debütroman von "Tatort"-Autor Sascha Arango ist ein fein konstruierter Krimi. Lakonisch, voller überraschender Volten - und mit dem richtigen Gespür dafür, wann es besser ist, einfach mal die Klappe zu halten.

Von Werner Bartens

Klar, dies ist auch ein ziemlich geschickt konstruierter Krimi. Und das Buch ist wunderbar lakonisch geschrieben. Kaum überflüssiger Zierrat, dafür viele knappe, gekonnte Wendungen. All dies macht Sascha Arangos "Die Wahrheit und andere Lügen" bereits zu einem Lesevergnügen. Witzig ist das Romandebüt des Berliners außerdem und es zeigt in einer Nebenrolle den Hund endlich so, wie er ist: dumm, treu und von keiner Menschenkenntnis getrübt. Aber vor allem ist dieses Buch ein großartiges Lob des schweigsamen Mannes.

Immer wieder hält Henry, die Hauptfigur, im richtigen Moment die Klappe. Seine Geliebte gesteht ihm in einer dramatischen Szene am Meer, dass sie schwanger ist. Er schweigt und sinnt auf eine Lösung, die ihm endgültig seine Ruhe lässt. Die Flut schäumt bedrohlich, Wellen brechen sich an den Klippen. Soll er sie, sich oder gleich beide umbringen? Er sucht nach einem Ausweg - sie hält sein Schweigen hingegen für ein zärtliches Zeichen, wie überwältigt er von der Nachricht ist und dass er sich auf das Kind freut. Da muss er erst mal ins Gras kotzen.

Eleganz und Weltläufigkeit (und ein Maserati)

Das Lebensmotto von Arangos Held wird schon auf den ersten Seiten verraten: "Was sollte er sagen? Die Sache war schon schlimm genug, dieses Ding in ihrem Uterus bewegte sich bestimmt schon, und wenn Henry etwas gelernt hatte, dann, nichts preiszugeben, was besser ungesagt bleibt." Auf den folgenden fast 300 Seiten passieren noch eine Menge schlimmer Sachen und Henry wird immer besser darin, nichts preiszugeben, was ihn belasten könnte. Ganz oft sagt er in brenzligen Situationen einfach: nichts.

Es ist eine Kunst, wie es Arango gelingt, dass man für Henry mit der Zeit sogar so etwas wie Sympathie empfindet. Der Mann ist eigentlich ein Miststück. Ein brutaler Kerl und Lügner, immer auf seinen Vorteil bedacht, immer daran interessiert, auch jene Menschen im Unklaren zu lassen, die glauben, ihm nahe zu stehen. Er hat sich für den Hausgebrauch genügend Eleganz und Weltläufigkeit (und einen Maserati) angeeignet, damit das Lügengebäude nicht auffliegt, mit dem er zu Ruhm und Geld gekommen ist. Und er weiß, dass die meisten Frauen eher auf kantige Ekelpakete und nicht auf sanfte Apfelkistenhochträger stehen. Das sichert ihm die Zuneigung so gut wie jeder Dame, die auch nur in seine Nähe kommt.

Dabei hat Arango eine Ausgangslage gewählt, vor der man jeden Autor bei seinem Roman-Erstling dringend warnen müsste: Henry ist Schriftsteller oder gibt zumindest vor, einer zu sein. Es geht um Verlagsvorschüsse, den neuen Bestseller, Abgabefristen von Manuskripten und Eifersüchteleien im Lektorat. Autoren neigen ja - wie Journalisten - dazu, ihre eigene, kleine Welt für besonders bedeutend zu halten. Heraus kommt dann nicht selten ein ödes, nichtssagendes Rascheln mit Papier.

Bei Arango schleicht sich keine Langeweile ein, weil das Verlagswesen und die Schreibtätigkeit keine so große Rolle im Roman spielen, sondern die zahlreichen Volten um Mord, Verschwinden und das Ruhebedürfnis mittelalter Männer originell und spannend genug sind. Da verzeiht man dem Autor sogar, dass er für die schrullige Verlagsassistentin den Namen Honor Eisendraht findet und ihr am Ende eine erstaunliche Karriere ermöglicht, für die es zumindest in zwei großen deutschen Verlagshäusern durchaus Vorbilder gibt.

"Aber doch das Wesentliche"

Arango, der als Drehbuchautor (Tatort) bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, nimmt seine Leser erfreulich ernst. So überraschend die Wendungen vom wahrscheinlichen Täter zum Opfer auch sein mögen, sie sind logisch wie emotional nachvollziehbar. Es ist beispielsweise früh klar, dass alle Indizien gegen Henry sprechen, dass er gleich verhaftet und den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen wird. Nur wenige Seiten weiter muss aber selbst der dümmste Polizist einsehen, dass Henry unmöglich etwas mit den Morden zu tun haben kann und sein bequemes Schriftstellerdasein nun durch eine Tragödie für immer zerstört ist.

Großartig sind die Annäherungen an die Wahrheit, die der Autor seinen Helden immer wieder versuchen lässt. Mal will Henry seiner Frau, mal der Geliebten, mal seinem Verleger reinen Wein einschenken. "Er würde jetzt nach Hause fahren und Lüge durch Wahrheit ersetzen. Endlich alles erzählen, schonungslos, samt all der hässlichen Details, na, vielleicht nicht aller, aber doch das Wesentliche."

Es ist herrlich, Zeuge dieser männlichen Rechtfertigungsrituale und Schönrederei zu werden. Während die ganze Wahrheit zur kleinen Wahrheit und die wiederum zum großen Betrug zerbröselt, ist aus dem reuigen Sünder schon der argwöhnische Beobachter geworden, bevor er überhaupt den Mund aufgemacht hat. Aber man muss ja auch nicht über alles reden.

In dieser exakten Zweideutigkeit zeichnet Arango zudem ein paar wunderbar obskure Figuren wie den serbischen Fischhändler, von dem man lange nicht weiß, ob er Freund oder Verräter ist. Den Mitschüler aus der Vergangenheit. Oder die ermittelnden Polizisten, die mal das Superhirn, mal den Dorftrottel geben, und bei denen unklar bleibt, ob sie den Täter gleich überführen oder mit ihm fraternisieren. Bei den Frauen ist sowieso unklar, was sie wollen. Das Buch eignet sich ideal für die Ratgeberecke, denn es enthält viele feine Lügen zum Selberbauen. Falsche Wahrheiten gibt es schließlich schon genug.

Sascha Arango: Die Wahrheit und andere Lügen. Roman. C. Bertelsmann, München 2014. 300 Seiten, 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.

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