Kreationismus-Debatte:Warum die Bibel nicht in den Biologieunterricht gehört

Religion und Naturwissenschaften dürfen nicht vermengt werden, wie manche Politiker fordern - sonst leiden beide.

Hubert Markl

Dass Deutschland eine Wissensgesellschaft ist, gehört nachgerade zum Gemeingut, wenn nicht sogar zu den Gemeinplätzen der Politiker aller Richtungen, die es gar nicht oft genug verkünden können.

Kreationismus-Debatte: Gehört der Glaube in den Biologieunterricht? Eine junge Frau betrachtet anatomische Modelle auf einer Bildungsmesse (Archivfoto).

Gehört der Glaube in den Biologieunterricht? Eine junge Frau betrachtet anatomische Modelle auf einer Bildungsmesse (Archivfoto).

(Foto: Foto: dpa)

Ob dies wirklich so ist, mag man vielleicht daran erkennen, dass die Bildungsministerin eines der wirtschaftlich führenden Länder der Bundesrepublik die Bibel mit einem Biologiebuch verwechselt. Sogar ein Ministerpräsident findet daran Gefallen, schließlich sind auch fundamentalistische Stimmen vor allem dies: Stimmen. Und der Grenzwähler kann wahlentscheidend sein.

Mag auch sein, dass eine Ministerin, die sonst durch einen privaten Lebensstil, den niemanden als sie selbst etwas angeht, in der Boulevardpresse auftaucht, damit die Ernsthaftigkeit ihrer religiösen Überzeugungen kundtun will: um wenigstens Gesinnung, wenn nicht Gesittung zu beweisen.

Den Lebenswissenschaften schadet dies alles wenig. Deren Karawane zieht weiter, auch wenn sie in Hessen, Kansas oder in Iran aufgehalten werden soll. Zum Minister mag es dann immer noch reichen, auch wenn die kleinen klugen Köpfchen durcheinandergebracht werden - warum sollten sie auch weniger verwirrt sein als ihre Bildungsvorgesetzte? Und zum Bischof reichen bescheidene Biologiekenntnisse vielleicht überall und allemal noch.

Einem Lehrer vorschreiben zu wollen, er solle ausgerechnet im Biologieunterricht die Religion nicht vernachlässigen und neben den Erkenntnissen der Evolutionsbiologie auch den Schöpfungsmythos erläutern - vermutlich zustimmend, denn der Versuch einer wissenschaftlichen Widerlegung wäre sicher weder im Sinn der Ministerin noch der Naturwissenschaft angemessen -, dürfte die Biologie in ihren Befunden genauso wenig irritieren (so sehr sie auch unbefangene Gemüter verwirren mag), wie die allenthalben in den Medien florierende Astrologie der Kosmophysik Schaden zufügt.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie die Religionen durch die Debatte Schaden nehmen.

Warum die Bibel nicht in den Biologieunterricht gehört

Genauso wenig wie die Anhänger einer flachen Erde die Geographie aufhalten konnten, wie ptolemäischer Geist Kopernikus an der Durchsetzung seiner besseren Einsichten hindern konnte (und der Satellitennavigation, die darauf beruht). Selbst die weniger von Intelligent Design als von krassem Mangel an Intelligenz zeugende Vorstellung, die Natur sei in wenigen Tausend Jahren aus dem Nichts geschaffen worden, kann die Geologie nicht berühren, so wenig wie politisch verordnete Klimakunde bewirken kann, dass Deutschland für die ganze Welt die Klimarettung am Energieverbrauch zusammensparen wird.

Biologie überstand Schlimmeres

Es kann auch wenig Zweifel daran geben, dass kein noch so qualifizierter Biologielehrer allein deshalb auch schon Religion unterrichten kann, genauso wie so mancher Pfarrer wohl etwas überfordert ist, auf der Grundlage seines Theologiestudiums evolutionsbiologische Einsichten zu beurteilen. Da helfen auch keine ministeriellen weltanschaulichen Voreingenommenheiten. Den Kindern, doch "unserem wertvollsten Gut" (fast schon schade, dass sie auch einmal erwachsen werden müssen!) würde sowohl im Biologie- wie im Religionsunterricht ein krauser Mischmasch vorgesetzt, vor dem einem nur grausen kann.

Auch der Hinweis darauf, im Evolutionsunterricht sei auch dessen philosophische Tragweite zu berücksichtigen, könnte manchen Biologielehrer überfordern; aber selbst wenn das nicht der Fall sein sollte, könnte er allenfalls die Einsichten philosophischer Wissenschaft vermitteln, keinesfalls jene der Religion.

Was an alledem tatsächlich Sorge bereiten muss, ist nicht etwa der Schaden, den die Biologie als Wissenschaft erleiden könnte. Sie hat Schlimmeres überstanden. Man denke nur an die Grässlichkeiten der Rassenbiologie. Beschränkt sie sich auf das, was sie belegen und beweisen kann - also auf die natürlichen Tatsachen -, so muss ihr auch von wohlmeinenden Mythologemen nicht bange sein. Auch Kinder sind gottseidank manchmal klüger, als die Schulbehörde es erlauben mag.

Viel anders steht es da schon um die Religionen, denen damit so plump aufgeholfen werden soll. Welche davon soll es denn überhaupt sein? Etwa die vernunftgeleitete Auslegung der Bibel durch die amtlichen Kirchen (die nach der jüngsten Auskunft aus Rom vielleicht doch nicht alle solche sein sollen?)? Oder der wortwörtliche Bibelglaube fundamentalistischer Strömungen? Vielleicht jener der Zeugen Jehovas oder der Mormonen, der Christian Science oder womöglich die wirren Lehren eines Rudolf Steiner oder gar des Scientologen Ron Hubbard?

Symphonie der Schallerzeugung

Aber da wir doch in einer so pluralistisch gewordenen Welt der Weltanschauungen leben, sogar in Hessen, zumal in Hessen: Darf es vielleicht der Islam sein (aber welcher?) oder der Buddhismus (aber welcher?). Oder gar der hinduistische Glaube an eine Wiedergeburt des Menschen als Heiliger oder als Wurm? Oder was immer das Bundesverfassungsgericht an organisiertem Massenwahn als Religion erkennen kann und anzuerkennen zwingt?

Lesen Sie im dritten Teil, wie der Staat die Freiheit des Glaubens und der Wissenschaft schützen kann: Durch eine Trennung der beiden Sphären.

Warum die Bibel nicht in den Biologieunterricht gehört

Nur indem Religion sauber und gründlich von den Naturwissenschaften getrennt unterrichtet bleibt, kann es uns überhaupt gelingen, die grandiose Errungenschaft des staatlichen Schutzes aktiver - und hoffentlich auch passiver! - Religionsfreiheit zu garantieren. Wir verdanken sie der Aufklärung, der amerikanischen Konstitution und schließlich auch unserem Grundgesetz, das freilich bezeichnenderweise nicht durch freie Entscheidung des deutschen Souveräns aus einem bloßen, wenn auch hochwürdigen Parlamentariergesetz zu einer wirklichen Verfassung gemacht wurde.

Fingen Politiker an, ihre mehr oder weniger beachtlichen Glaubensüberzeugungen aus noch so ehrenwerten Gründen in den naturwissenschaftlichen Unterricht an den Schulen und Hochschulen hineinzutragen, so könnte es gar nicht ausbleiben, dass gerade die Religionsfreiheit Schaden nähme. Mag ja sein, dass Biologen nichts von Religion verstehen - aber privat alles davon glauben -, genauso wenig wie Theologen von Biologie.

Aber nicht Vermischung von Religion und Wissenschaft kann vor gefährlichem Aberglauben schützen, sondern staatliche Institutionen, die die Freiheit des Glaubens und die der Wissenschaft schützen. Die Toleranz für andere Überzeugungen, die Zurückhaltung, sich mit angemaßter Sachkunde im jeweils anderen Gebiet zu äußern, gewährleisten sowohl dem Glauben und seinen moralischen Weisungen als auch der Wissenschaft und ihrem Ethos, eigenständige Erkenntniswege und Einsichten zu suchen.

Wer daher der Freiheit des Glaubens und seiner Verbreitung im innerschulischen oder außerschulischen Unterricht wohl will, sollte diesen Glauben zuallerletzt in den Gesetzmäßigkeiten von Molekular- oder Evolutionsbiologie suchen. Als fundamentale Kulturleistung muss sich die Religion so wenig von der Naturwissenschaft zensieren lassen, wie sich die Naturwissenschaften von jahrtausendealten Schriften belehren lassen werden, wer immer an das glauben mag, was darin geschrieben steht.

Diesen Widerspruch auszuhalten, ihn nicht zu verkleistern, ist auch Bildungsministern zuzumuten. Vermengte man die Religion mit Biologie, wäre das, als wolle man die Wirkung einer Symphonie durch Gesetzmäßigkeiten der physikalischen Schallerzeugung erklären. Eigentlich hatte man gehofft, dass dies von den für Bildung Verantwortlichen bei uns schon seit langem begriffen wird.

Der Autor ist emeritierter Professor für Biologie der Universität Konstanz. Er war Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Max-Planck-Gesellschaft.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: