Süddeutsche Zeitung

Krieg im Innern:Die fremde Welt lebender Bomben

Lesezeit: 3 min

Wie normal ist ein Selbstmordattentäter - fragt der Palästinenser Hany Abu-Assad in seinem neuen Spielfilm "Paradise Now".

Anke Sterneborg

Ein vorsichtiges, tastendes Geplänkel, ein verhaltener Flirt - da könnte sich etwas entspinnen zwischen Said und Suha, dem Automechaniker und der Intellektuellen. Doch ihre Liebe hat keine Zukunft, denn kurze Zeit später werden Said und sein Freund Khaled eingezogen. Am nächsten Tag schon sollen sie als lebende Bomben in israelisches Gebiet reisen.

Spätestens seit den Londoner Anschlägen im Juli ist klar, dass die Gefahr der Selbstmordattentäter auch in Europa allgegenwärtig ist - weshalb man den Film heute womöglich anders sieht als vor einigen Monaten, als er auf der Berlinale im Wettbewerb lief. Auch wenn sich der Konflikt in Nahen Osten seit der Räumung des Gaza-Streifens entspannt, bleibt das Thema virulent.

Eine ganze Reihe von Büchern und Filmen versucht derzeit, die fremde Welt des Islam und seiner heiligen Krieger zu erschließen. Und auf dem Festival in Toronto war nicht nur "Paradise Now", sondern auch "The War Within" von Joseph Castelo zu sehen, der in New York die Psyche eines Attentäters erforscht.

Doch dieser Krieg im Innern hat in der Regel keinen Platz in der Beurteilung von Attentätern, die entweder als Heilige verehrt oder als Monster verdammt werden. Als Jugendlicher hat auch der Filmemacher Hany Abu-Assad mit der PLO sympathisiert, sich dann aber für eine Karriere als Filmregisseur und eine friedliche Version des Widerstands entschieden. Nachdem er in "Rana's Wedding" eine Braut auf der Suche durch die besetzten Gebiete irren ließ, folgt er nun zwei Selbstmordattentätern auf ihrer holprigen Odyssee ins vermeintliche Paradies: Auf die eine oder andere Weise geht es im Westjordanland immer darum zu entkommen.

Genauer Blick lohnt sich

Manchmal reicht es aber, einfach genauer hinzuschauen. Hinter verhärteten Gesichtern, einstudierten Posen und vorformulierten Parolen sucht der Regisseur die wahren Gefühle, hinter den Masken von Hass und Entschlossenheit die verletzlichen Menschen.

Mit diesem waghalsigen Unternehmen hat sich der Palästinenser, der einen israelischen Pass hat, von allen Seiten Ärger eingehandelt: Die Palästinenser wehren sich dagegen, dass ihre Heiligen vom Podest geholt werden, dass man sie pinkeln und essen, lachen und weinen sieht, und die Israelis wollen nicht, dass die Monster vom Pranger geholt werden, dass man mit ihnen fühlt und bangt. Die Dreharbeiten im israelisch besetzen Nablus mussten - unter Waffengewalt - abgebrochen und nach Nazareth verlegt werden. Seit der Berlinale wird Abu-Assad immer wieder vorgeworfen, dass er mit seinen Sympathien für die Täter die Opfer verhöhne. In der vergangenen Woche wurde der Film erstmals in Ramallah gezeigt - er wurde offensichtlich auch dort wohlwollend aufgenommen, auch wenn es Stimmen gab, die dem Regisseur vorwarfen, sich mit seinem Film dem Westen anzubiedern.

Jäh werden sie aus ihrem Alltag gerissen, die beiden Attentäter Said und Khaled, und auf ihren Auftrag vorbereitet, gewaschen, rasiert, gefüttert, angezogen wie Kinder. Kinder des Terrors. Man ahnt, wie leicht es ist, diese unzufriedenen, verwirrten, ziellosen jungen Männer, mit ihrem Frust in der Familie und bei der Arbeit, dazu unter dem Druck der israelischen Besatzung, für den "heiligen Krieg" zu gewinnen - nach ähnlichen Mustern, mit denen hierzulande junge Neonazis rekrutiert werden.

Nach westlichem Verständnis ist es unfassbar, dass junge Menschen derart ihr Leben wegwerfen, und ihre Eltern statt Trauer auch noch Stolz darüber empfinden. Natürlich zweifeln auch die Gotteskrieger, sie haben Angst, und allein der Anflug von Verliebtheit reicht schon, um Saids Entschluss ins Schwanken zu bringen.

Pannen und Unfälle

Natürlich gibt es Pannen und Unfälle, Attentäter werden erwischt, Anschläge vereitelt, und bei der Entstehung eines der berüchtigten Bekennervideos entwickelt der pathetische Ernst der abgespulten Parolen eine subversive Absurdität - da war kein Film in der Kamera, also muss das Ganze wiederholt werden. Die ganz kleinen Dinge des Lebens drängen sich immer wieder ins Spiel - statt letzter Liebesbekundungen lässt Said seiner Mutter banale Einkaufstipps über einen Wasserfilter zukommen.

Hany Abu Assad forciert solche Szenen nicht dramatisch, sondern nimmt sie im zurückhaltenden Gestus des Dokumentaristen auf. Auf dem Glatteis zwischen inszenierter und gefundener Wirklichkeit erinnert "Paradise Now" bisweilen an die Reality-TV-Satire "Mann beißt Hund". "Ein Film", sagt der Regisseur "ist ein künstlerisches Produkt. Ich will in einen Charakter schlüpfen, der ich selbst nicht bin. Ich erlebe mit ihm Dinge, die ich vorher nicht erlebt habe". Die Opfer, israelische Zivilisten in einem Bus, lösen sich am Ende in einer grellen Weißblende auf. Aber das ist eine andere Geschichte.

PARADISE NOW, F/D/NL/Israel 2005 - Regie, Buch: Hany Abu-Assad. Kamera: Antoine Heberlé. Mit: Kais Nashef, Ali Suliman, Lubna Azabal, Amer Hiehel, Hiam Abbas. Constantin, 90 Minuten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.800440
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.9.2005
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.