Kriegsfotografie:Bis an die Zähne bewaffnet

Der Krieg und die Ordnung der Bilder: Ein Festival zeigt eindrucksvoll, welchen Mustern die Kriegsfotografie folgt.

Volker Breidecker

10 Bilder

Foto: AES+F

Quelle: SZ

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Mit einem Koffer voller Postkartenfotos kehren die Brüder Ulysses und Michelangelo aus dem Krieg zurück. Alle Schätze der Welt - Paläste, Autos, Frauen - waren ihnen als Beute versprochen worden; als große Bildersammlung, nach Motiven sortiert und gebündelt, tragen sie die so repräsentierte Welt jetzt im Koffer nach Hause.

King of the Forest, N.Y., 2003 Foto: AES+F

Foto:Michal Heiman

Quelle: SZ

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Stolz präsentieren sie den Inhalt ihren Frauen, zunächst bündelweise als Porträts, Denkmäler, Bauten, Landschaften, Vehikel, Tiere, Pflanzen, dann wie Spielkarten vom Stapel: Die große Pyramide von Gizeh, das Parthenon, Versailles, Angkor Wat, die Kathedrale von Mexiko, der Kölner Dom, der Stuttgarter Hauptbahnhof ...

An diese Ordnung der Bilder aus dem Film "Les carabiniers" von Jean-Luc Godard (1962) erinnert heute der französische Künstler Aurélien Froment, der auch Postkarten auf die Kinoleinwand zaubert: Aus pechschwarzem Hintergrund treten der Kopf, der Rumpf und die Hände eines schwarzgekleideten Magiers ins Licht. In der einen Hand hält er einen Stapel Kleinbildaufnahmen, aus dem er wie ein Taschenspieler einzelne Bilder hervorzieht: lauter Postkartenmotive, vom schiefen Turm von Pisa und dem Moulin Rouge von Paris bis zu bunten Porzellanfiguren. In der nächsten Sequenz dehnt dieser Bildermann seine Fingerspiele auf die ganze Glasplatte aus, verlegt, verschiebt, und arrangiert scheinbar völlig beziehungslose Bildmotive zu neuen, frei assoziierten Gruppen. "Théâtre de poche" ("Taschentheater") nennt Froment seine Arbeit, die an Marcel Prousts Laterna Magica erinnert. Die Bilderarbeit unseres Gedächtnistheaters sucht sie nicht nur zu reproduzieren, sondern auch nach ihren geheimen Konstruktionsprinzipien zu erforschen.

Serie: Do-Mino 2008 No.4 (pp. 104-105): Raphael, The Disposition, (1507)/ Photographer Unknown (AP, Haaretz), Palestinians Evacuating a Youngster in a Demonstration by the Wall in Bidu (27.02.2004) Foto:Michal Heiman

Michal Heiman

Quelle: SZ

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Im verdunkelten Theatersaal des Ludwigshafener Kunstvereins wirkt diese Arbeit wie ein Trailer zum Leitprogramm, dem sich das Kuratorenduo Esther Ruelfs und Tobias Berger mit dem soeben eröffneten 3. Fotofestival in der Metropolregion Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg verschrieben hat: "Images recalled - Bilder auf Abruf" heißt die mehrteilige Schau, die in vorbildlicher regionaler Kooperation an sieben verschiedenen Ausstellungsorten der drei Nachbarstädte rund 500 Fotoarbeiten von etwa 60 internationalen Künstlern präsentiert. Ruelfs und Berger haben sich dabei nicht weniger vorgenommen als die Ausarbeitung eines "visuellen ABCs" zur Ergründung jener Konstruktionsprinzipien, nach denen die Bilder funktionieren, die unsere kollektiven Gedächtnisse prägen. Indem die künstlerische Fotografie, wie es im Begleitkatalog heißt, "ein Bewusstsein für die Konstruiertheit der Bilder" schafft, fiele ihr die Rolle der kritischen Instanz gegenüber der von Journalismus, Werbung, Wissenschaft und privater Fotografie bedienten Bildersammlungen der Gegenwart zu.

Serie: Do-Mino 2008 No. 11 (pp. 118-119): Photographer Unknown, Jeff Wall Installing the Destroyed Room (1979)/ Photographer Unknown (Haaretz), Taleb Darawi, Whos Sons Ziad and Haled Were Detained in Shawarwa Yesterday, Arranging his Home Following IDF Sweep (16.11.2001) Foto: Michal Heiman

Foto: Christoph Wachter, Mathias Jud

Quelle: SZ

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Bei diesem enormen Anspruch verwundert es nicht, dass die ausstellenden Künstler - wie auch schon ihr Vorläufer Godard vor dem Hintergrund des Algerienkriegs - sich vorzugsweise extremen Situationen zuwenden, wie sie in Kriegen herrschen. Unter dem Stichwort "Bilder Krieg" steht eine besonders eindrucksvolle Sektion des Festivals, großzügig ausgestellt im frisch sanierten Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum: Am wenigsten kommt man dort an Thomas Hirschhorns spektakulärer, 18 Meter langer Installation "The Incommensurable Banner" vorbei, obgleich man von dieser schier pornographischen Ansammlung blutig zerfetzter Leiber und zerstückelter Gliedmaßen den Blick rasch abwenden möchte.

Zone* Interdite, 2000 - 2009 Foto: Christoph Wachter, Mathias Jud

Foto: AES+F

Quelle: SZ

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Hirschhorn hat sein Material, das unsere Zeitungen und Fernsehanstalten nicht zeigen, vor allem aus dem Web bezogen.

In einem Darkroom gleich um die Ecke ist ein drastisch-zynischer Filmkommentar des Niederländers Renzo Martens über die Arbeit von Kriegsfotografen im Kongo zu verfolgen: Bis an die Zähne bewaffnete maskierte Krieger lassen sich mitten im Urwald wie Heldenstatuen von Kameraleuten umkreisen, die in der nächsten Sequenz am Boden liegende, halb verweste Leichen gründlich ausweiden.

Action half life, Episode 2, #12, 2003 Foto: AES+F

Foto: An-My Lê

Quelle: SZ

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Das Gegenbild dazu, das von großer Tragik und tiefster Empathie zeugt, findet sich an einer nächstgelegenen Bildwand: Vor einer Bahre, in der Rotkreuzhelfer einen toten oder schwerverletzten kleinen Jungen vorbeitragen, steht frontal davor und aus traurig angespannten dunklen Augen die Kamera und die potentiellen Betrachter fixierend, die Aufnahmefrau mit der Fernbedienung ihrer Videokamera: "Self-Portrait with Remote Control" nennt die Libanesin Randa Mirza dieses Standfoto.

Small Wars, 1999 - 2002 Foto: An-My Lê

Parachutes 12, Foto: Bettina Pousttchi

Quelle: SZ

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Zur Unbestimmtheit solcher Bilder gehört aber ebenso, dass alles auch ganz anders sein könnte. Schon Mirzas auffallend orangerotes, zu der Uniform der Helfer passende Kleid spricht für eine digitale - oder nennen wir es mit Sigmund Freud doch gleich eine "sekundäre" - Bearbeitung.

Welch beschränktem Vorrat an unbewussten Mustern auch aus der Kunstgeschichte sowohl Pressefotografen als auch die Betrachter folgen, hat die in Israel lebende Künstlerin Michal Heiman zum Untersuchungsgegenstand gemacht: Neben kanonischen Kreuzigungsdarstellungen hat sie Raffaels "Kreuzabnahme" frappierend ähnlich komponierten Pressefotos gegenübergestellt.

Parachutes 12, 2006 Foto: Bettina Pousttchi

Foto: Fotograf der US-Army

Quelle: SZ

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Während das in der Gegenwartsfotografie so beliebte Thema Sex - außer in sehr reflektierter Form bei wenigen Exponaten der von der Mannheimer Kunsthalle gezeigten Ausstellung "Körpermuster" - fast ganz außen vor bleibt, durchziehen die Themen Krieg und Gewalt auch fast alle anderen Sektionen: Unter dem Motto "Bilder Sammeln", ausgestellt im Kunstverein Ludwigshafen, ist es bei Peter Piller präsent, dessen Arbeit "Deko + Munition" die Fotografien von bei Ebay als Wohnzimmerschmuck feilgebotenen Hülsen von Blindgängergeschossen, leeren Granaten und Patronen aller Kaliber versammelt.

Atomic Bomb Test Yucca Flats, Nevada, 1950er Foto: Fotograf der US-Army

Foto: Sean Snyder

Quelle: SZ

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Makabre Fracht

Präsent ist der Krieg und die Gewalt auch bei den Körpermustern, in Mirko Martins Serie "L.A. Crash", die cineastische Vorbilder in die kriminelle Alltagsrealität des Straßenlebens transponiert. Am einprägsamsten aber ist die Aufnahme einer makabren Fracht in Gestalt dreier auf der offenen Pritsche eines Lkw nebeneinander liegender Leichensäcke aus blauem Zellophan, aus denen sich die Umrisse menschlicher Leiber abzeichnen.

Casio, Seiko, Sheraton, Toyota, Mars..., 2004-2005 Foto: Sean Snyder

Foto: Randa Mirza

Quelle: SZ

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"Blue" nennt der Künstler diese Arbeit. Nach so viel Krieg, Sterben, Gewalt und fotografisch arretiertem Leben, das unter dem Stichwort "Absencen" auch die Räume des Heidelberger Kunstvereins füllt, ist der Besucher reif genug, die Ausstellungsinterieurs zu verlassen und sich auf dem alten Mannheimer Messplatz in dem erquickenden fotografischen Labyrinth zu ergehen und zu verlieren, das die Künstlergruppe Blog 3 D auf diesem sonst so trostlosen Platz aufgebaut hat.VOLKER BREIDECKER

3. Fotofestival. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg. Bis zum 25. Oktober. Katalog 19,90 Euro. www.fotofestival.info

Serie: Parallel Universes, 2008 Foto: Randa Mirza/Text: SZ v. 11.09.09, Volker Breidecker

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